der Erkenntniß, der die Sehnsucht nach dem Ueber- sinnlichen und ein Vergessen der niederen Region in ihnen wirkte *).
Der Grund aller jener Widersprüche lag in ei- nem allgemeinen und alten Mißverständniß der menschlichen Natur, und in einer Umkehrung ihrer in- nern ursprünglichen Verhältnisse. In der Region des Sinnlichen sehen wir öfters den bildenden Trieb durch eine metastatische Verirrung von einem Organ auf ein anderes übergehen, und z. B. die Absonderung der Milch oder anderer Säfte an Theilen gesche- hen, welche an sich zu jener Verrichtung gänzlich ungeschickt sind. Auch die Geschichte unserer sinnlichen Neigungen ist reich an Beyspielen einer solchen metastatischen Verirrung von einem Gegen- stand auf einen andern, und schon jene Perso- nen, welche des natürlichen Gegenstandes der ehe- lichen oder elterlichen Liebe entbehren, heften öf- ters die Reigung, welche diesem gebührt, mit ihrer ganzen Stärke auf andere, leblose oder belebte Din- ge, die an sich keiner Neigung werth sind. Auf die- selbe Weise hat sich auch die Grundneigung unserer zur Liebe geschaffenen geistigen Natur, von einem ih- rem unsterblichen Bedürfniß angemessenen Gegenstand auf einen ungleich niederen, wandelbaren verirrt, und noch immer wirkt die Verirrte in einer solchen unge- schickten Region, mit der ihr eigenthümlichen Kraft und nach dem eingepflanzten Typus fort, wie ein
Nacht-
*)Creutzer,III. 466.
der Erkenntniß, der die Sehnſucht nach dem Ueber- ſinnlichen und ein Vergeſſen der niederen Region in ihnen wirkte *).
Der Grund aller jener Widerſpruͤche lag in ei- nem allgemeinen und alten Mißverſtaͤndniß der menſchlichen Natur, und in einer Umkehrung ihrer in- nern urſpruͤnglichen Verhaͤltniſſe. In der Region des Sinnlichen ſehen wir oͤfters den bildenden Trieb durch eine metaſtatiſche Verirrung von einem Organ auf ein anderes uͤbergehen, und z. B. die Abſonderung der Milch oder anderer Saͤfte an Theilen geſche- hen, welche an ſich zu jener Verrichtung gaͤnzlich ungeſchickt ſind. Auch die Geſchichte unſerer ſinnlichen Neigungen iſt reich an Beyſpielen einer ſolchen metaſtatiſchen Verirrung von einem Gegen- ſtand auf einen andern, und ſchon jene Perſo- nen, welche des natuͤrlichen Gegenſtandes der ehe- lichen oder elterlichen Liebe entbehren, heften oͤf- ters die Reigung, welche dieſem gebuͤhrt, mit ihrer ganzen Staͤrke auf andere, lebloſe oder belebte Din- ge, die an ſich keiner Neigung werth ſind. Auf die- ſelbe Weiſe hat ſich auch die Grundneigung unſerer zur Liebe geſchaffenen geiſtigen Natur, von einem ih- rem unſterblichen Beduͤrfniß angemeſſenen Gegenſtand auf einen ungleich niederen, wandelbaren verirrt, und noch immer wirkt die Verirrte in einer ſolchen unge- ſchickten Region, mit der ihr eigenthuͤmlichen Kraft und nach dem eingepflanzten Typus fort, wie ein
Nacht-
*)Creutzer,III. 466.
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der Erkenntniß, der die Sehnſucht nach dem Ueber-
ſinnlichen und ein Vergeſſen der niederen Region in
ihnen wirkte *).
Der Grund aller jener Widerſpruͤche lag in ei-
nem allgemeinen und alten Mißverſtaͤndniß der
menſchlichen Natur, und in einer Umkehrung ihrer in-
nern urſpruͤnglichen Verhaͤltniſſe. In der Region des
Sinnlichen ſehen wir oͤfters den bildenden Trieb durch
eine metaſtatiſche Verirrung von einem Organ auf
ein anderes uͤbergehen, und z. B. die Abſonderung
der Milch oder anderer Saͤfte an Theilen geſche-
hen, welche an ſich zu jener Verrichtung gaͤnzlich
ungeſchickt ſind. Auch die Geſchichte unſerer
ſinnlichen Neigungen iſt reich an Beyſpielen einer
ſolchen metaſtatiſchen Verirrung von einem Gegen-
ſtand auf einen andern, und ſchon jene Perſo-
nen, welche des natuͤrlichen Gegenſtandes der ehe-
lichen oder elterlichen Liebe entbehren, heften oͤf-
ters die Reigung, welche dieſem gebuͤhrt, mit ihrer
ganzen Staͤrke auf andere, lebloſe oder belebte Din-
ge, die an ſich keiner Neigung werth ſind. Auf die-
ſelbe Weiſe hat ſich auch die Grundneigung unſerer
zur Liebe geſchaffenen geiſtigen Natur, von einem ih-
rem unſterblichen Beduͤrfniß angemeſſenen Gegenſtand
auf einen ungleich niederen, wandelbaren verirrt, und
noch immer wirkt die Verirrte in einer ſolchen unge-
ſchickten Region, mit der ihr eigenthuͤmlichen Kraft
und nach dem eingepflanzten Typus fort, wie ein
Nacht-
*) Creutzer, III. 466.
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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/86>, abgerufen am 28.07.2024.
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