Schubin, Ossip: Etiquette. Eine Rococo-Arabeske. Berlin, 1887.und wie gut sie sich unterhalten, und rings um sie stirbt die Nation - an Hunger ... Und plötzlich mitten zwischen sie hinein fährt in sausendem Galopp ein anderer Sarg, von berittenen Fackelträgern umgeben, die nicht einmal in Trauer sind ... "Wer ist's, der da begraben wird?" "Der König!" Nein, nicht nur der König - ein ganzes Zeitalter mit ihm, ein Zeitalter voll geistreicher Herzlosigkeit und anmuthig schlüpfrigen Leichtsinns, voll von gedankenlos vornehmer Selbstsucht und ebenso gedankenlos vornehmer Humanität - ein Zeitalter, in dem die Kräfte eines ganzen Volkes sich dazu verbrauchten, um den Glanz eines Hofstaates zu unterhalten, - in dem der Hofstaat nichts zu thun hatte, als sich zu bemühen, einen einzigen Mann aufzuheitern! - - Das Mondlicht ist längst verglommen. Dort, in der Richtung von St. Denis, hinter der Abtei schwebt's um den Horizont blutigroth - die Röthe verbreitet sich über den ganzen Himmel - über die ganze Erde. - und wie gut sie sich unterhalten, und rings um sie stirbt die Nation – an Hunger … Und plötzlich mitten zwischen sie hinein fährt in sausendem Galopp ein anderer Sarg, von berittenen Fackelträgern umgeben, die nicht einmal in Trauer sind … „Wer ist’s, der da begraben wird?“ „Der König!“ Nein, nicht nur der König – ein ganzes Zeitalter mit ihm, ein Zeitalter voll geistreicher Herzlosigkeit und anmuthig schlüpfrigen Leichtsinns, voll von gedankenlos vornehmer Selbstsucht und ebenso gedankenlos vornehmer Humanität – ein Zeitalter, in dem die Kräfte eines ganzen Volkes sich dazu verbrauchten, um den Glanz eines Hofstaates zu unterhalten, – in dem der Hofstaat nichts zu thun hatte, als sich zu bemühen, einen einzigen Mann aufzuheitern! – – Das Mondlicht ist längst verglommen. Dort, in der Richtung von St. Denis, hinter der Abtei schwebt’s um den Horizont blutigroth – die Röthe verbreitet sich über den ganzen Himmel – über die ganze Erde. – <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0101" n="101"/> und wie gut sie sich unterhalten, und rings um sie stirbt die Nation – an Hunger …</p> <p>Und plötzlich mitten zwischen sie hinein fährt in sausendem Galopp ein anderer Sarg, von berittenen Fackelträgern umgeben, <hi rendition="#aq">die nicht einmal in Trauer sind …</hi></p> <p>„Wer ist’s, der da begraben wird?“</p> <p>„Der König!“</p> <p>Nein, nicht nur der König – ein ganzes Zeitalter mit ihm, ein Zeitalter voll geistreicher Herzlosigkeit und anmuthig schlüpfrigen Leichtsinns, voll von gedankenlos vornehmer Selbstsucht und ebenso gedankenlos vornehmer Humanität – ein Zeitalter, in dem die Kräfte eines ganzen Volkes sich dazu verbrauchten, um den Glanz <hi rendition="#aq">eines</hi> Hofstaates zu unterhalten, – in dem der Hofstaat nichts zu thun hatte, als sich zu bemühen, einen einzigen Mann aufzuheitern! – –</p> <p>Das Mondlicht ist längst verglommen. Dort, in der Richtung von St. Denis, hinter der Abtei schwebt’s um den Horizont blutigroth – die Röthe verbreitet sich über den ganzen Himmel – über die ganze Erde. –</p> </div> </body> </text> </TEI> [101/0101]
und wie gut sie sich unterhalten, und rings um sie stirbt die Nation – an Hunger …
Und plötzlich mitten zwischen sie hinein fährt in sausendem Galopp ein anderer Sarg, von berittenen Fackelträgern umgeben, die nicht einmal in Trauer sind …
„Wer ist’s, der da begraben wird?“
„Der König!“
Nein, nicht nur der König – ein ganzes Zeitalter mit ihm, ein Zeitalter voll geistreicher Herzlosigkeit und anmuthig schlüpfrigen Leichtsinns, voll von gedankenlos vornehmer Selbstsucht und ebenso gedankenlos vornehmer Humanität – ein Zeitalter, in dem die Kräfte eines ganzen Volkes sich dazu verbrauchten, um den Glanz eines Hofstaates zu unterhalten, – in dem der Hofstaat nichts zu thun hatte, als sich zu bemühen, einen einzigen Mann aufzuheitern! – –
Das Mondlicht ist längst verglommen. Dort, in der Richtung von St. Denis, hinter der Abtei schwebt’s um den Horizont blutigroth – die Röthe verbreitet sich über den ganzen Himmel – über die ganze Erde. –
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Zitationshilfe: | Schubin, Ossip: Etiquette. Eine Rococo-Arabeske. Berlin, 1887, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_etiquette_1887/101>, abgerufen am 16.02.2025. |