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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

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über zu sprechen vermochte. Sie fieng dann immer
von selber an, den Faden des neulich abgebrochnen
Gesprächs wieder aufzufaßen, und löste mit wenig
Worten alles dunkel gebliebne auf. So wußte sie vor-
aus, wenn ihr geistiges Vermögen jenen Zustand einer
höheren Klarheit erlangt haben würde, wo demselben
tiefer liegende Gegenstände deutlicher seyn müßten.

Nur einmal sehen wir in Heineckens Krankenge-
schichten eine solche Vorhersagung unerfüllt geblieben,
doch war auch da wirklich der magnetische Schlaf, wäh-
rend welchem sie geschahe, unvollkommner gewesen als
sonst. Als nämlich das junge reizbare Fräulein, de-
ren Krankengeschichte die zweyte von ihm erzählte ist,
eines Tages viele Stunden lang sich in einem unvoll-
kommnen Somnambulismus befand, wo sie die Au-
gen zuweilen geöffnet hatte wie beym Wachen, und
nur durch die eigenthümliche Sprache, die sie jedesmal
im magnetischen Schlaf zu sprechen pflegte, diesen Zu-
stand verrieth, sahe sie, während eines solchen unvoll-
kommnen Zwischenzustandes, einen Schieferdecker, der
auf der Spitze des nahen Thurms arbeitete. Hier-
durch wurden in ihr so viele traurige Vorstellungen von
Gefahren und plötzlichen Todesfällen erregt, daß sie
sich dieser Gedanken bald nachher auch im vollkommnen
magnetischen Schlafe nicht entschlagen konnte, wo sie
wie eine Sterbende von ihren Verwanden Abschied
nahm, und ihren Tod auf die nächste Nacht voraus-
verkündigte. Als sie am andern Tag wo sie gesund
und heiter, und von dem was sie im magnetischen

uͤber zu ſprechen vermochte. Sie fieng dann immer
von ſelber an, den Faden des neulich abgebrochnen
Geſpraͤchs wieder aufzufaßen, und loͤſte mit wenig
Worten alles dunkel gebliebne auf. So wußte ſie vor-
aus, wenn ihr geiſtiges Vermoͤgen jenen Zuſtand einer
hoͤheren Klarheit erlangt haben wuͤrde, wo demſelben
tiefer liegende Gegenſtaͤnde deutlicher ſeyn muͤßten.

Nur einmal ſehen wir in Heineckens Krankenge-
ſchichten eine ſolche Vorherſagung unerfuͤllt geblieben,
doch war auch da wirklich der magnetiſche Schlaf, waͤh-
rend welchem ſie geſchahe, unvollkommner geweſen als
ſonſt. Als naͤmlich das junge reizbare Fraͤulein, de-
ren Krankengeſchichte die zweyte von ihm erzaͤhlte iſt,
eines Tages viele Stunden lang ſich in einem unvoll-
kommnen Somnambulismus befand, wo ſie die Au-
gen zuweilen geoͤffnet hatte wie beym Wachen, und
nur durch die eigenthuͤmliche Sprache, die ſie jedesmal
im magnetiſchen Schlaf zu ſprechen pflegte, dieſen Zu-
ſtand verrieth, ſahe ſie, waͤhrend eines ſolchen unvoll-
kommnen Zwiſchenzuſtandes, einen Schieferdecker, der
auf der Spitze des nahen Thurms arbeitete. Hier-
durch wurden in ihr ſo viele traurige Vorſtellungen von
Gefahren und ploͤtzlichen Todesfaͤllen erregt, daß ſie
ſich dieſer Gedanken bald nachher auch im vollkommnen
magnetiſchen Schlafe nicht entſchlagen konnte, wo ſie
wie eine Sterbende von ihren Verwanden Abſchied
nahm, und ihren Tod auf die naͤchſte Nacht voraus-
verkuͤndigte. Als ſie am andern Tag wo ſie geſund
und heiter, und von dem was ſie im magnetiſchen

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[343/0357] uͤber zu ſprechen vermochte. Sie fieng dann immer von ſelber an, den Faden des neulich abgebrochnen Geſpraͤchs wieder aufzufaßen, und loͤſte mit wenig Worten alles dunkel gebliebne auf. So wußte ſie vor- aus, wenn ihr geiſtiges Vermoͤgen jenen Zuſtand einer hoͤheren Klarheit erlangt haben wuͤrde, wo demſelben tiefer liegende Gegenſtaͤnde deutlicher ſeyn muͤßten. Nur einmal ſehen wir in Heineckens Krankenge- ſchichten eine ſolche Vorherſagung unerfuͤllt geblieben, doch war auch da wirklich der magnetiſche Schlaf, waͤh- rend welchem ſie geſchahe, unvollkommner geweſen als ſonſt. Als naͤmlich das junge reizbare Fraͤulein, de- ren Krankengeſchichte die zweyte von ihm erzaͤhlte iſt, eines Tages viele Stunden lang ſich in einem unvoll- kommnen Somnambulismus befand, wo ſie die Au- gen zuweilen geoͤffnet hatte wie beym Wachen, und nur durch die eigenthuͤmliche Sprache, die ſie jedesmal im magnetiſchen Schlaf zu ſprechen pflegte, dieſen Zu- ſtand verrieth, ſahe ſie, waͤhrend eines ſolchen unvoll- kommnen Zwiſchenzuſtandes, einen Schieferdecker, der auf der Spitze des nahen Thurms arbeitete. Hier- durch wurden in ihr ſo viele traurige Vorſtellungen von Gefahren und ploͤtzlichen Todesfaͤllen erregt, daß ſie ſich dieſer Gedanken bald nachher auch im vollkommnen magnetiſchen Schlafe nicht entſchlagen konnte, wo ſie wie eine Sterbende von ihren Verwanden Abſchied nahm, und ihren Tod auf die naͤchſte Nacht voraus- verkuͤndigte. Als ſie am andern Tag wo ſie geſund und heiter, und von dem was ſie im magnetiſchen

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/357>, abgerufen am 25.11.2024.