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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, H. 2. Berlin, 1795.

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Man erlaube mir, von dem Edelmann
sogleich zum Bauer überzugehen. Da diese
beiden Klassen das platte Land von Polen
bewohnen, so scheint es mir in der Ordnung,
sie hinter einander zu beschreiben. Zwar sind
sie, politisch genommen, durch den scharfen
Gränzstrich der Herrschaft und der Sklaverey
geschieden; aber, menschlich genommen, könnte
der Herr doch nicht einmal essen, wenn er die
Arme seines verachteten Sklaven nicht hätte.

Der obenerwähnte Grundsatz: nur der
Landbesitzer ist Staatsbürger
, hat das
Schicksal des Bauern in Polen entschieden
und ihn zu ewiger Knechtschaft verurtheilt. Es
ist wahr, die Leibeigenschaft folgt nicht
geradezu aus demselben, aber doch ein hoher
Grad von Unterwürfigkeit. Der Vertrag
zwischen dem Landbesitzer und Bauer kann nur
folgender seyn: "Jch, Bauer, will leben.
Um mir meinen Unterhalt zu verschaffen, habe
ich nichts gelernt, als das Land bauen. Jch
habe kein Land, denn du, Edelmann, besitzest

Man erlaube mir, von dem Edelmann
ſogleich zum Bauer uͤberzugehen. Da dieſe
beiden Klaſſen das platte Land von Polen
bewohnen, ſo ſcheint es mir in der Ordnung,
ſie hinter einander zu beſchreiben. Zwar ſind
ſie, politiſch genommen, durch den ſcharfen
Graͤnzſtrich der Herrſchaft und der Sklaverey
geſchieden; aber, menſchlich genommen, koͤnnte
der Herr doch nicht einmal eſſen, wenn er die
Arme ſeines verachteten Sklaven nicht haͤtte.

Der obenerwaͤhnte Grundſatz: nur der
Landbeſitzer iſt Staatsbuͤrger
, hat das
Schickſal des Bauern in Polen entſchieden
und ihn zu ewiger Knechtſchaft verurtheilt. Es
iſt wahr, die Leibeigenſchaft folgt nicht
geradezu aus demſelben, aber doch ein hoher
Grad von Unterwuͤrfigkeit. Der Vertrag
zwiſchen dem Landbeſitzer und Bauer kann nur
folgender ſeyn: „Jch, Bauer, will leben.
Um mir meinen Unterhalt zu verſchaffen, habe
ich nichts gelernt, als das Land bauen. Jch
habe kein Land, denn du, Edelmann, beſitzeſt

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[90/0100] Man erlaube mir, von dem Edelmann ſogleich zum Bauer uͤberzugehen. Da dieſe beiden Klaſſen das platte Land von Polen bewohnen, ſo ſcheint es mir in der Ordnung, ſie hinter einander zu beſchreiben. Zwar ſind ſie, politiſch genommen, durch den ſcharfen Graͤnzſtrich der Herrſchaft und der Sklaverey geſchieden; aber, menſchlich genommen, koͤnnte der Herr doch nicht einmal eſſen, wenn er die Arme ſeines verachteten Sklaven nicht haͤtte. Der obenerwaͤhnte Grundſatz: nur der Landbeſitzer iſt Staatsbuͤrger, hat das Schickſal des Bauern in Polen entſchieden und ihn zu ewiger Knechtſchaft verurtheilt. Es iſt wahr, die Leibeigenſchaft folgt nicht geradezu aus demſelben, aber doch ein hoher Grad von Unterwuͤrfigkeit. Der Vertrag zwiſchen dem Landbeſitzer und Bauer kann nur folgender ſeyn: „Jch, Bauer, will leben. Um mir meinen Unterhalt zu verſchaffen, habe ich nichts gelernt, als das Land bauen. Jch habe kein Land, denn du, Edelmann, beſitzeſt

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, H. 2. Berlin, 1795, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0102_1795/100>, abgerufen am 22.11.2024.