Kräften welche das Gangliensystem oder vielmehr die in ihm wirkende bildende Seele besessen, statt jener göttlichen Sprache, deren Worte die Gegenstände der äußeren Natur, deren ewiger Inhalt Gott und die Liebe des Menschenherzens zu Ihm gewesen, ist uns nur noch ein Laut ohne Wesen und Körper, ein nicht mehr bildendes und schaffendes, sondern ohnmächtiges und kraftloses Wort, die Stimme und die gemeine Wörtersprache übrig geblieben. Jene Echo, die täu- schende, als sie gegen den in seiner eigenen Liebe befangenen Narciß entzündet worden, verzehrt sich selber in unglücklicher Neiguug, und wird eine kör- perlose Stimme -- ein armer Nachhall.
Wenn schon in den Zuständen eines erhöhten Er- kennens einzelne gottgeweihte Männer dahin gelangten, daß sie in der Seele Anderer zu lesen, noch nicht ausgesprochene Gedanken zu beantworten vermochten, daß sie "wußten, was im Menschen war," wie Der, durch dessen Hülfe sie jene Krast erlangten *): so läßt sich noch vielmehr in einem künftigen höheren Zustan- de eine Sprache der Seelen erwarten, worinnen sie sich die Gedanken und Empfindungen auf eine andere und wirksamere Weise mittheilen, als durch Worte. Ob- gleich unserm Wesen von jenem weiten Kreise einer geistigen liebenden Wirksamkeit, der eine ganze Welt in sich faßte, nur noch ein kleiner, enger Bezirk übrig geblieben, so ist es dennoch dieser enge Bezirk,
inner-
*) Unter andern Gregorius Lopez, bey Terstegen, am schon angeführten Orte.
Kraͤften welche das Ganglienſyſtem oder vielmehr die in ihm wirkende bildende Seele beſeſſen, ſtatt jener goͤttlichen Sprache, deren Worte die Gegenſtaͤnde der aͤußeren Natur, deren ewiger Inhalt Gott und die Liebe des Menſchenherzens zu Ihm geweſen, iſt uns nur noch ein Laut ohne Weſen und Koͤrper, ein nicht mehr bildendes und ſchaffendes, ſondern ohnmaͤchtiges und kraftloſes Wort, die Stimme und die gemeine Woͤrterſprache uͤbrig geblieben. Jene Echo, die taͤu- ſchende, als ſie gegen den in ſeiner eigenen Liebe befangenen Narciß entzuͤndet worden, verzehrt ſich ſelber in ungluͤcklicher Neiguug, und wird eine koͤr- perloſe Stimme — ein armer Nachhall.
Wenn ſchon in den Zuſtaͤnden eines erhoͤhten Er- kennens einzelne gottgeweihte Maͤnner dahin gelangten, daß ſie in der Seele Anderer zu leſen, noch nicht ausgeſprochene Gedanken zu beantworten vermochten, daß ſie „wußten, was im Menſchen war,‟ wie Der, durch deſſen Huͤlfe ſie jene Kraſt erlangten *): ſo laͤßt ſich noch vielmehr in einem kuͤnftigen hoͤheren Zuſtan- de eine Sprache der Seelen erwarten, worinnen ſie ſich die Gedanken und Empfindungen auf eine andere und wirkſamere Weiſe mittheilen, als durch Worte. Ob- gleich unſerm Weſen von jenem weiten Kreiſe einer geiſtigen liebenden Wirkſamkeit, der eine ganze Welt in ſich faßte, nur noch ein kleiner, enger Bezirk uͤbrig geblieben, ſo iſt es dennoch dieſer enge Bezirk,
inner-
*) Unter andern Gregorius Lopez, bey Terſtegen, am ſchon angefuͤhrten Orte.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0166"n="156"/>
Kraͤften welche das Ganglienſyſtem oder vielmehr die<lb/>
in ihm wirkende bildende Seele beſeſſen, ſtatt jener<lb/>
goͤttlichen Sprache, deren Worte die Gegenſtaͤnde der<lb/>
aͤußeren Natur, deren ewiger Inhalt Gott und die<lb/>
Liebe des Menſchenherzens zu Ihm geweſen, iſt uns<lb/>
nur noch ein Laut ohne Weſen und Koͤrper, ein nicht<lb/>
mehr bildendes und ſchaffendes, ſondern ohnmaͤchtiges<lb/>
und kraftloſes Wort, die Stimme und die gemeine<lb/>
Woͤrterſprache uͤbrig geblieben. Jene Echo, die taͤu-<lb/>ſchende, als ſie gegen den <hirendition="#g">in ſeiner eigenen Liebe<lb/>
befangenen</hi> Narciß entzuͤndet worden, verzehrt ſich<lb/>ſelber in ungluͤcklicher Neiguug, und wird eine koͤr-<lb/>
perloſe Stimme — ein armer Nachhall.</p><lb/><p>Wenn ſchon in den Zuſtaͤnden eines erhoͤhten Er-<lb/>
kennens einzelne gottgeweihte Maͤnner dahin gelangten,<lb/>
daß ſie in der Seele Anderer zu leſen, noch nicht<lb/>
ausgeſprochene Gedanken zu beantworten vermochten,<lb/>
daß ſie „wußten, was im Menſchen war,‟ wie <hirendition="#g">Der</hi>,<lb/>
durch deſſen Huͤlfe ſie jene Kraſt erlangten <noteplace="foot"n="*)">Unter andern Gregorius Lopez, bey Terſtegen, am ſchon<lb/>
angefuͤhrten Orte.</note>: ſo laͤßt<lb/>ſich noch vielmehr in einem kuͤnftigen hoͤheren Zuſtan-<lb/>
de eine Sprache der Seelen erwarten, worinnen ſie ſich<lb/>
die Gedanken und Empfindungen auf eine andere und<lb/>
wirkſamere Weiſe mittheilen, als durch Worte. Ob-<lb/>
gleich unſerm Weſen von jenem weiten Kreiſe einer<lb/>
geiſtigen liebenden Wirkſamkeit, der eine ganze Welt<lb/>
in ſich faßte, nur noch ein kleiner, enger Bezirk<lb/>
uͤbrig geblieben, ſo iſt es dennoch dieſer enge Bezirk,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">inner-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[156/0166]
Kraͤften welche das Ganglienſyſtem oder vielmehr die
in ihm wirkende bildende Seele beſeſſen, ſtatt jener
goͤttlichen Sprache, deren Worte die Gegenſtaͤnde der
aͤußeren Natur, deren ewiger Inhalt Gott und die
Liebe des Menſchenherzens zu Ihm geweſen, iſt uns
nur noch ein Laut ohne Weſen und Koͤrper, ein nicht
mehr bildendes und ſchaffendes, ſondern ohnmaͤchtiges
und kraftloſes Wort, die Stimme und die gemeine
Woͤrterſprache uͤbrig geblieben. Jene Echo, die taͤu-
ſchende, als ſie gegen den in ſeiner eigenen Liebe
befangenen Narciß entzuͤndet worden, verzehrt ſich
ſelber in ungluͤcklicher Neiguug, und wird eine koͤr-
perloſe Stimme — ein armer Nachhall.
Wenn ſchon in den Zuſtaͤnden eines erhoͤhten Er-
kennens einzelne gottgeweihte Maͤnner dahin gelangten,
daß ſie in der Seele Anderer zu leſen, noch nicht
ausgeſprochene Gedanken zu beantworten vermochten,
daß ſie „wußten, was im Menſchen war,‟ wie Der,
durch deſſen Huͤlfe ſie jene Kraſt erlangten *): ſo laͤßt
ſich noch vielmehr in einem kuͤnftigen hoͤheren Zuſtan-
de eine Sprache der Seelen erwarten, worinnen ſie ſich
die Gedanken und Empfindungen auf eine andere und
wirkſamere Weiſe mittheilen, als durch Worte. Ob-
gleich unſerm Weſen von jenem weiten Kreiſe einer
geiſtigen liebenden Wirkſamkeit, der eine ganze Welt
in ſich faßte, nur noch ein kleiner, enger Bezirk
uͤbrig geblieben, ſo iſt es dennoch dieſer enge Bezirk,
inner-
*) Unter andern Gregorius Lopez, bey Terſtegen, am ſchon
angefuͤhrten Orte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/166>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.