Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.geschlitzten braunen Augen; die Andere, größer, eleganter gekleidet, zeigte dagegen edle, regelmäßige Züge, dunkelblonde reiche Locken und etwas wie einen Ausdruck von Kälte und Stolz, der sich um die starkgewölbten Lippen und die kräftig gezeichneten Nasenflügel gelagert. Das Oval ihres Gesichts war so regelmäßig wie aus Marmor gehauen. Sie trug einen Strohhut, mit frischem Strauß von rothen Haide- und gelben Ginsterblüten daran, in der Hand; die Andere, Kleinere trug einen Korb. Während der Jäger diese Beobachtungen gemacht, hatte er sie erreicht, und an die größere der Damen sich wendend, sagte er mit vollkommenster Unbefangenheit: Verzeihen Sie mir -- aber ich muß eine Frage an Sie richten: sind Sie nicht Jägern oder bewaffneten Leuten begegnet? Die Dame schüttelte den Lockenkopf; sie schien ein Lächeln zu verbeißen; die Andere versteckte sich hinter sie. Ich bin Wilderern auf der Spur, fuhr der junge Mann fort, der Wald ist unsicher -- Sie scheinen die Gefahr nicht zu ahnen, welche Sie bedroht. Dazu wird es Abend: nehmen Sie meine Begleitung an! Aber die Wilderer? Eben vor ihnen will ich Sie beschützen! Von einem Feinde, wie Sie, verfolgt, werden sie mehr an ihre Rettung, als an Beleidigung harmloser geschlitzten braunen Augen; die Andere, größer, eleganter gekleidet, zeigte dagegen edle, regelmäßige Züge, dunkelblonde reiche Locken und etwas wie einen Ausdruck von Kälte und Stolz, der sich um die starkgewölbten Lippen und die kräftig gezeichneten Nasenflügel gelagert. Das Oval ihres Gesichts war so regelmäßig wie aus Marmor gehauen. Sie trug einen Strohhut, mit frischem Strauß von rothen Haide- und gelben Ginsterblüten daran, in der Hand; die Andere, Kleinere trug einen Korb. Während der Jäger diese Beobachtungen gemacht, hatte er sie erreicht, und an die größere der Damen sich wendend, sagte er mit vollkommenster Unbefangenheit: Verzeihen Sie mir — aber ich muß eine Frage an Sie richten: sind Sie nicht Jägern oder bewaffneten Leuten begegnet? Die Dame schüttelte den Lockenkopf; sie schien ein Lächeln zu verbeißen; die Andere versteckte sich hinter sie. Ich bin Wilderern auf der Spur, fuhr der junge Mann fort, der Wald ist unsicher — Sie scheinen die Gefahr nicht zu ahnen, welche Sie bedroht. Dazu wird es Abend: nehmen Sie meine Begleitung an! Aber die Wilderer? Eben vor ihnen will ich Sie beschützen! Von einem Feinde, wie Sie, verfolgt, werden sie mehr an ihre Rettung, als an Beleidigung harmloser <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0012"/> geschlitzten braunen Augen; die Andere, größer, eleganter gekleidet, zeigte dagegen edle, regelmäßige Züge, dunkelblonde reiche Locken und etwas wie einen Ausdruck von Kälte und Stolz, der sich um die starkgewölbten Lippen und die kräftig gezeichneten Nasenflügel gelagert. Das Oval ihres Gesichts war so regelmäßig wie aus Marmor gehauen. Sie trug einen Strohhut, mit frischem Strauß von rothen Haide- und gelben Ginsterblüten daran, in der Hand; die Andere, Kleinere trug einen Korb.</p><lb/> <p>Während der Jäger diese Beobachtungen gemacht, hatte er sie erreicht, und an die größere der Damen sich wendend, sagte er mit vollkommenster Unbefangenheit:</p><lb/> <p>Verzeihen Sie mir — aber ich muß eine Frage an Sie richten: sind Sie nicht Jägern oder bewaffneten Leuten begegnet?</p><lb/> <p>Die Dame schüttelte den Lockenkopf; sie schien ein Lächeln zu verbeißen; die Andere versteckte sich hinter sie.</p><lb/> <p>Ich bin Wilderern auf der Spur, fuhr der junge Mann fort, der Wald ist unsicher — Sie scheinen die Gefahr nicht zu ahnen, welche Sie bedroht. Dazu wird es Abend: nehmen Sie meine Begleitung an!</p><lb/> <p>Aber die Wilderer?</p><lb/> <p>Eben vor ihnen will ich Sie beschützen!</p><lb/> <p>Von einem Feinde, wie Sie, verfolgt, werden sie mehr an ihre Rettung, als an Beleidigung harmloser<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
geschlitzten braunen Augen; die Andere, größer, eleganter gekleidet, zeigte dagegen edle, regelmäßige Züge, dunkelblonde reiche Locken und etwas wie einen Ausdruck von Kälte und Stolz, der sich um die starkgewölbten Lippen und die kräftig gezeichneten Nasenflügel gelagert. Das Oval ihres Gesichts war so regelmäßig wie aus Marmor gehauen. Sie trug einen Strohhut, mit frischem Strauß von rothen Haide- und gelben Ginsterblüten daran, in der Hand; die Andere, Kleinere trug einen Korb.
Während der Jäger diese Beobachtungen gemacht, hatte er sie erreicht, und an die größere der Damen sich wendend, sagte er mit vollkommenster Unbefangenheit:
Verzeihen Sie mir — aber ich muß eine Frage an Sie richten: sind Sie nicht Jägern oder bewaffneten Leuten begegnet?
Die Dame schüttelte den Lockenkopf; sie schien ein Lächeln zu verbeißen; die Andere versteckte sich hinter sie.
Ich bin Wilderern auf der Spur, fuhr der junge Mann fort, der Wald ist unsicher — Sie scheinen die Gefahr nicht zu ahnen, welche Sie bedroht. Dazu wird es Abend: nehmen Sie meine Begleitung an!
Aber die Wilderer?
Eben vor ihnen will ich Sie beschützen!
Von einem Feinde, wie Sie, verfolgt, werden sie mehr an ihre Rettung, als an Beleidigung harmloser
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