jener Stachel, welcher uns mitten in den Vergnügun- gen der Sinnenwelt kein Genüge, in allen Befriedi- gungen sinnlicher Neigungen keinen Frieden finden lä- ßet, welcher aber auch auf der anderen Seite unsere höhere Ruhe beständig unterbricht und unsere besseren Kräfte, schon dem Hafen nahe, immer zu neuen Kämpfen auffodert. Von den beyden Janusgesichtern unserer doppelsinnigen Natur, pflegt, jenem contrasti- renden Freundespaar der alten Zeit gleich, das eine dann zu lachen, wenn das andre weint, das eine zu schlummern, und nur noch im Traume zu reden, wenn das andere am hellsten wacht und das laute Wort führt. Wenn der äußere Mensch sich am ungebun- densten und fröhlichsten, in eine Fülle von Genüssen versenkt, stört jenen Rausch eine Stimme der inneren Unlust und tiefen Trauer. Wer hat es nicht, wenig- stens in den Jahren einer besseren, stilleren Kindheit erfahren, wie auf ungebundene fröhlich durchschwärmte Stunden ein noch unbekanntes Gefühl von Leere, ei- ne unwiderstehliche Schwermuth, Thränen ohne Ur- sache folgten, ja wie uns diese Schwermuth öfters mitten in der lautesten Freude überraschte? Auf der anderen Seite läßt uns der innere Mensch, wenn der äußere weint und trauert, Töne einer Freude verneh- men, die uns, wenn wir ihnen nur Gehör geben, un- sere Schmerzen bald vergessen machen, und dieser Phönix frohlockt noch in der Flamme. Je frischer und kräftiger der äußere Mensch vegetirt, desto ohnmächti- ger wird der innere, der sich dann in die Bilderwelt der dunklen Gefühle und des Traumes zurückzieht, je kräftiger dagegen der innere Mensch auflebt, desto mehr muß der äußere absterben. Eine nur gar zu alte Er-
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jener Stachel, welcher uns mitten in den Vergnuͤgun- gen der Sinnenwelt kein Genuͤge, in allen Befriedi- gungen ſinnlicher Neigungen keinen Frieden finden laͤ- ßet, welcher aber auch auf der anderen Seite unſere hoͤhere Ruhe beſtaͤndig unterbricht und unſere beſſeren Kraͤfte, ſchon dem Hafen nahe, immer zu neuen Kaͤmpfen auffodert. Von den beyden Janusgeſichtern unſerer doppelſinnigen Natur, pflegt, jenem contraſti- renden Freundespaar der alten Zeit gleich, das eine dann zu lachen, wenn das andre weint, das eine zu ſchlummern, und nur noch im Traume zu reden, wenn das andere am hellſten wacht und das laute Wort fuͤhrt. Wenn der aͤußere Menſch ſich am ungebun- denſten und froͤhlichſten, in eine Fuͤlle von Genuͤſſen verſenkt, ſtoͤrt jenen Rauſch eine Stimme der inneren Unluſt und tiefen Trauer. Wer hat es nicht, wenig- ſtens in den Jahren einer beſſeren, ſtilleren Kindheit erfahren, wie auf ungebundene froͤhlich durchſchwaͤrmte Stunden ein noch unbekanntes Gefuͤhl von Leere, ei- ne unwiderſtehliche Schwermuth, Thraͤnen ohne Ur- ſache folgten, ja wie uns dieſe Schwermuth oͤfters mitten in der lauteſten Freude uͤberraſchte? Auf der anderen Seite laͤßt uns der innere Menſch, wenn der aͤußere weint und trauert, Toͤne einer Freude verneh- men, die uns, wenn wir ihnen nur Gehoͤr geben, un- ſere Schmerzen bald vergeſſen machen, und dieſer Phoͤnix frohlockt noch in der Flamme. Je friſcher und kraͤftiger der aͤußere Menſch vegetirt, deſto ohnmaͤchti- ger wird der innere, der ſich dann in die Bilderwelt der dunklen Gefuͤhle und des Traumes zuruͤckzieht, je kraͤftiger dagegen der innere Menſch auflebt, deſto mehr muß der aͤußere abſterben. Eine nur gar zu alte Er-
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jener Stachel, welcher uns mitten in den Vergnuͤgun-
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ßet, welcher aber auch auf der anderen Seite unſere
hoͤhere Ruhe beſtaͤndig unterbricht und unſere beſſeren
Kraͤfte, ſchon dem Hafen nahe, immer zu neuen
Kaͤmpfen auffodert. Von den beyden Janusgeſichtern
unſerer doppelſinnigen Natur, pflegt, jenem contraſti-
renden Freundespaar der alten Zeit gleich, das eine
dann zu lachen, wenn das andre weint, das eine zu
ſchlummern, und nur noch im Traume zu reden, wenn
das andere am hellſten wacht und das laute Wort
fuͤhrt. Wenn der aͤußere Menſch ſich am ungebun-
denſten und froͤhlichſten, in eine Fuͤlle von Genuͤſſen
verſenkt, ſtoͤrt jenen Rauſch eine Stimme der inneren
Unluſt und tiefen Trauer. Wer hat es nicht, wenig-
ſtens in den Jahren einer beſſeren, ſtilleren Kindheit
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Stunden ein noch unbekanntes Gefuͤhl von Leere, ei-
ne unwiderſtehliche Schwermuth, Thraͤnen ohne Ur-
ſache folgten, ja wie uns dieſe Schwermuth oͤfters
mitten in der lauteſten Freude uͤberraſchte? Auf der
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aͤußere weint und trauert, Toͤne einer Freude verneh-
men, die uns, wenn wir ihnen nur Gehoͤr geben, un-
ſere Schmerzen bald vergeſſen machen, und dieſer
Phoͤnix frohlockt noch in der Flamme. Je friſcher und
kraͤftiger der aͤußere Menſch vegetirt, deſto ohnmaͤchti-
ger wird der innere, der ſich dann in die Bilderwelt
der dunklen Gefuͤhle und des Traumes zuruͤckzieht, je
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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/79>, abgerufen am 28.07.2024.
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