nirgend so sehr Hirngespinnst, als in Polen, wo die ganze Verfassung, und die ganze Reihe von Gesetzen, aus denen sie hervorgeht, auf beiden gebauet ist; und es giebt schwerlich ein zweites Land, wo man, in wichtigen und un- wichtigen Dingen, so begierig nach Unter- scheidungszeichen wäre und wo man, mit so fruchtbarer Erfindungskraft, die Anzahl der- selben so vermehrt hätte. Vergebens schmei- chelt man sich damit, daß es nur äußerer, gleichgültiger Prunk sey, und daß weder Ehrenstellen noch Ordensbänder den Werth des Edelmannes erhöhen, noch denselben, wenn er ihrer ermangelt, herabsetzen könnten. Man sieht alle Tage, daß der Titel eines Woiwo- den oder eines Kastellans, und der Anblick eines blauen und rothen Bandes, Thüren schnell öffnen, die vor dem Edelmann, der nichts von dem allen ist und hat, verschlossen bleiben, und daß betitelte und bebänderte Brü- der über andern, die es nicht sind, in Be- werbungen um Würden und Aemter, wie in
nirgend ſo ſehr Hirngeſpinnſt, als in Polen, wo die ganze Verfaſſung, und die ganze Reihe von Geſetzen, aus denen ſie hervorgeht, auf beiden gebauet iſt; und es giebt ſchwerlich ein zweites Land, wo man, in wichtigen und un- wichtigen Dingen, ſo begierig nach Unter- ſcheidungszeichen waͤre und wo man, mit ſo fruchtbarer Erfindungskraft, die Anzahl der- ſelben ſo vermehrt haͤtte. Vergebens ſchmei- chelt man ſich damit, daß es nur aͤußerer, gleichguͤltiger Prunk ſey, und daß weder Ehrenſtellen noch Ordensbaͤnder den Werth des Edelmannes erhoͤhen, noch denſelben, wenn er ihrer ermangelt, herabſetzen koͤnnten. Man ſieht alle Tage, daß der Titel eines Woiwo- den oder eines Kaſtellans, und der Anblick eines blauen und rothen Bandes, Thuͤren ſchnell oͤffnen, die vor dem Edelmann, der nichts von dem allen iſt und hat, verſchloſſen bleiben, und daß betitelte und bebaͤnderte Bruͤ- der uͤber andern, die es nicht ſind, in Be- werbungen um Wuͤrden und Aemter, wie in
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0098"n="88"/>
nirgend ſo ſehr Hirngeſpinnſt, als in Polen,<lb/>
wo die ganze Verfaſſung, und die ganze Reihe<lb/>
von Geſetzen, aus denen ſie hervorgeht, auf<lb/>
beiden gebauet iſt; und es giebt ſchwerlich ein<lb/>
zweites Land, wo man, in wichtigen und un-<lb/>
wichtigen Dingen, ſo begierig nach Unter-<lb/>ſcheidungszeichen waͤre und wo man, mit ſo<lb/>
fruchtbarer Erfindungskraft, die Anzahl der-<lb/>ſelben ſo vermehrt haͤtte. Vergebens ſchmei-<lb/>
chelt man ſich damit, daß es nur aͤußerer,<lb/>
gleichguͤltiger Prunk ſey, und daß weder<lb/>
Ehrenſtellen noch Ordensbaͤnder den Werth<lb/>
des Edelmannes erhoͤhen, noch denſelben, wenn<lb/>
er ihrer ermangelt, herabſetzen koͤnnten. Man<lb/>ſieht alle Tage, daß der Titel eines Woiwo-<lb/>
den oder eines Kaſtellans, und der Anblick<lb/>
eines blauen und rothen Bandes, Thuͤren<lb/>ſchnell oͤffnen, die vor dem Edelmann, der<lb/>
nichts von dem allen iſt und hat, verſchloſſen<lb/>
bleiben, und daß betitelte und bebaͤnderte Bruͤ-<lb/>
der uͤber andern, die es nicht ſind, in Be-<lb/>
werbungen um Wuͤrden und Aemter, wie in<lb/></p></div></body></text></TEI>
[88/0098]
nirgend ſo ſehr Hirngeſpinnſt, als in Polen,
wo die ganze Verfaſſung, und die ganze Reihe
von Geſetzen, aus denen ſie hervorgeht, auf
beiden gebauet iſt; und es giebt ſchwerlich ein
zweites Land, wo man, in wichtigen und un-
wichtigen Dingen, ſo begierig nach Unter-
ſcheidungszeichen waͤre und wo man, mit ſo
fruchtbarer Erfindungskraft, die Anzahl der-
ſelben ſo vermehrt haͤtte. Vergebens ſchmei-
chelt man ſich damit, daß es nur aͤußerer,
gleichguͤltiger Prunk ſey, und daß weder
Ehrenſtellen noch Ordensbaͤnder den Werth
des Edelmannes erhoͤhen, noch denſelben, wenn
er ihrer ermangelt, herabſetzen koͤnnten. Man
ſieht alle Tage, daß der Titel eines Woiwo-
den oder eines Kaſtellans, und der Anblick
eines blauen und rothen Bandes, Thuͤren
ſchnell oͤffnen, die vor dem Edelmann, der
nichts von dem allen iſt und hat, verſchloſſen
bleiben, und daß betitelte und bebaͤnderte Bruͤ-
der uͤber andern, die es nicht ſind, in Be-
werbungen um Wuͤrden und Aemter, wie in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, H. 2. Berlin, 1795, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0102_1795/98>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.