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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795.

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Deutschland, die meist Kinder von fünf bis
sechs Jahren, schwächlich, verzärtelt, verses-
sen, von Kantoren und Pastoren mit Lesen,
Schreiben und Christenthum schon zerquält,
vor sich finden. Die jungen Polen haben diese
Dinge, wie im Fluge gelernt, oder lernen sie
noch, und um so schneller, da man sie ihrem
freyen Willen überläßt, da man sie schon durch
Ehrgefühl dazu spornen kann. Französisch ler-
nen sie mit ihrer Muttersprache fast zu glei-
cher Zeit, denn Vater und Mutter müßten
ganz unbegreiflich vernachläßigt worden seyn,
müßten nie in der Gesellschaft gelebt haben,
wenn sie diese Sprache nicht verstehen, mithin
die Wichtigkeit derselben für ihre Kinder in
Geschäften und im geselligen Leben, nicht ein-
sehen sollten. Da es überdieß keine wohlha-
bende Familie giebt, die nicht einen französi-
schen Bedienten, oder eine französische Kam-
merjungfer hätte; da diese gewohnt sind, die
Kinder an sich zu ziehen und durch ihr aufge-
wecktes, geschwätziges Wesen zu unterhalten:

so

Deutſchland, die meiſt Kinder von fuͤnf bis
ſechs Jahren, ſchwaͤchlich, verzaͤrtelt, verſeſ-
ſen, von Kantoren und Paſtoren mit Leſen,
Schreiben und Chriſtenthum ſchon zerquaͤlt,
vor ſich finden. Die jungen Polen haben dieſe
Dinge, wie im Fluge gelernt, oder lernen ſie
noch, und um ſo ſchneller, da man ſie ihrem
freyen Willen uͤberlaͤßt, da man ſie ſchon durch
Ehrgefuͤhl dazu ſpornen kann. Franzoͤſiſch ler-
nen ſie mit ihrer Mutterſprache faſt zu glei-
cher Zeit, denn Vater und Mutter muͤßten
ganz unbegreiflich vernachlaͤßigt worden ſeyn,
muͤßten nie in der Geſellſchaft gelebt haben,
wenn ſie dieſe Sprache nicht verſtehen, mithin
die Wichtigkeit derſelben fuͤr ihre Kinder in
Geſchaͤften und im geſelligen Leben, nicht ein-
ſehen ſollten. Da es uͤberdieß keine wohlha-
bende Familie giebt, die nicht einen franzoͤſi-
ſchen Bedienten, oder eine franzoͤſiſche Kam-
merjungfer haͤtte; da dieſe gewohnt ſind, die
Kinder an ſich zu ziehen und durch ihr aufge-
wecktes, geſchwaͤtziges Weſen zu unterhalten:

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[208/0218] Deutſchland, die meiſt Kinder von fuͤnf bis ſechs Jahren, ſchwaͤchlich, verzaͤrtelt, verſeſ- ſen, von Kantoren und Paſtoren mit Leſen, Schreiben und Chriſtenthum ſchon zerquaͤlt, vor ſich finden. Die jungen Polen haben dieſe Dinge, wie im Fluge gelernt, oder lernen ſie noch, und um ſo ſchneller, da man ſie ihrem freyen Willen uͤberlaͤßt, da man ſie ſchon durch Ehrgefuͤhl dazu ſpornen kann. Franzoͤſiſch ler- nen ſie mit ihrer Mutterſprache faſt zu glei- cher Zeit, denn Vater und Mutter muͤßten ganz unbegreiflich vernachlaͤßigt worden ſeyn, muͤßten nie in der Geſellſchaft gelebt haben, wenn ſie dieſe Sprache nicht verſtehen, mithin die Wichtigkeit derſelben fuͤr ihre Kinder in Geſchaͤften und im geſelligen Leben, nicht ein- ſehen ſollten. Da es uͤberdieß keine wohlha- bende Familie giebt, die nicht einen franzoͤſi- ſchen Bedienten, oder eine franzoͤſiſche Kam- merjungfer haͤtte; da dieſe gewohnt ſind, die Kinder an ſich zu ziehen und durch ihr aufge- wecktes, geſchwaͤtziges Weſen zu unterhalten: ſo

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795/218>, abgerufen am 26.11.2024.