Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

grüne Laub, welches nicht, wie ein oberflächlicher An-
blick wähnte, von einem unschuldigen Zephir, sondern
von der unter ihm liegenden Schlange bewegt wurde,
die nur die über ihn liegende Decke noch unschädlich
machte, wird dann auf einmal hinweggenommen, und
der Mörder in uns, jene Furien, deren Geheul uns
Bedlam in dem Kettengerassel seiner Wahnsinnigen
nur von fern hören läßt, stehen losgelassen und durch
unsere Pflege stark geworden da, und kehren
dann zuerst ihre Waffen gegen den, der sie hegte
und groß gezogen. Eine Bußpredigt aus dem
Tollhause!

O du Unerkannter und doch herzlich Geliebter!
Laß doch meinen Mörder, der noch hier bey mir an-
geschmiedet sitzet, nicht eher los, bis er erst durch
Dich besser geworden!

Wir wollen die Prinzipien jener göttlichen Cor-
rectionsanstalt im folgenden Abschnitte etwas näher
betrachten. Eine nähere Auseinandersetzung der phy-
sischen Eigenschaften des Gangliensystemes, wird uns
hierzu den Weg bahnen.

Das Gangliensystem hat im lebendigen Organis-
mus das Amt der körperlichen Bildung und Gestal-
tung. Sein Geschäft ist: die schon vorhandene Ma-
terie zu zerstören, (daher in der Sprache und im My-
thus Hunger und Tod ein Wort) und ihre bildenden
Prinzipien sich selber zuzueignen. Freylich ist dieser
Helmontische Alchymist, -- die Magenseele -- über
dem Forschen nach dem Stein der Weisen, blind,
und zum Narren geworden. In jenes unterirdische

Ge-

gruͤne Laub, welches nicht, wie ein oberflaͤchlicher An-
blick waͤhnte, von einem unſchuldigen Zephir, ſondern
von der unter ihm liegenden Schlange bewegt wurde,
die nur die uͤber ihn liegende Decke noch unſchaͤdlich
machte, wird dann auf einmal hinweggenommen, und
der Moͤrder in uns, jene Furien, deren Geheul uns
Bedlam in dem Kettengeraſſel ſeiner Wahnſinnigen
nur von fern hoͤren laͤßt, ſtehen losgelaſſen und durch
unſere Pflege ſtark geworden da, und kehren
dann zuerſt ihre Waffen gegen den, der ſie hegte
und groß gezogen. Eine Bußpredigt aus dem
Tollhauſe!

O du Unerkannter und doch herzlich Geliebter!
Laß doch meinen Moͤrder, der noch hier bey mir an-
geſchmiedet ſitzet, nicht eher los, bis er erſt durch
Dich beſſer geworden!

Wir wollen die Prinzipien jener goͤttlichen Cor-
rectionsanſtalt im folgenden Abſchnitte etwas naͤher
betrachten. Eine naͤhere Auseinanderſetzung der phy-
ſiſchen Eigenſchaften des Ganglienſyſtemes, wird uns
hierzu den Weg bahnen.

Das Ganglienſyſtem hat im lebendigen Organis-
mus das Amt der koͤrperlichen Bildung und Geſtal-
tung. Sein Geſchaͤft iſt: die ſchon vorhandene Ma-
terie zu zerſtoͤren, (daher in der Sprache und im My-
thus Hunger und Tod ein Wort) und ihre bildenden
Prinzipien ſich ſelber zuzueignen. Freylich iſt dieſer
Helmontiſche Alchymiſt, — die Magenſeele — uͤber
dem Forſchen nach dem Stein der Weiſen, blind,
und zum Narren geworden. In jenes unterirdiſche

Ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0137" n="127"/>
gru&#x0364;ne Laub, welches nicht, wie ein oberfla&#x0364;chlicher An-<lb/>
blick wa&#x0364;hnte, von einem un&#x017F;chuldigen Zephir, &#x017F;ondern<lb/>
von der unter ihm liegenden Schlange bewegt wurde,<lb/>
die nur die u&#x0364;ber ihn liegende Decke noch un&#x017F;cha&#x0364;dlich<lb/>
machte, wird dann auf einmal hinweggenommen, und<lb/>
der Mo&#x0364;rder in uns, jene Furien, deren Geheul uns<lb/>
Bedlam in dem Kettengera&#x017F;&#x017F;el &#x017F;einer Wahn&#x017F;innigen<lb/>
nur von fern ho&#x0364;ren la&#x0364;ßt, &#x017F;tehen losgela&#x017F;&#x017F;en und durch<lb/>
un&#x017F;ere Pflege &#x017F;tark geworden da, und kehren<lb/>
dann zuer&#x017F;t ihre Waffen gegen den, der &#x017F;ie hegte<lb/>
und groß gezogen. Eine Bußpredigt aus dem<lb/>
Tollhau&#x017F;e!</p><lb/>
        <p>O du Unerkannter und doch herzlich Geliebter!<lb/>
Laß doch meinen Mo&#x0364;rder, der noch hier bey mir an-<lb/>
ge&#x017F;chmiedet &#x017F;itzet, nicht eher los, bis er er&#x017F;t durch<lb/><hi rendition="#g">Dich</hi> be&#x017F;&#x017F;er geworden!</p><lb/>
        <p>Wir wollen die Prinzipien jener go&#x0364;ttlichen Cor-<lb/>
rectionsan&#x017F;talt im folgenden Ab&#x017F;chnitte etwas na&#x0364;her<lb/>
betrachten. Eine na&#x0364;here Auseinander&#x017F;etzung der phy-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen Eigen&#x017F;chaften des Ganglien&#x017F;y&#x017F;temes, wird uns<lb/>
hierzu den Weg bahnen.</p><lb/>
        <p>Das Ganglien&#x017F;y&#x017F;tem hat im lebendigen Organis-<lb/>
mus das Amt der ko&#x0364;rperlichen Bildung und Ge&#x017F;tal-<lb/>
tung. Sein Ge&#x017F;cha&#x0364;ft i&#x017F;t: die &#x017F;chon vorhandene Ma-<lb/>
terie zu zer&#x017F;to&#x0364;ren, (daher in der Sprache und im My-<lb/>
thus Hunger und Tod ein Wort) und ihre bildenden<lb/>
Prinzipien &#x017F;ich &#x017F;elber zuzueignen. Freylich i&#x017F;t die&#x017F;er<lb/>
Helmonti&#x017F;che Alchymi&#x017F;t, &#x2014; die Magen&#x017F;eele &#x2014; u&#x0364;ber<lb/>
dem For&#x017F;chen nach dem Stein der Wei&#x017F;en, <hi rendition="#g">blind</hi>,<lb/>
und zum Narren geworden. In jenes unterirdi&#x017F;che<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ge-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0137] gruͤne Laub, welches nicht, wie ein oberflaͤchlicher An- blick waͤhnte, von einem unſchuldigen Zephir, ſondern von der unter ihm liegenden Schlange bewegt wurde, die nur die uͤber ihn liegende Decke noch unſchaͤdlich machte, wird dann auf einmal hinweggenommen, und der Moͤrder in uns, jene Furien, deren Geheul uns Bedlam in dem Kettengeraſſel ſeiner Wahnſinnigen nur von fern hoͤren laͤßt, ſtehen losgelaſſen und durch unſere Pflege ſtark geworden da, und kehren dann zuerſt ihre Waffen gegen den, der ſie hegte und groß gezogen. Eine Bußpredigt aus dem Tollhauſe! O du Unerkannter und doch herzlich Geliebter! Laß doch meinen Moͤrder, der noch hier bey mir an- geſchmiedet ſitzet, nicht eher los, bis er erſt durch Dich beſſer geworden! Wir wollen die Prinzipien jener goͤttlichen Cor- rectionsanſtalt im folgenden Abſchnitte etwas naͤher betrachten. Eine naͤhere Auseinanderſetzung der phy- ſiſchen Eigenſchaften des Ganglienſyſtemes, wird uns hierzu den Weg bahnen. Das Ganglienſyſtem hat im lebendigen Organis- mus das Amt der koͤrperlichen Bildung und Geſtal- tung. Sein Geſchaͤft iſt: die ſchon vorhandene Ma- terie zu zerſtoͤren, (daher in der Sprache und im My- thus Hunger und Tod ein Wort) und ihre bildenden Prinzipien ſich ſelber zuzueignen. Freylich iſt dieſer Helmontiſche Alchymiſt, — die Magenſeele — uͤber dem Forſchen nach dem Stein der Weiſen, blind, und zum Narren geworden. In jenes unterirdiſche Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/137
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/137>, abgerufen am 24.11.2024.