men ohne Liebe, den Schein des Lebens, ohne Leben; kaltes Feuer, warme Kälte, dunkles Licht, dürres Wasser!
Seitdem die ursprüngliche Sprache der Natur und des Gefühles, deren Inhalt Liebe des Göttlichen war, für den Menschen, weil er ihre Ausdrücke fälsch- lich auf seine eigene entartete Neigung anwendete, und bloß in dieser schlimmeren Beziehung nahm, un- mittelbar gar nicht mehr verständlich, und selbst ge- fährlich geworden ist, hat sein Geist durch Sprache und Wissenschaft einen von der Region des Gefühls (das ihm nun zum bloß sinnlichen geworden) immer mehr abführenden Weg gehen müssen. Auf der ei- nen Seite ist ihm die Scheidung von jener unsicheren dunklen Region wohlthätig, auf der andern entsetzlich tödtend, allen, auch den letzten Lebenskeim erstickend gewesen. Doch allerdings das erstere mehr als das letztere, und nicht zu unserm Nachtheil ist die an- fängliche Sprache der Poesie, zur Sprache der nüch- ternen Prosa, das Lied der Natur zur Philosophie geworden. Freylich stirbt, ohne Nahrung von oben, gar leicht der Keim der höheren Gefühle zugleich mit den niedern, und die schöne Taube, die vom Baume des Lebens mit uns redete, ist gar vielfältig zum tod- ten bleyernen Vogel geworden. *) In der That, un- ser Wissen, wie unsere Gesinnung haben sich von meh- reren Seiten bald in jene beeiste Region verloren, wo auch das letzte Gefühl, die letzte Liebe stirbt.
Aber
*) Wie in Sprache und Mythus (nach Kannt.)
men ohne Liebe, den Schein des Lebens, ohne Leben; kaltes Feuer, warme Kaͤlte, dunkles Licht, duͤrres Waſſer!
Seitdem die urſpruͤngliche Sprache der Natur und des Gefuͤhles, deren Inhalt Liebe des Goͤttlichen war, fuͤr den Menſchen, weil er ihre Ausdruͤcke faͤlſch- lich auf ſeine eigene entartete Neigung anwendete, und bloß in dieſer ſchlimmeren Beziehung nahm, un- mittelbar gar nicht mehr verſtaͤndlich, und ſelbſt ge- faͤhrlich geworden iſt, hat ſein Geiſt durch Sprache und Wiſſenſchaft einen von der Region des Gefuͤhls (das ihm nun zum bloß ſinnlichen geworden) immer mehr abfuͤhrenden Weg gehen muͤſſen. Auf der ei- nen Seite iſt ihm die Scheidung von jener unſicheren dunklen Region wohlthaͤtig, auf der andern entſetzlich toͤdtend, allen, auch den letzten Lebenskeim erſtickend geweſen. Doch allerdings das erſtere mehr als das letztere, und nicht zu unſerm Nachtheil iſt die an- faͤngliche Sprache der Poeſie, zur Sprache der nuͤch- ternen Proſa, das Lied der Natur zur Philoſophie geworden. Freylich ſtirbt, ohne Nahrung von oben, gar leicht der Keim der hoͤheren Gefuͤhle zugleich mit den niedern, und die ſchoͤne Taube, die vom Baume des Lebens mit uns redete, iſt gar vielfaͤltig zum tod- ten bleyernen Vogel geworden. *) In der That, un- ſer Wiſſen, wie unſere Geſinnung haben ſich von meh- reren Seiten bald in jene beeiste Region verloren, wo auch das letzte Gefuͤhl, die letzte Liebe ſtirbt.
Aber
*) Wie in Sprache und Mythus (nach Kannt.)
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men ohne Liebe, den Schein des Lebens, ohne Leben;
kaltes Feuer, warme Kaͤlte, dunkles Licht, duͤrres
Waſſer!
Seitdem die urſpruͤngliche Sprache der Natur
und des Gefuͤhles, deren Inhalt Liebe des Goͤttlichen
war, fuͤr den Menſchen, weil er ihre Ausdruͤcke faͤlſch-
lich auf ſeine eigene entartete Neigung anwendete,
und bloß in dieſer ſchlimmeren Beziehung nahm, un-
mittelbar gar nicht mehr verſtaͤndlich, und ſelbſt ge-
faͤhrlich geworden iſt, hat ſein Geiſt durch Sprache
und Wiſſenſchaft einen von der Region des Gefuͤhls
(das ihm nun zum bloß ſinnlichen geworden) immer
mehr abfuͤhrenden Weg gehen muͤſſen. Auf der ei-
nen Seite iſt ihm die Scheidung von jener unſicheren
dunklen Region wohlthaͤtig, auf der andern entſetzlich
toͤdtend, allen, auch den letzten Lebenskeim erſtickend
geweſen. Doch allerdings das erſtere mehr als das
letztere, und nicht zu unſerm Nachtheil iſt die an-
faͤngliche Sprache der Poeſie, zur Sprache der nuͤch-
ternen Proſa, das Lied der Natur zur Philoſophie
geworden. Freylich ſtirbt, ohne Nahrung von oben,
gar leicht der Keim der hoͤheren Gefuͤhle zugleich mit
den niedern, und die ſchoͤne Taube, die vom Baume
des Lebens mit uns redete, iſt gar vielfaͤltig zum tod-
ten bleyernen Vogel geworden. *) In der That, un-
ſer Wiſſen, wie unſere Geſinnung haben ſich von meh-
reren Seiten bald in jene beeiste Region verloren,
wo auch das letzte Gefuͤhl, die letzte Liebe ſtirbt.
Aber
*) Wie in Sprache und Mythus (nach Kannt.)
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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/102>, abgerufen am 16.02.2025.
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