Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

drungen. Aus dem Tempel der Isis, von den reden-
den Säulen des Thot, in den Gesängen der egypti-
schen Priester, werden wir jenen dunklen Laut verneh-
men. An einsamer Küste, unter den schwarzen Ge-
birgen Islands, wird uns die Edda jene Stimme aus
den Gräbern deuten, und die Phantasie wird noch ein-
mal jene Priester heraufführen, welche die heilige
Kunst ihres Gottesdienstes durch strenges Schweigen
der künftigen Zeit verborgen. Ja an den Altären
Mexicos, unter jenen Säulen, welche das Blut und
die Thränen von tausend Menschenopfern gesehen,
wird das Auge noch die letzten Züge der hohen Vergan-
genheit erkennen.

Hierauf möge die Seele, auf dem vielbesungenen
Felsen zu Delphi, in einsamen Wald, sich Stille zu
einer neuen Betrachtung sammlen. Aus der Ferne
grauer Jahrtausende, wird in der Tiefe der Grotte, die
Stimme der Orakel, und die Begeisterung der Pythia
vernommen. Dann, nicht ohne Beruf, dringen wir
tiefer in den heiligen Hayn zu Dodona, als den Fra-
genden vergönnt war. Auf einsamen Berg, von wei-
sen Felsenmassen umgeben, sehen wir bey stiller Nacht,
noch von der heiligen Quelle berauscht, den Einge-
weihten in die Höhle des Trophonius hinabsteigen,
wo ihn, fern von dem letzten Schimmer der Sterne,
eine ungesehene Gewalt in das innre Heiligthum der
Visionen und dumpfen Stimmen hinabreißt. Von
ähnlicher Natur, als diese ältesten Orakel, wird uns

drungen. Aus dem Tempel der Iſis, von den reden-
den Saͤulen des Thot, in den Geſaͤngen der egypti-
ſchen Prieſter, werden wir jenen dunklen Laut verneh-
men. An einſamer Kuͤſte, unter den ſchwarzen Ge-
birgen Islands, wird uns die Edda jene Stimme aus
den Graͤbern deuten, und die Phantaſie wird noch ein-
mal jene Prieſter herauffuͤhren, welche die heilige
Kunſt ihres Gottesdienſtes durch ſtrenges Schweigen
der kuͤnftigen Zeit verborgen. Ja an den Altaͤren
Mexicos, unter jenen Saͤulen, welche das Blut und
die Thraͤnen von tauſend Menſchenopfern geſehen,
wird das Auge noch die letzten Zuͤge der hohen Vergan-
genheit erkennen.

Hierauf moͤge die Seele, auf dem vielbeſungenen
Felſen zu Delphi, in einſamen Wald, ſich Stille zu
einer neuen Betrachtung ſammlen. Aus der Ferne
grauer Jahrtauſende, wird in der Tiefe der Grotte, die
Stimme der Orakel, und die Begeiſterung der Pythia
vernommen. Dann, nicht ohne Beruf, dringen wir
tiefer in den heiligen Hayn zu Dodona, als den Fra-
genden vergoͤnnt war. Auf einſamen Berg, von wei-
ſen Felſenmaſſen umgeben, ſehen wir bey ſtiller Nacht,
noch von der heiligen Quelle berauſcht, den Einge-
weihten in die Hoͤhle des Trophonius hinabſteigen,
wo ihn, fern von dem letzten Schimmer der Sterne,
eine ungeſehene Gewalt in das innre Heiligthum der
Viſionen und dumpfen Stimmen hinabreißt. Von
aͤhnlicher Natur, als dieſe aͤlteſten Orakel, wird uns

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="6"/>
drungen. Aus dem Tempel der I&#x017F;is, von den reden-<lb/>
den Sa&#x0364;ulen des Thot, in den Ge&#x017F;a&#x0364;ngen der egypti-<lb/>
&#x017F;chen Prie&#x017F;ter, werden wir jenen dunklen Laut verneh-<lb/>
men. An ein&#x017F;amer Ku&#x0364;&#x017F;te, unter den &#x017F;chwarzen Ge-<lb/>
birgen Islands, wird uns die Edda jene Stimme aus<lb/>
den Gra&#x0364;bern deuten, und die Phanta&#x017F;ie wird noch ein-<lb/>
mal jene Prie&#x017F;ter herauffu&#x0364;hren, welche die heilige<lb/>
Kun&#x017F;t ihres Gottesdien&#x017F;tes durch &#x017F;trenges Schweigen<lb/>
der ku&#x0364;nftigen Zeit verborgen. Ja an den Alta&#x0364;ren<lb/>
Mexicos, unter jenen Sa&#x0364;ulen, welche das Blut und<lb/>
die Thra&#x0364;nen von tau&#x017F;end Men&#x017F;chenopfern ge&#x017F;ehen,<lb/>
wird das Auge noch die letzten Zu&#x0364;ge der hohen Vergan-<lb/>
genheit erkennen.</p><lb/>
        <p>Hierauf mo&#x0364;ge die Seele, auf dem vielbe&#x017F;ungenen<lb/>
Fel&#x017F;en zu Delphi, in ein&#x017F;amen Wald, &#x017F;ich Stille zu<lb/>
einer neuen Betrachtung &#x017F;ammlen. Aus der Ferne<lb/>
grauer Jahrtau&#x017F;ende, wird in der Tiefe der Grotte, die<lb/>
Stimme der Orakel, und die Begei&#x017F;terung der Pythia<lb/>
vernommen. Dann, nicht ohne Beruf, dringen wir<lb/>
tiefer in den heiligen Hayn zu Dodona, als den Fra-<lb/>
genden vergo&#x0364;nnt war. Auf ein&#x017F;amen Berg, von wei-<lb/>
&#x017F;en Fel&#x017F;enma&#x017F;&#x017F;en umgeben, &#x017F;ehen wir bey &#x017F;tiller Nacht,<lb/>
noch von der heiligen Quelle berau&#x017F;cht, den Einge-<lb/>
weihten in die Ho&#x0364;hle des Trophonius hinab&#x017F;teigen,<lb/>
wo ihn, fern von dem letzten Schimmer der Sterne,<lb/>
eine unge&#x017F;ehene Gewalt in das innre Heiligthum der<lb/>
Vi&#x017F;ionen und dumpfen Stimmen hinabreißt. Von<lb/>
a&#x0364;hnlicher Natur, als die&#x017F;e a&#x0364;lte&#x017F;ten Orakel, wird uns<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0020] drungen. Aus dem Tempel der Iſis, von den reden- den Saͤulen des Thot, in den Geſaͤngen der egypti- ſchen Prieſter, werden wir jenen dunklen Laut verneh- men. An einſamer Kuͤſte, unter den ſchwarzen Ge- birgen Islands, wird uns die Edda jene Stimme aus den Graͤbern deuten, und die Phantaſie wird noch ein- mal jene Prieſter herauffuͤhren, welche die heilige Kunſt ihres Gottesdienſtes durch ſtrenges Schweigen der kuͤnftigen Zeit verborgen. Ja an den Altaͤren Mexicos, unter jenen Saͤulen, welche das Blut und die Thraͤnen von tauſend Menſchenopfern geſehen, wird das Auge noch die letzten Zuͤge der hohen Vergan- genheit erkennen. Hierauf moͤge die Seele, auf dem vielbeſungenen Felſen zu Delphi, in einſamen Wald, ſich Stille zu einer neuen Betrachtung ſammlen. Aus der Ferne grauer Jahrtauſende, wird in der Tiefe der Grotte, die Stimme der Orakel, und die Begeiſterung der Pythia vernommen. Dann, nicht ohne Beruf, dringen wir tiefer in den heiligen Hayn zu Dodona, als den Fra- genden vergoͤnnt war. Auf einſamen Berg, von wei- ſen Felſenmaſſen umgeben, ſehen wir bey ſtiller Nacht, noch von der heiligen Quelle berauſcht, den Einge- weihten in die Hoͤhle des Trophonius hinabſteigen, wo ihn, fern von dem letzten Schimmer der Sterne, eine ungeſehene Gewalt in das innre Heiligthum der Viſionen und dumpfen Stimmen hinabreißt. Von aͤhnlicher Natur, als dieſe aͤlteſten Orakel, wird uns

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/20
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/20>, abgerufen am 23.11.2024.