Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Seele desselben nicht klar bewußt geworden. Diese, wenn
auch nur dunkel gemachte Erfahrung, kommt derselben
jetzt zu Hülfe, wenn sie die Zeit, welche sonst ver-
strichen, ehe das, was jene einzelnen ergriffen, sich
des ganzen Organismus bemächtiget, auch auf den jetzi-
gen Fall anwendet. Auf diese Weise scheint den mag-
netisch Schlafenden jenes wunderbare, und für sich al-
lein unglaublich scheinende Vorherwissen möglich. --

Selbst jenes etwas lange Vorherwissen, von wel-
chem ich etliche Fälle Heinecken nacherzählte, welches
öfters über mehrere Monate hinausreichte, wird uns
weniger befremden, wenn wir bemerken, wie einzel-
ne Organe anderen in Hinsicht der Entwicklung selbst
um viele Jahre vorausgehen. Und zwar dieses im ge-
sunden Zustande des Körpers. Es ist dasselbe Leben,
das sich in den einzelnen Organen eines und desselben
individuellen Wesens ausspricht, und in ihnen entwick-
let, und dennoch bildet sich dasselbe, wie ich ander-
wärts gezeigt habe, z. B. an dem Auge, schon in
den ersten Jahren der Kindheit aus, während es sich
an andern, z. B. an dem Magen, erst gegen die Mitte
des Lebens, bey andern Organen noch später vollendet.
Dasselbe individuelle Leben, das aus der ganzen Na-
tur des Individuums hervorgegangen, an allen Orga-
nen denselben bestimmten Charakter zeigt, hält mithin
bey jenen früher reifenden Theilen, von seinem Begin-
nen bis zu seinem höchsten Gipfel, einen, wenig Jahre
dauernden Verlauf, während welchem aber alles das,
mit seinem bestimmten Charakter, und in seiner bestimm-
ten Aufeinanderfolge hervortritt, was bey vollkomm-
neren Organen in dem langen Verlauf eines halben
Menschenlebens entwicklet wird. Ein aufmerksamer
Sinn könnte in dem kurzen Lebenslauf jener einzelnen

Seele deſſelben nicht klar bewußt geworden. Dieſe, wenn
auch nur dunkel gemachte Erfahrung, kommt derſelben
jetzt zu Huͤlfe, wenn ſie die Zeit, welche ſonſt ver-
ſtrichen, ehe das, was jene einzelnen ergriffen, ſich
des ganzen Organismus bemaͤchtiget, auch auf den jetzi-
gen Fall anwendet. Auf dieſe Weiſe ſcheint den mag-
netiſch Schlafenden jenes wunderbare, und fuͤr ſich al-
lein unglaublich ſcheinende Vorherwiſſen moͤglich. —

Selbſt jenes etwas lange Vorherwiſſen, von wel-
chem ich etliche Faͤlle Heinecken nacherzaͤhlte, welches
oͤfters uͤber mehrere Monate hinausreichte, wird uns
weniger befremden, wenn wir bemerken, wie einzel-
ne Organe anderen in Hinſicht der Entwicklung ſelbſt
um viele Jahre vorausgehen. Und zwar dieſes im ge-
ſunden Zuſtande des Koͤrpers. Es iſt daſſelbe Leben,
das ſich in den einzelnen Organen eines und deſſelben
individuellen Weſens ausſpricht, und in ihnen entwick-
let, und dennoch bildet ſich daſſelbe, wie ich ander-
waͤrts gezeigt habe, z. B. an dem Auge, ſchon in
den erſten Jahren der Kindheit aus, waͤhrend es ſich
an andern, z. B. an dem Magen, erſt gegen die Mitte
des Lebens, bey andern Organen noch ſpaͤter vollendet.
Daſſelbe individuelle Leben, das aus der ganzen Na-
tur des Individuums hervorgegangen, an allen Orga-
nen denſelben beſtimmten Charakter zeigt, haͤlt mithin
bey jenen fruͤher reifenden Theilen, von ſeinem Begin-
nen bis zu ſeinem hoͤchſten Gipfel, einen, wenig Jahre
dauernden Verlauf, waͤhrend welchem aber alles das,
mit ſeinem beſtimmten Charakter, und in ſeiner beſtimm-
ten Aufeinanderfolge hervortritt, was bey vollkomm-
neren Organen in dem langen Verlauf eines halben
Menſchenlebens entwicklet wird. Ein aufmerkſamer
Sinn koͤnnte in dem kurzen Lebenslauf jener einzelnen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0384" n="370"/>
Seele de&#x017F;&#x017F;elben nicht klar bewußt geworden. Die&#x017F;e, wenn<lb/>
auch nur dunkel gemachte Erfahrung, kommt der&#x017F;elben<lb/>
jetzt zu Hu&#x0364;lfe, wenn &#x017F;ie die Zeit, welche &#x017F;on&#x017F;t ver-<lb/>
&#x017F;trichen, ehe das, was jene einzelnen ergriffen, &#x017F;ich<lb/>
des ganzen Organismus bema&#x0364;chtiget, auch auf den jetzi-<lb/>
gen Fall anwendet. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e &#x017F;cheint den mag-<lb/>
neti&#x017F;ch Schlafenden jenes wunderbare, und fu&#x0364;r &#x017F;ich al-<lb/>
lein unglaublich &#x017F;cheinende Vorherwi&#x017F;&#x017F;en mo&#x0364;glich. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Selb&#x017F;t jenes etwas lange Vorherwi&#x017F;&#x017F;en, von wel-<lb/>
chem ich etliche Fa&#x0364;lle Heinecken nacherza&#x0364;hlte, welches<lb/>
o&#x0364;fters u&#x0364;ber mehrere Monate hinausreichte, wird uns<lb/>
weniger befremden, wenn wir bemerken, wie einzel-<lb/>
ne Organe anderen in Hin&#x017F;icht der Entwicklung &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
um viele Jahre vorausgehen. Und zwar die&#x017F;es im ge-<lb/>
&#x017F;unden Zu&#x017F;tande des Ko&#x0364;rpers. Es i&#x017F;t da&#x017F;&#x017F;elbe Leben,<lb/>
das &#x017F;ich in den einzelnen Organen eines und de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
individuellen We&#x017F;ens aus&#x017F;pricht, und in ihnen entwick-<lb/>
let, und dennoch bildet &#x017F;ich da&#x017F;&#x017F;elbe, wie ich ander-<lb/>
wa&#x0364;rts gezeigt habe, z. B. an dem Auge, &#x017F;chon in<lb/>
den er&#x017F;ten Jahren der Kindheit aus, wa&#x0364;hrend es &#x017F;ich<lb/>
an andern, z. B. an dem Magen, er&#x017F;t gegen die Mitte<lb/>
des Lebens, bey andern Organen noch &#x017F;pa&#x0364;ter vollendet.<lb/>
Da&#x017F;&#x017F;elbe individuelle Leben, das aus der ganzen Na-<lb/>
tur des Individuums hervorgegangen, an allen Orga-<lb/>
nen den&#x017F;elben be&#x017F;timmten Charakter zeigt, ha&#x0364;lt mithin<lb/>
bey jenen fru&#x0364;her reifenden Theilen, von &#x017F;einem Begin-<lb/>
nen bis zu &#x017F;einem ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gipfel, einen, wenig Jahre<lb/>
dauernden Verlauf, wa&#x0364;hrend welchem aber alles das,<lb/>
mit &#x017F;einem be&#x017F;timmten Charakter, und in &#x017F;einer be&#x017F;timm-<lb/>
ten Aufeinanderfolge hervortritt, was bey vollkomm-<lb/>
neren Organen in dem langen Verlauf eines halben<lb/>
Men&#x017F;chenlebens entwicklet wird. Ein aufmerk&#x017F;amer<lb/>
Sinn ko&#x0364;nnte in dem kurzen Lebenslauf jener einzelnen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[370/0384] Seele deſſelben nicht klar bewußt geworden. Dieſe, wenn auch nur dunkel gemachte Erfahrung, kommt derſelben jetzt zu Huͤlfe, wenn ſie die Zeit, welche ſonſt ver- ſtrichen, ehe das, was jene einzelnen ergriffen, ſich des ganzen Organismus bemaͤchtiget, auch auf den jetzi- gen Fall anwendet. Auf dieſe Weiſe ſcheint den mag- netiſch Schlafenden jenes wunderbare, und fuͤr ſich al- lein unglaublich ſcheinende Vorherwiſſen moͤglich. — Selbſt jenes etwas lange Vorherwiſſen, von wel- chem ich etliche Faͤlle Heinecken nacherzaͤhlte, welches oͤfters uͤber mehrere Monate hinausreichte, wird uns weniger befremden, wenn wir bemerken, wie einzel- ne Organe anderen in Hinſicht der Entwicklung ſelbſt um viele Jahre vorausgehen. Und zwar dieſes im ge- ſunden Zuſtande des Koͤrpers. Es iſt daſſelbe Leben, das ſich in den einzelnen Organen eines und deſſelben individuellen Weſens ausſpricht, und in ihnen entwick- let, und dennoch bildet ſich daſſelbe, wie ich ander- waͤrts gezeigt habe, z. B. an dem Auge, ſchon in den erſten Jahren der Kindheit aus, waͤhrend es ſich an andern, z. B. an dem Magen, erſt gegen die Mitte des Lebens, bey andern Organen noch ſpaͤter vollendet. Daſſelbe individuelle Leben, das aus der ganzen Na- tur des Individuums hervorgegangen, an allen Orga- nen denſelben beſtimmten Charakter zeigt, haͤlt mithin bey jenen fruͤher reifenden Theilen, von ſeinem Begin- nen bis zu ſeinem hoͤchſten Gipfel, einen, wenig Jahre dauernden Verlauf, waͤhrend welchem aber alles das, mit ſeinem beſtimmten Charakter, und in ſeiner beſtimm- ten Aufeinanderfolge hervortritt, was bey vollkomm- neren Organen in dem langen Verlauf eines halben Menſchenlebens entwicklet wird. Ein aufmerkſamer Sinn koͤnnte in dem kurzen Lebenslauf jener einzelnen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/384
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/384>, abgerufen am 22.11.2024.