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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

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Pflanze hervorgetreten war. So hat die Blüthe,
noch in dem Augenblick ihres Sterbens, ein deutliches
Vorgefühl, und selbst den lebendigen Ausdruck eines hö-
heren Lebens, wie sich auch bey dem Menschen gerade
in den höchsten, geistigsten Augenblicken seines Da-
seyns, welche für dieses zugleich die zerstörendsten
sind, die Vorahndung eines höheren künftigen Zustan-
des zu entfalten scheint. Es werden in solchen Mo-
menten das Organ und die bisher tief im Innern ver-
borgnen Kräfte eines vollkommneren Lebens aufgeweckt
und belebt, und wir erkennen sie öfters in jenen Aeuße-
rungen, welche wunderbar über die gewöhnlichen Grän-
zen unsrer Natur hinüberreichen. Die einmal erwach-
te Psyche des höheren Lebens, bildet sich nun mitten
in der alten Hülle aus, und zerstört diese, wie die
wachsenden Flügel des Schmetterlings die ihrige, bald
schneller bald allmäliger. Auf solche Weise wirken die
höchsten Momente des individuellen Daseyns, für
dieses selber zerstörend, weil in ihnen ein künftiger
höherer Zustand, in dem vorhergehenden unvollkomm-
neren eingreift. Hierinnen bezeugt die Natur öfters,
durch deutliche Thatsachen, die Unsterblichkeit der inn-
ren Lebensursache, und wir sehen ein Daseyn in das
andre übergehen, ein künftiges in das vorhergehende
hineinreichen, worauf wir noch künftig zurückkommen
werden.

Wir sehen dem zu Folge fast jede vollkommnere
Pflanze, wenigstens in ihrer Blüthe, an das Thierreich

Pflanze hervorgetreten war. So hat die Bluͤthe,
noch in dem Augenblick ihres Sterbens, ein deutliches
Vorgefuͤhl, und ſelbſt den lebendigen Ausdruck eines hoͤ-
heren Lebens, wie ſich auch bey dem Menſchen gerade
in den hoͤchſten, geiſtigſten Augenblicken ſeines Da-
ſeyns, welche fuͤr dieſes zugleich die zerſtoͤrendſten
ſind, die Vorahndung eines hoͤheren kuͤnftigen Zuſtan-
des zu entfalten ſcheint. Es werden in ſolchen Mo-
menten das Organ und die bisher tief im Innern ver-
borgnen Kraͤfte eines vollkommneren Lebens aufgeweckt
und belebt, und wir erkennen ſie oͤfters in jenen Aeuße-
rungen, welche wunderbar uͤber die gewoͤhnlichen Graͤn-
zen unſrer Natur hinuͤberreichen. Die einmal erwach-
te Pſyche des hoͤheren Lebens, bildet ſich nun mitten
in der alten Huͤlle aus, und zerſtoͤrt dieſe, wie die
wachſenden Fluͤgel des Schmetterlings die ihrige, bald
ſchneller bald allmaͤliger. Auf ſolche Weiſe wirken die
hoͤchſten Momente des individuellen Daſeyns, fuͤr
dieſes ſelber zerſtoͤrend, weil in ihnen ein kuͤnftiger
hoͤherer Zuſtand, in dem vorhergehenden unvollkomm-
neren eingreift. Hierinnen bezeugt die Natur oͤfters,
durch deutliche Thatſachen, die Unſterblichkeit der inn-
ren Lebensurſache, und wir ſehen ein Daſeyn in das
andre uͤbergehen, ein kuͤnftiges in das vorhergehende
hineinreichen, worauf wir noch kuͤnftig zuruͤckkommen
werden.

Wir ſehen dem zu Folge faſt jede vollkommnere
Pflanze, wenigſtens in ihrer Bluͤthe, an das Thierreich

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[250/0264] Pflanze hervorgetreten war. So hat die Bluͤthe, noch in dem Augenblick ihres Sterbens, ein deutliches Vorgefuͤhl, und ſelbſt den lebendigen Ausdruck eines hoͤ- heren Lebens, wie ſich auch bey dem Menſchen gerade in den hoͤchſten, geiſtigſten Augenblicken ſeines Da- ſeyns, welche fuͤr dieſes zugleich die zerſtoͤrendſten ſind, die Vorahndung eines hoͤheren kuͤnftigen Zuſtan- des zu entfalten ſcheint. Es werden in ſolchen Mo- menten das Organ und die bisher tief im Innern ver- borgnen Kraͤfte eines vollkommneren Lebens aufgeweckt und belebt, und wir erkennen ſie oͤfters in jenen Aeuße- rungen, welche wunderbar uͤber die gewoͤhnlichen Graͤn- zen unſrer Natur hinuͤberreichen. Die einmal erwach- te Pſyche des hoͤheren Lebens, bildet ſich nun mitten in der alten Huͤlle aus, und zerſtoͤrt dieſe, wie die wachſenden Fluͤgel des Schmetterlings die ihrige, bald ſchneller bald allmaͤliger. Auf ſolche Weiſe wirken die hoͤchſten Momente des individuellen Daſeyns, fuͤr dieſes ſelber zerſtoͤrend, weil in ihnen ein kuͤnftiger hoͤherer Zuſtand, in dem vorhergehenden unvollkomm- neren eingreift. Hierinnen bezeugt die Natur oͤfters, durch deutliche Thatſachen, die Unſterblichkeit der inn- ren Lebensurſache, und wir ſehen ein Daſeyn in das andre uͤbergehen, ein kuͤnftiges in das vorhergehende hineinreichen, worauf wir noch kuͤnftig zuruͤckkommen werden. Wir ſehen dem zu Folge faſt jede vollkommnere Pflanze, wenigſtens in ihrer Bluͤthe, an das Thierreich

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/264>, abgerufen am 25.11.2024.