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Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894.

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hat sich in den Spitälern, und besonders in den Frauen-
abtheilungen, durch gütiges, zartes, verständnißvolles Ent-
gegenkommen, durch liebevolle und theilnehmende Freund-
lichkeit in hohem Grade die Sympathie, ja die Dankbarkeit
der Kranken erworben, so daß man behaupten darf, das
niedere Volk sei in seiner Weise für die Doctorinnen be-
geistert. Nur dem Verdienst meiner medicinischen Colle-
ginnen schreibe ich die bescheidenen Huldigungen zu, welche
mir bei zwei verschiedenen Veranlassungen von Leuten aus dem
Volke zu Theil wurden, und die in ihrer Schlichtheit mich
noch in der Erinnerung rühren: Mein Heft mit Notizen
in der Hand, spazirte ich eines Nachmittags im Spät-
sommer in der Nähe meiner Wohnung auf den ländlichen
Wegen, welche die Außengemeinden von Zürich so ange-
nehm als Wohnort machen, und war fleißig im Recapitu-
liren, denn ich ging aufs Examen zu. Da tritt mir aus
einem an der Straße gelegenen Gärtchen eine ältliche Frau
entgegen mit einem Strauß frischgepflückter Dorfblumen.
Nach dem üblichen: Grüez Sie (Grüß' Sie) bleibt sie vor
mir stehen und frägt: Sind Sie öpe (etwa) es Fräule
Doctere? Ja früli (freilich) gebe ich zur Antwort. Da
streckt sie mir den Blumenstrauß entgegen, so jäh, als ob sie
mich damit niederstoßen wollte und ruft aus: So, da müend
Sie abber au es Blümele ha! (Da müssen Sie aber auch
ein Blümchen haben). - Zwei Jahre darauf, als ich, von
Florenz nach Zürich reisend, in Mailand in den Nacht-
schnellzug stieg und in meinem Schaffner wieder das erste
Schwizer Gesicht vor mir hatte, sprach ich vor Freude
"züridütsch" mit ihm und bedeutete ihn, daß ich gerne ruhig
schlafen wolle, er möge für mich sorgen. Das wolle er
schon thun, erwiderte er, aber er fahre bloß bis Rothkreuz,
worauf ich ihn aufforderte, mir zu sagen, wann wir in
Rothkreuz sein würden, in der Absicht, seine Fürsorge als-

hat sich in den Spitälern, und besonders in den Frauen-
abtheilungen, durch gütiges, zartes, verständnißvolles Ent-
gegenkommen, durch liebevolle und theilnehmende Freund-
lichkeit in hohem Grade die Sympathie, ja die Dankbarkeit
der Kranken erworben, so daß man behaupten darf, das
niedere Volk sei in seiner Weise für die Doctorinnen be-
geistert. Nur dem Verdienst meiner medicinischen Colle-
ginnen schreibe ich die bescheidenen Huldigungen zu, welche
mir bei zwei verschiedenen Veranlassungen von Leuten aus dem
Volke zu Theil wurden, und die in ihrer Schlichtheit mich
noch in der Erinnerung rühren: Mein Heft mit Notizen
in der Hand, spazirte ich eines Nachmittags im Spät-
sommer in der Nähe meiner Wohnung auf den ländlichen
Wegen, welche die Außengemeinden von Zürich so ange-
nehm als Wohnort machen, und war fleißig im Recapitu-
liren, denn ich ging aufs Examen zu. Da tritt mir aus
einem an der Straße gelegenen Gärtchen eine ältliche Frau
entgegen mit einem Strauß frischgepflückter Dorfblumen.
Nach dem üblichen: Grüez Sie (Grüß' Sie) bleibt sie vor
mir stehen und frägt: Sind Sie öpe (etwa) es Fräule
Doctere? Ja früli (freilich) gebe ich zur Antwort. Da
streckt sie mir den Blumenstrauß entgegen, so jäh, als ob sie
mich damit niederstoßen wollte und ruft aus: So, da müend
Sie abber au es Blümele ha! (Da müssen Sie aber auch
ein Blümchen haben). – Zwei Jahre darauf, als ich, von
Florenz nach Zürich reisend, in Mailand in den Nacht-
schnellzug stieg und in meinem Schaffner wieder das erste
Schwizer Gesicht vor mir hatte, sprach ich vor Freude
„züridütsch“ mit ihm und bedeutete ihn, daß ich gerne ruhig
schlafen wolle, er möge für mich sorgen. Das wolle er
schon thun, erwiderte er, aber er fahre bloß bis Rothkreuz,
worauf ich ihn aufforderte, mir zu sagen, wann wir in
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[24/0027] hat sich in den Spitälern, und besonders in den Frauen- abtheilungen, durch gütiges, zartes, verständnißvolles Ent- gegenkommen, durch liebevolle und theilnehmende Freund- lichkeit in hohem Grade die Sympathie, ja die Dankbarkeit der Kranken erworben, so daß man behaupten darf, das niedere Volk sei in seiner Weise für die Doctorinnen be- geistert. Nur dem Verdienst meiner medicinischen Colle- ginnen schreibe ich die bescheidenen Huldigungen zu, welche mir bei zwei verschiedenen Veranlassungen von Leuten aus dem Volke zu Theil wurden, und die in ihrer Schlichtheit mich noch in der Erinnerung rühren: Mein Heft mit Notizen in der Hand, spazirte ich eines Nachmittags im Spät- sommer in der Nähe meiner Wohnung auf den ländlichen Wegen, welche die Außengemeinden von Zürich so ange- nehm als Wohnort machen, und war fleißig im Recapitu- liren, denn ich ging aufs Examen zu. Da tritt mir aus einem an der Straße gelegenen Gärtchen eine ältliche Frau entgegen mit einem Strauß frischgepflückter Dorfblumen. Nach dem üblichen: Grüez Sie (Grüß' Sie) bleibt sie vor mir stehen und frägt: Sind Sie öpe (etwa) es Fräule Doctere? Ja früli (freilich) gebe ich zur Antwort. Da streckt sie mir den Blumenstrauß entgegen, so jäh, als ob sie mich damit niederstoßen wollte und ruft aus: So, da müend Sie abber au es Blümele ha! (Da müssen Sie aber auch ein Blümchen haben). – Zwei Jahre darauf, als ich, von Florenz nach Zürich reisend, in Mailand in den Nacht- schnellzug stieg und in meinem Schaffner wieder das erste Schwizer Gesicht vor mir hatte, sprach ich vor Freude „züridütsch“ mit ihm und bedeutete ihn, daß ich gerne ruhig schlafen wolle, er möge für mich sorgen. Das wolle er schon thun, erwiderte er, aber er fahre bloß bis Rothkreuz, worauf ich ihn aufforderte, mir zu sagen, wann wir in Rothkreuz sein würden, in der Absicht, seine Fürsorge als-

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Zitationshilfe: Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubertfeder_studentinnen_1894/27>, abgerufen am 24.11.2024.