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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 3, Abt. 1. Leipzig, 1895.

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Neunte Vorlesung.
tiven Begriffes "Anzahl von-" zu gelangen, aus welcher sich alle auf diesen
Begriff bezüglichen Sätze rein deduktiv werden ableiten lassen.

Dass damit auch dem endlosen Streite gleichwie dem Philosophastern
über das Wesen der Zahl der Nährboden endgültig entzogen sein wird,
dürfte nebenbei als ein nicht zu unterschätzender "Nutzen" dieser Arbeit
Erwähnung verdienen. Da indessen der Begriff der Anzahl nur auf end-
liche
Mengen (von "Einheiten") sich anwendbar zeigt, ist zur Verwirk-
lichung unsres Zieles die vorgängige Feststellung des Endlichkeitsbegriffes
ohnehin unerlässlich. Schon dieser ist kein sehr einfacher.

Wie wahr aber die frappante Bemerkung Dedekind's ist, dass der
Anzahlbegriff fälschlich für einfach gelte, das wird sich auch in unserm
Buche greifbar herausstellen.

Als eine besondre Feinheit der Dedekind'schen Schrift sei noch her-
vorgehoben, dass in ihr die Ordinalzahlen eingeführt werden vor den Car-
dinal
zahlen, und zwar sehr viel früher als diese.

Dies entspricht nebenbei auch dem historischen Entwickelungsgange
auf einer Reihe von Grössengebieten, in welche wir den Quantitätsbegriff
allmälig einführen und da beherrschen gelernt haben.

Wie es z. B. in der Physik bei dem Begriff der Härte einer Substanz
noch heute der Fall ist (vergleiche die Moser'sche Härteskala) -- bei
dem Begriff der Temperatur aber erst seit Einführung des absoluten Null-
punktes nicht mehr -- und in der Physiologie bei der Schätzung der
Intensitäten oder Grade von gleichartigen Sinneseindrücken, auf wirtschaft-
lichem Gebiete bei so manchen Wertermittelungen und in der Ästhetik
sogar wol noch bei allen Vergleichungsakten -- vermögen wir die unter
einen Begriff fallenden Objekte oft in eine gewisse Ordnung, Rang-, Stufen-
oder Grössenfolge zu bringen ohne dass wir vermöchten sie auch in ab-
solutem Maasse zu messen, lange bevor es uns gelingt sie darzustellen als
gleichwertig einer "Anzahl" von Maasseinheiten. Als "vergleichbare" sind
sie noch lange nicht "messbare" Grössen -- "Grössen" im vollsten Sinne
des Wortes. Bei zwei gegebnen festen Substanzen z. B. ist es ja in jedem
Falle entscheidbar, welche von ihnen verdient die "härtere" genannt zu
werden, und gleichwol vermögen wir mit der Forderung der doppelten
Härte, des "Zweimalsohartseins", (noch) keinen Begriff zu verbinden. Etc.

Ebenso nun steht auch in der That der Ordinalzahl als dem ursprüng-
lichen und einfacheren Begriffe derjenige der Cardinalzahl als der abgeleitete
und minder einfache gegenüber.

So viel über die Dedekind'sche Schrift im Allgemeinen.

Indem ich nun vom Standpunkte unsrer Theorie in eine Revision der-
selben eintrete, muss ich drei -- wenn auch räumlich nicht durchaus zu-
sammenhängende -- Teile der Schrift unterscheiden und bei der Besprechung
scharf auseinanderhalten.

Der "erste Teil" besteht aus Dedekind's § 1, welcher mit "Systeme
von Elementen
" überschrieben ist und die, sei es Erklärungen, sei es Sätze,
D 1 bis D 20 umfasst.

Derselbe ist wesentlich nur eine Darstellung der elementarsten (für den
Autor unentbehrlichen) Begriffserklärungen und Sätze des identischen Kal-
kuls
als eines Kalkuls mit ("Klassen" oder) "Gebieten", für welches letztre

Neunte Vorlesung.
tiven Begriffes „Anzahl von-“ zu gelangen, aus welcher sich alle auf diesen
Begriff bezüglichen Sätze rein deduktiv werden ableiten lassen.

Dass damit auch dem endlosen Streite gleichwie dem Philosophastern
über das Wesen der Zahl der Nährboden endgültig entzogen sein wird,
dürfte nebenbei als ein nicht zu unterschätzender „Nutzen“ dieser Arbeit
Erwähnung verdienen. Da indessen der Begriff der Anzahl nur auf end-
liche
Mengen (von „Einheiten“) sich anwendbar zeigt, ist zur Verwirk-
lichung unsres Zieles die vorgängige Feststellung des Endlichkeitsbegriffes
ohnehin unerlässlich. Schon dieser ist kein sehr einfacher.

Wie wahr aber die frappante Bemerkung Dedekind’s ist, dass der
Anzahlbegriff fälschlich für einfach gelte, das wird sich auch in unserm
Buche greifbar herausstellen.

Als eine besondre Feinheit der Dedekind’schen Schrift sei noch her-
vorgehoben, dass in ihr die Ordinalzahlen eingeführt werden vor den Car-
dinal
zahlen, und zwar sehr viel früher als diese.

Dies entspricht nebenbei auch dem historischen Entwickelungsgange
auf einer Reihe von Grössengebieten, in welche wir den Quantitätsbegriff
allmälig einführen und da beherrschen gelernt haben.

Wie es z. B. in der Physik bei dem Begriff der Härte einer Substanz
noch heute der Fall ist (vergleiche die Moser’sche Härteskala) — bei
dem Begriff der Temperatur aber erst seit Einführung des absoluten Null-
punktes nicht mehr — und in der Physiologie bei der Schätzung der
Intensitäten oder Grade von gleichartigen Sinneseindrücken, auf wirtschaft-
lichem Gebiete bei so manchen Wertermittelungen und in der Ästhetik
sogar wol noch bei allen Vergleichungsakten — vermögen wir die unter
einen Begriff fallenden Objekte oft in eine gewisse Ordnung, Rang-, Stufen-
oder Grössenfolge zu bringen ohne dass wir vermöchten sie auch in ab-
solutem Maasse zu messen, lange bevor es uns gelingt sie darzustellen als
gleichwertig einer „Anzahl“ von Maasseinheiten. Als „vergleichbare“ sind
sie noch lange nicht „messbare“ Grössen — „Grössen“ im vollsten Sinne
des Wortes. Bei zwei gegebnen festen Substanzen z. B. ist es ja in jedem
Falle entscheidbar, welche von ihnen verdient die „härtere“ genannt zu
werden, und gleichwol vermögen wir mit der Forderung der doppelten
Härte, des „Zweimalsohartseins“, (noch) keinen Begriff zu verbinden. Etc.

Ebenso nun steht auch in der That der Ordinalzahl als dem ursprüng-
lichen und einfacheren Begriffe derjenige der Cardinalzahl als der abgeleitete
und minder einfache gegenüber.

So viel über die Dedekind’sche Schrift im Allgemeinen.

Indem ich nun vom Standpunkte unsrer Theorie in eine Revision der-
selben eintrete, muss ich drei — wenn auch räumlich nicht durchaus zu-
sammenhängende — Teile der Schrift unterscheiden und bei der Besprechung
scharf auseinanderhalten.

Dererste Teil“ besteht aus Dedekind’s § 1, welcher mit „Systeme
von Elementen
“ überschrieben ist und die, sei es Erklärungen, sei es Sätze,
D 1 bis D 20 umfasst.

Derselbe ist wesentlich nur eine Darstellung der elementarsten (für den
Autor unentbehrlichen) Begriffserklärungen und Sätze des identischen Kal-
kuls
als eines Kalkuls mit („Klassen“ oder) „Gebieten“, für welches letztre

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[350/0364] Neunte Vorlesung. tiven Begriffes „Anzahl von-“ zu gelangen, aus welcher sich alle auf diesen Begriff bezüglichen Sätze rein deduktiv werden ableiten lassen. Dass damit auch dem endlosen Streite gleichwie dem Philosophastern über das Wesen der Zahl der Nährboden endgültig entzogen sein wird, dürfte nebenbei als ein nicht zu unterschätzender „Nutzen“ dieser Arbeit Erwähnung verdienen. Da indessen der Begriff der Anzahl nur auf end- liche Mengen (von „Einheiten“) sich anwendbar zeigt, ist zur Verwirk- lichung unsres Zieles die vorgängige Feststellung des Endlichkeitsbegriffes ohnehin unerlässlich. Schon dieser ist kein sehr einfacher. Wie wahr aber die frappante Bemerkung Dedekind’s ist, dass der Anzahlbegriff fälschlich für einfach gelte, das wird sich auch in unserm Buche greifbar herausstellen. Als eine besondre Feinheit der Dedekind’schen Schrift sei noch her- vorgehoben, dass in ihr die Ordinalzahlen eingeführt werden vor den Car- dinalzahlen, und zwar sehr viel früher als diese. Dies entspricht nebenbei auch dem historischen Entwickelungsgange auf einer Reihe von Grössengebieten, in welche wir den Quantitätsbegriff allmälig einführen und da beherrschen gelernt haben. Wie es z. B. in der Physik bei dem Begriff der Härte einer Substanz noch heute der Fall ist (vergleiche die Moser’sche Härteskala) — bei dem Begriff der Temperatur aber erst seit Einführung des absoluten Null- punktes nicht mehr — und in der Physiologie bei der Schätzung der Intensitäten oder Grade von gleichartigen Sinneseindrücken, auf wirtschaft- lichem Gebiete bei so manchen Wertermittelungen und in der Ästhetik sogar wol noch bei allen Vergleichungsakten — vermögen wir die unter einen Begriff fallenden Objekte oft in eine gewisse Ordnung, Rang-, Stufen- oder Grössenfolge zu bringen ohne dass wir vermöchten sie auch in ab- solutem Maasse zu messen, lange bevor es uns gelingt sie darzustellen als gleichwertig einer „Anzahl“ von Maasseinheiten. Als „vergleichbare“ sind sie noch lange nicht „messbare“ Grössen — „Grössen“ im vollsten Sinne des Wortes. Bei zwei gegebnen festen Substanzen z. B. ist es ja in jedem Falle entscheidbar, welche von ihnen verdient die „härtere“ genannt zu werden, und gleichwol vermögen wir mit der Forderung der doppelten Härte, des „Zweimalsohartseins“, (noch) keinen Begriff zu verbinden. Etc. Ebenso nun steht auch in der That der Ordinalzahl als dem ursprüng- lichen und einfacheren Begriffe derjenige der Cardinalzahl als der abgeleitete und minder einfache gegenüber. So viel über die Dedekind’sche Schrift im Allgemeinen. Indem ich nun vom Standpunkte unsrer Theorie in eine Revision der- selben eintrete, muss ich drei — wenn auch räumlich nicht durchaus zu- sammenhängende — Teile der Schrift unterscheiden und bei der Besprechung scharf auseinanderhalten. Der „erste Teil“ besteht aus Dedekind’s § 1, welcher mit „Systeme von Elementen“ überschrieben ist und die, sei es Erklärungen, sei es Sätze, D 1 bis D 20 umfasst. Derselbe ist wesentlich nur eine Darstellung der elementarsten (für den Autor unentbehrlichen) Begriffserklärungen und Sätze des identischen Kal- kuls als eines Kalkuls mit („Klassen“ oder) „Gebieten“, für welches letztre

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 3, Abt. 1. Leipzig, 1895, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik03_1895/364>, abgerufen am 23.11.2024.