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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

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jener höheren Welt, die sich in der Tiefe des Gemüths
wiederspiegelt, in den Augenblicken der höchsten irdi-
schen Thätigkeit unvernehmlich wird, aber so wie der
negative Pol des Magnets und überhaupt jedes Gegen-
satzes um so stärker ist, je stärker der positive, so wird
auch jene Hingebung, jene wahrhafte Passivität, wel-
che uns der höheren Einwirkung fahig macht, erst durch
vorhergegangene Selbstthätigkeit, und nur im Maaße
derselben möglich. Ueberhaupt müssen die krankhaf-
ten Zustände, von denen ich nächstens reden werde,
nicht mit jener edlen und hohen Empfänglichkeit und
wahrhaften Hingebung des ganzen Gemüths für den
göttlichen Einfluß zusammengestellt werden, die nur
durch einen edlen Kampf nach außen zu erringen sind,
vielmehr gleichen sie jenen gewaltsamen Mitteln, durch
welche in dem Körper der zerschnittenen Raupe die Flü-
gel des künftigen Schmetterlings sichtbar gemacht
werden.

Endlich, wie in der Geschichte des einzelnen Men-
schen, jener am tiefsten liegende Keim sich in der 2ten
Hälfte des Daseyns, und gegen das Ende des Lebens
immer deutlicher entfaltet, und um so schöner, je klä-
rer der Mensch in der Wechselwirkung mit der Außen-
welt sich selber geworden, so scheint auch in der Ge-
schichte seines ganzen Geschlechts jener Baum des Pa-
radieses, wie ihn die Dichter nannten, jene unsterbli-
che Gabe einer höheren Welt zuletzt immer frölicher und
allgemeiner gedeihen zu müssen. Wie in jenem Mähr-

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jener hoͤheren Welt, die ſich in der Tiefe des Gemuͤths
wiederſpiegelt, in den Augenblicken der hoͤchſten irdi-
ſchen Thaͤtigkeit unvernehmlich wird, aber ſo wie der
negative Pol des Magnets und uͤberhaupt jedes Gegen-
ſatzes um ſo ſtaͤrker iſt, je ſtaͤrker der poſitive, ſo wird
auch jene Hingebung, jene wahrhafte Paſſivitaͤt, wel-
che uns der hoͤheren Einwirkung fahig macht, erſt durch
vorhergegangene Selbſtthaͤtigkeit, und nur im Maaße
derſelben moͤglich. Ueberhaupt muͤſſen die krankhaf-
ten Zuſtaͤnde, von denen ich naͤchſtens reden werde,
nicht mit jener edlen und hohen Empfaͤnglichkeit und
wahrhaften Hingebung des ganzen Gemuͤths fuͤr den
goͤttlichen Einfluß zuſammengeſtellt werden, die nur
durch einen edlen Kampf nach außen zu erringen ſind,
vielmehr gleichen ſie jenen gewaltſamen Mitteln, durch
welche in dem Koͤrper der zerſchnittenen Raupe die Fluͤ-
gel des kuͤnftigen Schmetterlings ſichtbar gemacht
werden.

Endlich, wie in der Geſchichte des einzelnen Men-
ſchen, jener am tiefſten liegende Keim ſich in der 2ten
Haͤlfte des Daſeyns, und gegen das Ende des Lebens
immer deutlicher entfaltet, und um ſo ſchoͤner, je klaͤ-
rer der Menſch in der Wechſelwirkung mit der Außen-
welt ſich ſelber geworden, ſo ſcheint auch in der Ge-
ſchichte ſeines ganzen Geſchlechts jener Baum des Pa-
radieſes, wie ihn die Dichter nannten, jene unſterbli-
che Gabe einer hoͤheren Welt zuletzt immer froͤlicher und
allgemeiner gedeihen zu muͤſſen. Wie in jenem Maͤhr-

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[323/0337] jener hoͤheren Welt, die ſich in der Tiefe des Gemuͤths wiederſpiegelt, in den Augenblicken der hoͤchſten irdi- ſchen Thaͤtigkeit unvernehmlich wird, aber ſo wie der negative Pol des Magnets und uͤberhaupt jedes Gegen- ſatzes um ſo ſtaͤrker iſt, je ſtaͤrker der poſitive, ſo wird auch jene Hingebung, jene wahrhafte Paſſivitaͤt, wel- che uns der hoͤheren Einwirkung fahig macht, erſt durch vorhergegangene Selbſtthaͤtigkeit, und nur im Maaße derſelben moͤglich. Ueberhaupt muͤſſen die krankhaf- ten Zuſtaͤnde, von denen ich naͤchſtens reden werde, nicht mit jener edlen und hohen Empfaͤnglichkeit und wahrhaften Hingebung des ganzen Gemuͤths fuͤr den goͤttlichen Einfluß zuſammengeſtellt werden, die nur durch einen edlen Kampf nach außen zu erringen ſind, vielmehr gleichen ſie jenen gewaltſamen Mitteln, durch welche in dem Koͤrper der zerſchnittenen Raupe die Fluͤ- gel des kuͤnftigen Schmetterlings ſichtbar gemacht werden. Endlich, wie in der Geſchichte des einzelnen Men- ſchen, jener am tiefſten liegende Keim ſich in der 2ten Haͤlfte des Daſeyns, und gegen das Ende des Lebens immer deutlicher entfaltet, und um ſo ſchoͤner, je klaͤ- rer der Menſch in der Wechſelwirkung mit der Außen- welt ſich ſelber geworden, ſo ſcheint auch in der Ge- ſchichte ſeines ganzen Geſchlechts jener Baum des Pa- radieſes, wie ihn die Dichter nannten, jene unſterbli- che Gabe einer hoͤheren Welt zuletzt immer froͤlicher und allgemeiner gedeihen zu muͤſſen. Wie in jenem Maͤhr- X 2

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/337>, abgerufen am 24.11.2024.