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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Joseph glaubte zu ahnen, daß sein Vater dem Zusammentreffen mit ihm ausgewichen sei, und deßhalb bestand er nicht auf Erklärungen.

Es war merkwürdig, wie wenig er überhaupt fragte: er erzählte nur von sich, seinen Erlebnissen, seiner Frau, seinen Schwiegereltern, von ihrem Reichthum, und wenn er dazwischen eine Frage über Leonorens Erlebnisse und Wohlergehen einstreute, so schien er die Antwort kaum anzuhören, die Leonore in ihrer Bescheidenheit dann auch so kurz wie möglich machte, um wieder an den Lippen des theuern Bruders zu hängen.

Er sagte auch kein Wort davon, wie er sich freue, sie wiederzusehen; er hatte kein Wort der Entschuldigung, daß er ihr alle möglichen Anstrengungen zugemuthet, das Haus zum Empfange seiner Frau herzurichten -- kein Wort des Dankes für die unsägliche Mühe, welche er ihr gemacht -- aber Leonoren fiel ja auch nicht ein, so etwas zu verlangen -- nein, sie wußte ihm Dank, daß er die Zeit nicht vergeude und nur immer von sich, nur von sich rede.

Gertrude kam hereingestürzt. Sie hatte sich getummelt, daß ihr die hellen Schweißtropfen auf der Stirne standen. Sie wollte Rath und Hülfe von Leonoren zur Herrichtung der Tafel. Als Leonore mit ihr auf dem Wege zur Küche war, sagte sie:

Um Gottes willen, gnädiges Fräulein -- an Eins haben wir nicht gedacht -- Eins ist schrecklich, und das ist die Kammerfrau -- die Kammerfrau ist fürchterlich!

Joseph glaubte zu ahnen, daß sein Vater dem Zusammentreffen mit ihm ausgewichen sei, und deßhalb bestand er nicht auf Erklärungen.

Es war merkwürdig, wie wenig er überhaupt fragte: er erzählte nur von sich, seinen Erlebnissen, seiner Frau, seinen Schwiegereltern, von ihrem Reichthum, und wenn er dazwischen eine Frage über Leonorens Erlebnisse und Wohlergehen einstreute, so schien er die Antwort kaum anzuhören, die Leonore in ihrer Bescheidenheit dann auch so kurz wie möglich machte, um wieder an den Lippen des theuern Bruders zu hängen.

Er sagte auch kein Wort davon, wie er sich freue, sie wiederzusehen; er hatte kein Wort der Entschuldigung, daß er ihr alle möglichen Anstrengungen zugemuthet, das Haus zum Empfange seiner Frau herzurichten — kein Wort des Dankes für die unsägliche Mühe, welche er ihr gemacht — aber Leonoren fiel ja auch nicht ein, so etwas zu verlangen — nein, sie wußte ihm Dank, daß er die Zeit nicht vergeude und nur immer von sich, nur von sich rede.

Gertrude kam hereingestürzt. Sie hatte sich getummelt, daß ihr die hellen Schweißtropfen auf der Stirne standen. Sie wollte Rath und Hülfe von Leonoren zur Herrichtung der Tafel. Als Leonore mit ihr auf dem Wege zur Küche war, sagte sie:

Um Gottes willen, gnädiges Fräulein — an Eins haben wir nicht gedacht — Eins ist schrecklich, und das ist die Kammerfrau — die Kammerfrau ist fürchterlich!

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[0055] Joseph glaubte zu ahnen, daß sein Vater dem Zusammentreffen mit ihm ausgewichen sei, und deßhalb bestand er nicht auf Erklärungen. Es war merkwürdig, wie wenig er überhaupt fragte: er erzählte nur von sich, seinen Erlebnissen, seiner Frau, seinen Schwiegereltern, von ihrem Reichthum, und wenn er dazwischen eine Frage über Leonorens Erlebnisse und Wohlergehen einstreute, so schien er die Antwort kaum anzuhören, die Leonore in ihrer Bescheidenheit dann auch so kurz wie möglich machte, um wieder an den Lippen des theuern Bruders zu hängen. Er sagte auch kein Wort davon, wie er sich freue, sie wiederzusehen; er hatte kein Wort der Entschuldigung, daß er ihr alle möglichen Anstrengungen zugemuthet, das Haus zum Empfange seiner Frau herzurichten — kein Wort des Dankes für die unsägliche Mühe, welche er ihr gemacht — aber Leonoren fiel ja auch nicht ein, so etwas zu verlangen — nein, sie wußte ihm Dank, daß er die Zeit nicht vergeude und nur immer von sich, nur von sich rede. Gertrude kam hereingestürzt. Sie hatte sich getummelt, daß ihr die hellen Schweißtropfen auf der Stirne standen. Sie wollte Rath und Hülfe von Leonoren zur Herrichtung der Tafel. Als Leonore mit ihr auf dem Wege zur Küche war, sagte sie: Um Gottes willen, gnädiges Fräulein — an Eins haben wir nicht gedacht — Eins ist schrecklich, und das ist die Kammerfrau — die Kammerfrau ist fürchterlich!

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/55>, abgerufen am 25.11.2024.