plagen haben, um aus den fundamentalen Festsetzungen unsrer Disziplin in streng analytischer Deduktion Dinge zu beweisen und als denk- notwendig mitgegebne zu erkennen oder auch nur bestätigt zu finden, die dem schon mit dem Wesen (gegenseitig) eindeutiger Zuordnung Vertrauten und in ihrer Anschauung Geübten von vornherein auf der Hand zu liegen scheinen.
Wir werden hierin Herrn Dedekind vielleicht ganz ähnlich gegen- überstehn, wie dieser selbst gegenübersteht denjenigen Mathematikern, die sich begnügen, den Begriff der "Anzahl" ("Endlichkeit" etc.) als etwas schlechthin Gegebnes, ohnehin in allgemeinem Besitze (wie die Luft) Be- findliches hinzunehmen, und die auch niemals das Bedürfniss empfunden haben, den Schluss der vollständigen Induktion aus den Prinzipien irgend einer Logik zu rechtfertigen!
Unser Ziel geht in der That noch über jenes Weiterschreiten in Anlehnung an Dedekind hinaus. Wir wollen auch zu einer sozusagen "pasigraphischen" Formulirung in der Zeichensprache unsrer Algebra jener fundamentalen Begriffe der "Ähnlichkeit" oder "Gleichmächtig- keit" zweier Systeme (sowie der "Endlichkeit", "einfachen Unendlich- keit", etc. eines solchen und -- im ersten Falle -- der "Anzahl" seiner Elemente!) gelangen.
Dedekind's Begriff "ähnlicher Systeme" D 32 deckt sich mit dem Georg Cantor'schen von "Mannigfaltigkeiten", die "von gleicher Mächtig- keit" sind. Nach Cantor sollten solche Mannigfaltigkeiten (vergl. Borchardt's Journal, Bd. 84, S. 242 sqq.) (sive Systeme) auch "äqui- valent" genannt werden -- welchen Ausdruck zu gebrauchen wir für unsre Disziplin aus naheliegenden Gründen wol ablehnen müssen. Diese Gleichmächtigkeit oder Ähnlichkeit z. B. muss nun auf eine Relation zwischen den Systemen a und b hinauslaufen, die sich mittelst der Spezies unsrer Disziplin erschöpfend darstellen lässt. Ihre Ermitte- lung wird demnächst auf eine Eliminationsaufgabe unsrer Algebra zurückgeführt, und für die niedersten Denkbereiche wird diese auch sogleich explicite gelöst.
Die hohe Wichtigkeit des Gleichmächtigkeitsbegriffs ist dem Mathe- matiker vertraut. Es sei gestattet, auch hier auf einiges aufmerksam zu machen, was er alles involvirt -- und zwar populär zu reden.
Ähnliche sive gleichmächtige Systeme müssen entweder beide ver- schwinden, oder alle beide von 0 verschieden sein. Entweder sind sie beide endlich, oder sie sind beide unbegrenzt, und im erstern Falle müssen beide Systeme aus gleichviel Elementen bestehen (sind sie "gleichzahlige" Mengen von Einheiten, oder m. a. W. die Einheiten sind in beiden Mengen "von gleicher Häufigkeit" -- ein Begriff, der dem Anzahlbegriffe voran- geht). Im andern Falle sind entweder beide Systeme "einfach unendlich",
Zwölfte Vorlesung.
plagen haben, um aus den fundamentalen Festsetzungen unsrer Disziplin in streng analytischer Deduktion Dinge zu beweisen und als denk- notwendig mitgegebne zu erkennen oder auch nur bestätigt zu finden, die dem schon mit dem Wesen (gegenseitig) eindeutiger Zuordnung Vertrauten und in ihrer Anschauung Geübten von vornherein auf der Hand zu liegen scheinen.
Wir werden hierin Herrn Dedekind vielleicht ganz ähnlich gegen- überstehn, wie dieser selbst gegenübersteht denjenigen Mathematikern, die sich begnügen, den Begriff der „Anzahl“ („Endlichkeit“ etc.) als etwas schlechthin Gegebnes, ohnehin in allgemeinem Besitze (wie die Luft) Be- findliches hinzunehmen, und die auch niemals das Bedürfniss empfunden haben, den Schluss der vollständigen Induktion aus den Prinzipien irgend einer Logik zu rechtfertigen!
Unser Ziel geht in der That noch über jenes Weiterschreiten in Anlehnung an Dedekind hinaus. Wir wollen auch zu einer sozusagen „pasigraphischen“ Formulirung in der Zeichensprache unsrer Algebra jener fundamentalen Begriffe der „Ähnlichkeit“ oder „Gleichmächtig- keit“ zweier Systeme (sowie der „Endlichkeit“, „einfachen Unendlich- keit“, etc. eines solchen und — im ersten Falle — der „Anzahl“ seiner Elemente!) gelangen.
Dedekind’s Begriff „ähnlicher Systeme“ D 32 deckt sich mit dem Georg Cantor’schen von „Mannigfaltigkeiten“, die „von gleicher Mächtig- keit“ sind. Nach Cantor sollten solche Mannigfaltigkeiten (vergl. Borchardt’s Journal, Bd. 84, S. 242 sqq.) (sive Systeme) auch „äqui- valent“ genannt werden — welchen Ausdruck zu gebrauchen wir für unsre Disziplin aus naheliegenden Gründen wol ablehnen müssen. Diese Gleichmächtigkeit oder Ähnlichkeit z. B. muss nun auf eine Relation zwischen den Systemen a und b hinauslaufen, die sich mittelst der Spezies unsrer Disziplin erschöpfend darstellen lässt. Ihre Ermitte- lung wird demnächst auf eine Eliminationsaufgabe unsrer Algebra zurückgeführt, und für die niedersten Denkbereiche wird diese auch sogleich explicite gelöst.
Die hohe Wichtigkeit des Gleichmächtigkeitsbegriffs ist dem Mathe- matiker vertraut. Es sei gestattet, auch hier auf einiges aufmerksam zu machen, was er alles involvirt — und zwar populär zu reden.
Ähnliche sive gleichmächtige Systeme müssen entweder beide ver- schwinden, oder alle beide von 0 verschieden sein. Entweder sind sie beide endlich, oder sie sind beide unbegrenzt, und im erstern Falle müssen beide Systeme aus gleichviel Elementen bestehen (sind sie „gleichzahlige“ Mengen von Einheiten, oder m. a. W. die Einheiten sind in beiden Mengen „von gleicher Häufigkeit“ — ein Begriff, der dem Anzahlbegriffe voran- geht). Im andern Falle sind entweder beide Systeme „einfach unendlich“,
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Zwölfte Vorlesung.
plagen haben, um aus den fundamentalen Festsetzungen unsrer Disziplin
in streng analytischer Deduktion Dinge zu beweisen und als denk-
notwendig mitgegebne zu erkennen oder auch nur bestätigt zu finden,
die dem schon mit dem Wesen (gegenseitig) eindeutiger Zuordnung
Vertrauten und in ihrer Anschauung Geübten von vornherein auf der
Hand zu liegen scheinen.
Wir werden hierin Herrn Dedekind vielleicht ganz ähnlich gegen-
überstehn, wie dieser selbst gegenübersteht denjenigen Mathematikern, die
sich begnügen, den Begriff der „Anzahl“ („Endlichkeit“ etc.) als etwas
schlechthin Gegebnes, ohnehin in allgemeinem Besitze (wie die Luft) Be-
findliches hinzunehmen, und die auch niemals das Bedürfniss empfunden
haben, den Schluss der vollständigen Induktion aus den Prinzipien irgend
einer Logik zu rechtfertigen!
Unser Ziel geht in der That noch über jenes Weiterschreiten in
Anlehnung an Dedekind hinaus. Wir wollen auch zu einer sozusagen
„pasigraphischen“ Formulirung in der Zeichensprache unsrer Algebra
jener fundamentalen Begriffe der „Ähnlichkeit“ oder „Gleichmächtig-
keit“ zweier Systeme (sowie der „Endlichkeit“, „einfachen Unendlich-
keit“, etc. eines solchen und — im ersten Falle — der „Anzahl“ seiner
Elemente!) gelangen.
Dedekind’s Begriff „ähnlicher Systeme“ D 32 deckt sich mit dem
Georg Cantor’schen von „Mannigfaltigkeiten“, die „von gleicher Mächtig-
keit“ sind. Nach Cantor sollten solche Mannigfaltigkeiten (vergl.
Borchardt’s Journal, Bd. 84, S. 242 sqq.) (sive Systeme) auch „äqui-
valent“ genannt werden — welchen Ausdruck zu gebrauchen wir für
unsre Disziplin aus naheliegenden Gründen wol ablehnen müssen. Diese
Gleichmächtigkeit oder Ähnlichkeit z. B. muss nun auf eine Relation
zwischen den Systemen a und b hinauslaufen, die sich mittelst der
Spezies unsrer Disziplin erschöpfend darstellen lässt. Ihre Ermitte-
lung wird demnächst auf eine Eliminationsaufgabe unsrer Algebra
zurückgeführt, und für die niedersten Denkbereiche wird diese auch
sogleich explicite gelöst.
Die hohe Wichtigkeit des Gleichmächtigkeitsbegriffs ist dem Mathe-
matiker vertraut. Es sei gestattet, auch hier auf einiges aufmerksam zu
machen, was er alles involvirt — und zwar populär zu reden.
Ähnliche sive gleichmächtige Systeme müssen entweder beide ver-
schwinden, oder alle beide von 0 verschieden sein. Entweder sind sie
beide endlich, oder sie sind beide unbegrenzt, und im erstern Falle müssen
beide Systeme aus gleichviel Elementen bestehen (sind sie „gleichzahlige“
Mengen von Einheiten, oder m. a. W. die Einheiten sind in beiden Mengen
„von gleicher Häufigkeit“ — ein Begriff, der dem Anzahlbegriffe voran-
geht). Im andern Falle sind entweder beide Systeme „einfach unendlich“,
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 3, Abt. 1. Leipzig, 1895, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik03_1895/612>, abgerufen am 23.11.2024.
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