ses in verschiedenen Sagen angedeutet (als jener Thurmbau, Kampf der Titanen u. s. w.) am häufig- sten jedoch wird das Bild gebraucht, daß der Mensch in der Liebe und der innigen Gemeinschaft einer Gottheit eine kurze Seeligkeit, und frühen Tod gefunden. Aber eben in jenem Naturgesetz, dessen tiefer Sinn in den Mysterien gedeutet wurde, lag der Trost über das frü- he Versinken des alten Glücks. Nur die alte Form war vernichtet, weil sie dem höheren Streben der neuen Zeit, das in dem nämlichen großen Moment, welcher die alte zur letzten Blüthe und zugleich zum Tode ge- führt hatte erwachte, zu enge war. So wurde in dem Untergang der alten Herrlichkeit, die Zuversicht ei- ner höheren, unvergänglicheren gefunden.
Und dieses ist der alte Weihgesang der Mysterien, ein Brautlied und ein Lieb der Gräber: Wer hat dich heraufgeführt hoher Frieden, wer hat dich uns gezeigt heilige Wonne! Als unsre Seele sich erhub dich zu er- fassen, starbst du, in der Gluth unsers Sehnens, der Kranz der Liebe sank auf Gräber. -- Dein eignes Streben o Mensch! hat mich, heilige Wonne herauf- geführt, in deinem eignen, noch höherem Streben, bin ich untergegangen. Eile hinaus zu immer höhe- rem Ziel! siehe bald blühet der Kranz deines Sehnens von neuem. Der Winter eilet schnell vorüber, die Stunde des Todes und der Liebe kömmt nahe!
ſes in verſchiedenen Sagen angedeutet (als jener Thurmbau, Kampf der Titanen u. ſ. w.) am haͤufig- ſten jedoch wird das Bild gebraucht, daß der Menſch in der Liebe und der innigen Gemeinſchaft einer Gottheit eine kurze Seeligkeit, und fruͤhen Tod gefunden. Aber eben in jenem Naturgeſetz, deſſen tiefer Sinn in den Myſterien gedeutet wurde, lag der Troſt uͤber das fruͤ- he Verſinken des alten Gluͤcks. Nur die alte Form war vernichtet, weil ſie dem hoͤheren Streben der neuen Zeit, das in dem naͤmlichen großen Moment, welcher die alte zur letzten Bluͤthe und zugleich zum Tode ge- fuͤhrt hatte erwachte, zu enge war. So wurde in dem Untergang der alten Herrlichkeit, die Zuverſicht ei- ner hoͤheren, unvergaͤnglicheren gefunden.
Und dieſes iſt der alte Weihgeſang der Myſterien, ein Brautlied und ein Lieb der Graͤber: Wer hat dich heraufgefuͤhrt hoher Frieden, wer hat dich uns gezeigt heilige Wonne! Als unſre Seele ſich erhub dich zu er- faſſen, ſtarbſt du, in der Gluth unſers Sehnens, der Kranz der Liebe ſank auf Graͤber. — Dein eignes Streben o Menſch! hat mich, heilige Wonne herauf- gefuͤhrt, in deinem eignen, noch hoͤherem Streben, bin ich untergegangen. Eile hinaus zu immer hoͤhe- rem Ziel! ſiehe bald bluͤhet der Kranz deines Sehnens von neuem. Der Winter eilet ſchnell voruͤber, die Stunde des Todes und der Liebe koͤmmt nahe!
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in der Liebe und der innigen Gemeinſchaft einer Gottheit
eine kurze Seeligkeit, und fruͤhen Tod gefunden. Aber
eben in jenem Naturgeſetz, deſſen tiefer Sinn in den
Myſterien gedeutet wurde, lag der Troſt uͤber das fruͤ-
he Verſinken des alten Gluͤcks. Nur die alte Form
war vernichtet, weil ſie dem hoͤheren Streben der neuen
Zeit, das in dem naͤmlichen großen Moment, welcher
die alte zur letzten Bluͤthe und zugleich zum Tode ge-
fuͤhrt hatte erwachte, zu enge war. So wurde in
dem Untergang der alten Herrlichkeit, die Zuverſicht ei-
ner hoͤheren, unvergaͤnglicheren gefunden.
Und dieſes iſt der alte Weihgeſang der Myſterien,
ein Brautlied und ein Lieb der Graͤber: Wer hat dich
heraufgefuͤhrt hoher Frieden, wer hat dich uns gezeigt
heilige Wonne! Als unſre Seele ſich erhub dich zu er-
faſſen, ſtarbſt du, in der Gluth unſers Sehnens, der
Kranz der Liebe ſank auf Graͤber. — Dein eignes
Streben o Menſch! hat mich, heilige Wonne herauf-
gefuͤhrt, in deinem eignen, noch hoͤherem Streben,
bin ich untergegangen. Eile hinaus zu immer hoͤhe-
rem Ziel! ſiehe bald bluͤhet der Kranz deines Sehnens
von neuem. Der Winter eilet ſchnell voruͤber, die
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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/94>, abgerufen am 27.11.2024.
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