Mysterien, ertönte, wie in einer Shakspearischen Tra- gödie, die Stimme des Lachens über Baubo und Jac- chus; mitten unter zum Theil komischen und heitern Feyerlichkeiten, blickte öfters ein sehr ernster und tra- gischer Sinn hervor.
Ein ähnlicher Humorismus der Natur hat denn auch Liebe und Haß in der ganzen Region der Sin- nenwelt aufs mannigfaltigste verschwistert. Beyde lie- gen sich hier so nahe, daß man oft bey gewissen Aeu- ßerungen, z. B. der thierischen Natur nicht zu un- terscheiden vermag, aus welcher von beyden Quellen sie gekommen. Das Fest der Liebe wird bey vielen Thieren mit Zweykämpfen der Männchen, mit bluti- ger Erbitterung begonnen, furchtbarer Haß und ra- sende Zuneigung gehen aus derselben Basis hervor, und östers (wenn z. B. das männliche Raubthier das Weibchen, um dessen Gunst es sich lange verge- bens bemüht, zuletzt zerreißt, und mit ungewöhnlicher Wuth frißt, *) oder wenn das Weibchen mancher Insecten sein Männchen gleich nach der Begattung umbringt und zerstückt,) erscheint die sinnliche Zunei- gung nur wie ein grimmiger Haß, welcher die Mas- ke der Liebe angenommen, und umgekehrt.
So findet sich denn auch anderwärts in der Na- tur dieselbe (ironische) Zusammenstellung der entfern- testen Extreme. Unmittelbar auf den vernünftigen,
ge-
*) Wie jener Bär in einem vormaligen Thiergarten der sächsischen Schweiz.
Myſterien, ertoͤnte, wie in einer Shakſpeariſchen Tra- goͤdie, die Stimme des Lachens uͤber Baubo und Jac- chus; mitten unter zum Theil komiſchen und heitern Feyerlichkeiten, blickte oͤfters ein ſehr ernſter und tra- giſcher Sinn hervor.
Ein aͤhnlicher Humorismus der Natur hat denn auch Liebe und Haß in der ganzen Region der Sin- nenwelt aufs mannigfaltigſte verſchwiſtert. Beyde lie- gen ſich hier ſo nahe, daß man oft bey gewiſſen Aeu- ßerungen, z. B. der thieriſchen Natur nicht zu un- terſcheiden vermag, aus welcher von beyden Quellen ſie gekommen. Das Feſt der Liebe wird bey vielen Thieren mit Zweykaͤmpfen der Maͤnnchen, mit bluti- ger Erbitterung begonnen, furchtbarer Haß und ra- ſende Zuneigung gehen aus derſelben Baſis hervor, und oͤſters (wenn z. B. das maͤnnliche Raubthier das Weibchen, um deſſen Gunſt es ſich lange verge- bens bemuͤht, zuletzt zerreißt, und mit ungewoͤhnlicher Wuth frißt, *) oder wenn das Weibchen mancher Inſecten ſein Maͤnnchen gleich nach der Begattung umbringt und zerſtuͤckt,) erſcheint die ſinnliche Zunei- gung nur wie ein grimmiger Haß, welcher die Mas- ke der Liebe angenommen, und umgekehrt.
So findet ſich denn auch anderwaͤrts in der Na- tur dieſelbe (ironiſche) Zuſammenſtellung der entfern- teſten Extreme. Unmittelbar auf den vernuͤnftigen,
ge-
*) Wie jener Baͤr in einem vormaligen Thiergarten der ſaͤchſiſchen Schweiz.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0042"n="32"/>
Myſterien, ertoͤnte, wie in einer Shakſpeariſchen Tra-<lb/>
goͤdie, die Stimme des Lachens uͤber Baubo und Jac-<lb/>
chus; mitten unter zum Theil komiſchen und heitern<lb/>
Feyerlichkeiten, blickte oͤfters ein ſehr ernſter und tra-<lb/>
giſcher Sinn hervor.</p><lb/><p>Ein aͤhnlicher Humorismus der Natur hat denn<lb/>
auch Liebe und Haß in der ganzen Region der Sin-<lb/>
nenwelt aufs mannigfaltigſte verſchwiſtert. Beyde lie-<lb/>
gen ſich hier ſo nahe, daß man oft bey gewiſſen Aeu-<lb/>
ßerungen, z. B. der thieriſchen Natur nicht zu un-<lb/>
terſcheiden vermag, aus welcher von beyden Quellen<lb/>ſie gekommen. Das Feſt der Liebe wird bey vielen<lb/>
Thieren mit Zweykaͤmpfen der Maͤnnchen, mit bluti-<lb/>
ger Erbitterung begonnen, furchtbarer Haß und ra-<lb/>ſende Zuneigung gehen aus derſelben Baſis hervor,<lb/>
und oͤſters (wenn z. B. das maͤnnliche Raubthier<lb/>
das Weibchen, um deſſen Gunſt es ſich lange verge-<lb/>
bens bemuͤht, zuletzt zerreißt, und mit ungewoͤhnlicher<lb/>
Wuth frißt, <noteplace="foot"n="*)">Wie jener Baͤr in einem vormaligen Thiergarten der<lb/>ſaͤchſiſchen Schweiz.</note> oder wenn das Weibchen mancher<lb/>
Inſecten ſein Maͤnnchen gleich nach der Begattung<lb/>
umbringt und zerſtuͤckt,) erſcheint die ſinnliche Zunei-<lb/>
gung nur wie ein grimmiger Haß, welcher die Mas-<lb/>
ke der Liebe angenommen, und umgekehrt.</p><lb/><p>So findet ſich denn auch anderwaͤrts in der Na-<lb/>
tur dieſelbe (ironiſche) Zuſammenſtellung der entfern-<lb/>
teſten Extreme. Unmittelbar auf den vernuͤnftigen,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ge-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[32/0042]
Myſterien, ertoͤnte, wie in einer Shakſpeariſchen Tra-
goͤdie, die Stimme des Lachens uͤber Baubo und Jac-
chus; mitten unter zum Theil komiſchen und heitern
Feyerlichkeiten, blickte oͤfters ein ſehr ernſter und tra-
giſcher Sinn hervor.
Ein aͤhnlicher Humorismus der Natur hat denn
auch Liebe und Haß in der ganzen Region der Sin-
nenwelt aufs mannigfaltigſte verſchwiſtert. Beyde lie-
gen ſich hier ſo nahe, daß man oft bey gewiſſen Aeu-
ßerungen, z. B. der thieriſchen Natur nicht zu un-
terſcheiden vermag, aus welcher von beyden Quellen
ſie gekommen. Das Feſt der Liebe wird bey vielen
Thieren mit Zweykaͤmpfen der Maͤnnchen, mit bluti-
ger Erbitterung begonnen, furchtbarer Haß und ra-
ſende Zuneigung gehen aus derſelben Baſis hervor,
und oͤſters (wenn z. B. das maͤnnliche Raubthier
das Weibchen, um deſſen Gunſt es ſich lange verge-
bens bemuͤht, zuletzt zerreißt, und mit ungewoͤhnlicher
Wuth frißt, *) oder wenn das Weibchen mancher
Inſecten ſein Maͤnnchen gleich nach der Begattung
umbringt und zerſtuͤckt,) erſcheint die ſinnliche Zunei-
gung nur wie ein grimmiger Haß, welcher die Mas-
ke der Liebe angenommen, und umgekehrt.
So findet ſich denn auch anderwaͤrts in der Na-
tur dieſelbe (ironiſche) Zuſammenſtellung der entfern-
teſten Extreme. Unmittelbar auf den vernuͤnftigen,
ge-
*) Wie jener Baͤr in einem vormaligen Thiergarten der
ſaͤchſiſchen Schweiz.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/42>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.