drungen. Aus dem Tempel der Isis, von den reden- den Säulen des Thot, in den Gesängen der egypti- schen Priester, werden wir jenen dunklen Laut verneh- men. An einsamer Küste, unter den schwarzen Ge- birgen Islands, wird uns die Edda jene Stimme aus den Gräbern deuten, und die Phantasie wird noch ein- mal jene Priester heraufführen, welche die heilige Kunst ihres Gottesdienstes durch strenges Schweigen der künftigen Zeit verborgen. Ja an den Altären Mexicos, unter jenen Säulen, welche das Blut und die Thränen von tausend Menschenopfern gesehen, wird das Auge noch die letzten Züge der hohen Vergan- genheit erkennen.
Hierauf möge die Seele, auf dem vielbesungenen Felsen zu Delphi, in einsamen Wald, sich Stille zu einer neuen Betrachtung sammlen. Aus der Ferne grauer Jahrtausende, wird in der Tiefe der Grotte, die Stimme der Orakel, und die Begeisterung der Pythia vernommen. Dann, nicht ohne Beruf, dringen wir tiefer in den heiligen Hayn zu Dodona, als den Fra- genden vergönnt war. Auf einsamen Berg, von wei- sen Felsenmassen umgeben, sehen wir bey stiller Nacht, noch von der heiligen Quelle berauscht, den Einge- weihten in die Höhle des Trophonius hinabsteigen, wo ihn, fern von dem letzten Schimmer der Sterne, eine ungesehene Gewalt in das innre Heiligthum der Visionen und dumpfen Stimmen hinabreißt. Von ähnlicher Natur, als diese ältesten Orakel, wird uns
drungen. Aus dem Tempel der Iſis, von den reden- den Saͤulen des Thot, in den Geſaͤngen der egypti- ſchen Prieſter, werden wir jenen dunklen Laut verneh- men. An einſamer Kuͤſte, unter den ſchwarzen Ge- birgen Islands, wird uns die Edda jene Stimme aus den Graͤbern deuten, und die Phantaſie wird noch ein- mal jene Prieſter herauffuͤhren, welche die heilige Kunſt ihres Gottesdienſtes durch ſtrenges Schweigen der kuͤnftigen Zeit verborgen. Ja an den Altaͤren Mexicos, unter jenen Saͤulen, welche das Blut und die Thraͤnen von tauſend Menſchenopfern geſehen, wird das Auge noch die letzten Zuͤge der hohen Vergan- genheit erkennen.
Hierauf moͤge die Seele, auf dem vielbeſungenen Felſen zu Delphi, in einſamen Wald, ſich Stille zu einer neuen Betrachtung ſammlen. Aus der Ferne grauer Jahrtauſende, wird in der Tiefe der Grotte, die Stimme der Orakel, und die Begeiſterung der Pythia vernommen. Dann, nicht ohne Beruf, dringen wir tiefer in den heiligen Hayn zu Dodona, als den Fra- genden vergoͤnnt war. Auf einſamen Berg, von wei- ſen Felſenmaſſen umgeben, ſehen wir bey ſtiller Nacht, noch von der heiligen Quelle berauſcht, den Einge- weihten in die Hoͤhle des Trophonius hinabſteigen, wo ihn, fern von dem letzten Schimmer der Sterne, eine ungeſehene Gewalt in das innre Heiligthum der Viſionen und dumpfen Stimmen hinabreißt. Von aͤhnlicher Natur, als dieſe aͤlteſten Orakel, wird uns
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drungen. Aus dem Tempel der Iſis, von den reden-
den Saͤulen des Thot, in den Geſaͤngen der egypti-
ſchen Prieſter, werden wir jenen dunklen Laut verneh-
men. An einſamer Kuͤſte, unter den ſchwarzen Ge-
birgen Islands, wird uns die Edda jene Stimme aus
den Graͤbern deuten, und die Phantaſie wird noch ein-
mal jene Prieſter herauffuͤhren, welche die heilige
Kunſt ihres Gottesdienſtes durch ſtrenges Schweigen
der kuͤnftigen Zeit verborgen. Ja an den Altaͤren
Mexicos, unter jenen Saͤulen, welche das Blut und
die Thraͤnen von tauſend Menſchenopfern geſehen,
wird das Auge noch die letzten Zuͤge der hohen Vergan-
genheit erkennen.
Hierauf moͤge die Seele, auf dem vielbeſungenen
Felſen zu Delphi, in einſamen Wald, ſich Stille zu
einer neuen Betrachtung ſammlen. Aus der Ferne
grauer Jahrtauſende, wird in der Tiefe der Grotte, die
Stimme der Orakel, und die Begeiſterung der Pythia
vernommen. Dann, nicht ohne Beruf, dringen wir
tiefer in den heiligen Hayn zu Dodona, als den Fra-
genden vergoͤnnt war. Auf einſamen Berg, von wei-
ſen Felſenmaſſen umgeben, ſehen wir bey ſtiller Nacht,
noch von der heiligen Quelle berauſcht, den Einge-
weihten in die Hoͤhle des Trophonius hinabſteigen,
wo ihn, fern von dem letzten Schimmer der Sterne,
eine ungeſehene Gewalt in das innre Heiligthum der
Viſionen und dumpfen Stimmen hinabreißt. Von
aͤhnlicher Natur, als dieſe aͤlteſten Orakel, wird uns
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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/20>, abgerufen am 23.11.2024.
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