zeigte, so daß der Verlust nur um so schmerzlicher ge- worden? läßt sich demnach beantworten: daß auch hier, wie dies ein allgemeines Naturgesetz ist, ein schon vorhandnes hohes Streben, durch ein neues hö- heres verdrängt sey.
Obgleich ich von diesem Verhältniß der neuen Zeit zur alten noch in der nächsten Vorlesung handeln werde, scheint mir es doch hier am rechten Orte, zu zeigen: daß auch schon in der früheren Welt diese An- sicht über den Untergang des hohen Glückes der alten Zeit, und über Untergang und Tod überhaupt ge- herrscht habe. Für mich liegt sie in den Mysterien, welche die scheidende alte Zeit, wie eine scheidende Mutter, den traurenden unglückseeligen Geschlecht der späteren Weltalter zum Trost zurückgelassen.
Es ist ein ewiges Naturgesetz, das so klar da liegt, daß es sich dem Geist des Menschen zuerst aufdringen müssen, daß die vergängliche Form der Dinge unter- geht, wenn ein neues, höheres Streben in ihnen er- wacht, und daß nicht die Zeit, nicht die Außenwelt, sondern die Psyche selber ihre Hülle zerstört, wenn die Schwingen eines neuen, freyeren Daseyns sich in ihr entfalten. Ich habe in dem ersten Theil meiner schon angeführten Schrift, da wo ich von einem scheinbaren Streben der Dinge nach ihrer eignen Vernichtung ge- handelt, in vielen Veyspielen gezeigt, daß gerade in der Gluth der seeligsten und am meisten erstrebten Au-
zeigte, ſo daß der Verluſt nur um ſo ſchmerzlicher ge- worden? laͤßt ſich demnach beantworten: daß auch hier, wie dies ein allgemeines Naturgeſetz iſt, ein ſchon vorhandnes hohes Streben, durch ein neues hoͤ- heres verdraͤngt ſey.
Obgleich ich von dieſem Verhaͤltniß der neuen Zeit zur alten noch in der naͤchſten Vorleſung handeln werde, ſcheint mir es doch hier am rechten Orte, zu zeigen: daß auch ſchon in der fruͤheren Welt dieſe An- ſicht uͤber den Untergang des hohen Gluͤckes der alten Zeit, und uͤber Untergang und Tod uͤberhaupt ge- herrſcht habe. Fuͤr mich liegt ſie in den Myſterien, welche die ſcheidende alte Zeit, wie eine ſcheidende Mutter, den traurenden ungluͤckſeeligen Geſchlecht der ſpaͤteren Weltalter zum Troſt zuruͤckgelaſſen.
Es iſt ein ewiges Naturgeſetz, das ſo klar da liegt, daß es ſich dem Geiſt des Menſchen zuerſt aufdringen muͤſſen, daß die vergaͤngliche Form der Dinge unter- geht, wenn ein neues, hoͤheres Streben in ihnen er- wacht, und daß nicht die Zeit, nicht die Außenwelt, ſondern die Pſyche ſelber ihre Huͤlle zerſtoͤrt, wenn die Schwingen eines neuen, freyeren Daſeyns ſich in ihr entfalten. Ich habe in dem erſten Theil meiner ſchon angefuͤhrten Schrift, da wo ich von einem ſcheinbaren Streben der Dinge nach ihrer eignen Vernichtung ge- handelt, in vielen Veyſpielen gezeigt, daß gerade in der Gluth der ſeeligſten und am meiſten erſtrebten Au-
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zeigte, ſo daß der Verluſt nur um ſo ſchmerzlicher ge-
worden? laͤßt ſich demnach beantworten: daß auch
hier, wie dies ein allgemeines Naturgeſetz iſt, ein
ſchon vorhandnes hohes Streben, durch ein neues hoͤ-
heres verdraͤngt ſey.
Obgleich ich von dieſem Verhaͤltniß der neuen Zeit
zur alten noch in der naͤchſten Vorleſung handeln
werde, ſcheint mir es doch hier am rechten Orte, zu
zeigen: daß auch ſchon in der fruͤheren Welt dieſe An-
ſicht uͤber den Untergang des hohen Gluͤckes der alten
Zeit, und uͤber Untergang und Tod uͤberhaupt ge-
herrſcht habe. Fuͤr mich liegt ſie in den Myſterien,
welche die ſcheidende alte Zeit, wie eine ſcheidende
Mutter, den traurenden ungluͤckſeeligen Geſchlecht der
ſpaͤteren Weltalter zum Troſt zuruͤckgelaſſen.
Es iſt ein ewiges Naturgeſetz, das ſo klar da liegt,
daß es ſich dem Geiſt des Menſchen zuerſt aufdringen
muͤſſen, daß die vergaͤngliche Form der Dinge unter-
geht, wenn ein neues, hoͤheres Streben in ihnen er-
wacht, und daß nicht die Zeit, nicht die Außenwelt,
ſondern die Pſyche ſelber ihre Huͤlle zerſtoͤrt, wenn die
Schwingen eines neuen, freyeren Daſeyns ſich in ihr
entfalten. Ich habe in dem erſten Theil meiner ſchon
angefuͤhrten Schrift, da wo ich von einem ſcheinbaren
Streben der Dinge nach ihrer eignen Vernichtung ge-
handelt, in vielen Veyſpielen gezeigt, daß gerade in
der Gluth der ſeeligſten und am meiſten erſtrebten Au-
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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/83>, abgerufen am 24.11.2024.
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