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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 3, Abt. 1. Leipzig, 1895.

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§ 23. Einleitung in die Kettentheorie.
lassen, d. h. falsch zu lesen, was unmöglich wäre, wenn die zum Buch-
stabiren gehörige Gedankenkette vollständig wiederholt würde. So sind
wir auch schon von unsrer Geburt an beständig und in immer steigendem
Maasse veranlasst, Dinge auf Dinge zu beziehen und damit diejenige Fähig-
keit des Geistes zu üben, auf welcher auch die Schöpfung der Zahlen
beruht; durch diese schon in unsre ersten Lebensjahre fallende unablässige,
wenn auch absichtslose Übung und die damit verbundene Bildung von Ur-
teilen und Schlussreihen erwerben wir uns auch einen Schatz von eigent-
lich arithmetischen Wahrheiten, auf welche später unsre ersten Lehrer sich
wie auf etwas Einfaches, Selbstverständliches, in der inneren Anschauung
Gegebenes berufen, und so kommt es, dass manche, eigentlich sehr zusammen-
gesetzte
Begriffe (wie z. B. der der Anzahl von Dingen) fälschlich für ein-
fach gelten. In diesem Sinne ... mögen die folgenden Blätter als ein
Versuch, die Wissenschaft der Zahlen auf einheitlicher Grundlage zu er-
richten, wohlwollende Aufnahme finden, und mögen sie andere Mathematiker
dazu anregen, die langen Reihen von Schlüssen auf ein bescheideneres, an-
genehmeres Maass zurückzuführen.

Dem Zwecke dieser Schrift gemäss beschränke ich mich auf die Be-
trachtung der Reihe der sogenannten natürlichen Zahlen."

So viel zunächst aus dem Vorworte des genannten Autors. Von den
"beweisbaren", zumeist jedoch ohne Beweis geglaubten Sätzen möchte ich
von vornherein wenigstens ein paar hervorheben; dazu zählen in der That
Sätze wie diese: dass es in jeder endlichen Menge von Zahlen eine grösste
und eine kleinste Zahl gibt (D 114); dass, wenn ein Teil eines Systems
unendlich ist, das ganze System unendlich sein muss (D 68) -- und der-
gleichen mehr.

Es ist also die Ausfüllung einer grossen und bedeutungsschweren
Lücke, welche sich bislang in allen Darstellungen, in allen Lehr- und Hand-
büchern der Arithmetik und Algebra
(auch das des Verfassers1 nicht aus-
genommen) findet -- die sich Herr Dedekind mit Erfolg hat angelegen
sein lassen! Die Lücke klaffte gerade da, wo die Wissenschaft der Arith-
metik entspringen sollte aus der allgemeinen Logik, wo sie in dieser wur-
zelnd ihren Ursprung nehmen sollte, um von da sich immer weiter von
ihr abzuzweigen. Zu vermissen war -- und ist, genauer gesagt, teil-
weise noch -- der Anschluss jener Disziplin der Arithmetik an die Algebra
der Relative
, die ja ihrerseits die Lehre von der eindeutigen Zuordnung
oder Abbildung als einen partikularen oder Sonder-Zweig ganz unter sich
begreift.

Wenn ich mir übrigens vergegenwärtige, wie weit einerseits die Ent-
wickelung der rechnerischen Logik schon vorgeschritten sein musste, damit
es überhaupt möglich wurde, die vermisste Verbindung wirklich glatt her-
zustellen, und wie grossen Scharfsinn andrerseits mit Dedekind die Aus-
füllung jener Lücke benötigt (ich liefre hiernächst sozusagen nur den Kitt
hinzu), so kann ich aus dem frühern Vorhandensein solcher Lücke weder
mir noch andern Darstellern der Arithmetik einen Vorwurf machen; da-
gegen muss der Leistung, welche das fehlende Verbindungsglied schuf, um
so grössere Bewunderung gezollt werden.

Endziel der Arbeit ist: zu einer streng logischen Definition des rela-

§ 23. Einleitung in die Kettentheorie.
lassen, d. h. falsch zu lesen, was unmöglich wäre, wenn die zum Buch-
stabiren gehörige Gedankenkette vollständig wiederholt würde. So sind
wir auch schon von unsrer Geburt an beständig und in immer steigendem
Maasse veranlasst, Dinge auf Dinge zu beziehen und damit diejenige Fähig-
keit des Geistes zu üben, auf welcher auch die Schöpfung der Zahlen
beruht; durch diese schon in unsre ersten Lebensjahre fallende unablässige,
wenn auch absichtslose Übung und die damit verbundene Bildung von Ur-
teilen und Schlussreihen erwerben wir uns auch einen Schatz von eigent-
lich arithmetischen Wahrheiten, auf welche später unsre ersten Lehrer sich
wie auf etwas Einfaches, Selbstverständliches, in der inneren Anschauung
Gegebenes berufen, und so kommt es, dass manche, eigentlich sehr zusammen-
gesetzte
Begriffe (wie z. B. der der Anzahl von Dingen) fälschlich für ein-
fach gelten. In diesem Sinne … mögen die folgenden Blätter als ein
Versuch, die Wissenschaft der Zahlen auf einheitlicher Grundlage zu er-
richten, wohlwollende Aufnahme finden, und mögen sie andere Mathematiker
dazu anregen, die langen Reihen von Schlüssen auf ein bescheideneres, an-
genehmeres Maass zurückzuführen.

Dem Zwecke dieser Schrift gemäss beschränke ich mich auf die Be-
trachtung der Reihe der sogenannten natürlichen Zahlen.«

So viel zunächst aus dem Vorworte des genannten Autors. Von den
„beweisbaren“, zumeist jedoch ohne Beweis geglaubten Sätzen möchte ich
von vornherein wenigstens ein paar hervorheben; dazu zählen in der That
Sätze wie diese: dass es in jeder endlichen Menge von Zahlen eine grösste
und eine kleinste Zahl gibt (D 114); dass, wenn ein Teil eines Systems
unendlich ist, das ganze System unendlich sein muss (D 68) — und der-
gleichen mehr.

Es ist also die Ausfüllung einer grossen und bedeutungsschweren
Lücke, welche sich bislang in allen Darstellungen, in allen Lehr- und Hand-
büchern der Arithmetik und Algebra
(auch das des Verfassers1 nicht aus-
genommen) findet — die sich Herr Dedekind mit Erfolg hat angelegen
sein lassen! Die Lücke klaffte gerade da, wo die Wissenschaft der Arith-
metik entspringen sollte aus der allgemeinen Logik, wo sie in dieser wur-
zelnd ihren Ursprung nehmen sollte, um von da sich immer weiter von
ihr abzuzweigen. Zu vermissen war — und ist, genauer gesagt, teil-
weise noch — der Anschluss jener Disziplin der Arithmetik an die Algebra
der Relative
, die ja ihrerseits die Lehre von der eindeutigen Zuordnung
oder Abbildung als einen partikularen oder Sonder-Zweig ganz unter sich
begreift.

Wenn ich mir übrigens vergegenwärtige, wie weit einerseits die Ent-
wickelung der rechnerischen Logik schon vorgeschritten sein musste, damit
es überhaupt möglich wurde, die vermisste Verbindung wirklich glatt her-
zustellen, und wie grossen Scharfsinn andrerseits mit Dedekind die Aus-
füllung jener Lücke benötigt (ich liefre hiernächst sozusagen nur den Kitt
hinzu), so kann ich aus dem frühern Vorhandensein solcher Lücke weder
mir noch andern Darstellern der Arithmetik einen Vorwurf machen; da-
gegen muss der Leistung, welche das fehlende Verbindungsglied schuf, um
so grössere Bewunderung gezollt werden.

Endziel der Arbeit ist: zu einer streng logischen Definition des rela-

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[349/0363] § 23. Einleitung in die Kettentheorie. lassen, d. h. falsch zu lesen, was unmöglich wäre, wenn die zum Buch- stabiren gehörige Gedankenkette vollständig wiederholt würde. So sind wir auch schon von unsrer Geburt an beständig und in immer steigendem Maasse veranlasst, Dinge auf Dinge zu beziehen und damit diejenige Fähig- keit des Geistes zu üben, auf welcher auch die Schöpfung der Zahlen beruht; durch diese schon in unsre ersten Lebensjahre fallende unablässige, wenn auch absichtslose Übung und die damit verbundene Bildung von Ur- teilen und Schlussreihen erwerben wir uns auch einen Schatz von eigent- lich arithmetischen Wahrheiten, auf welche später unsre ersten Lehrer sich wie auf etwas Einfaches, Selbstverständliches, in der inneren Anschauung Gegebenes berufen, und so kommt es, dass manche, eigentlich sehr zusammen- gesetzte Begriffe (wie z. B. der der Anzahl von Dingen) fälschlich für ein- fach gelten. In diesem Sinne … mögen die folgenden Blätter als ein Versuch, die Wissenschaft der Zahlen auf einheitlicher Grundlage zu er- richten, wohlwollende Aufnahme finden, und mögen sie andere Mathematiker dazu anregen, die langen Reihen von Schlüssen auf ein bescheideneres, an- genehmeres Maass zurückzuführen. Dem Zwecke dieser Schrift gemäss beschränke ich mich auf die Be- trachtung der Reihe der sogenannten natürlichen Zahlen.« So viel zunächst aus dem Vorworte des genannten Autors. Von den „beweisbaren“, zumeist jedoch ohne Beweis geglaubten Sätzen möchte ich von vornherein wenigstens ein paar hervorheben; dazu zählen in der That Sätze wie diese: dass es in jeder endlichen Menge von Zahlen eine grösste und eine kleinste Zahl gibt (D 114); dass, wenn ein Teil eines Systems unendlich ist, das ganze System unendlich sein muss (D 68) — und der- gleichen mehr. Es ist also die Ausfüllung einer grossen und bedeutungsschweren Lücke, welche sich bislang in allen Darstellungen, in allen Lehr- und Hand- büchern der Arithmetik und Algebra (auch das des Verfassers1 nicht aus- genommen) findet — die sich Herr Dedekind mit Erfolg hat angelegen sein lassen! Die Lücke klaffte gerade da, wo die Wissenschaft der Arith- metik entspringen sollte aus der allgemeinen Logik, wo sie in dieser wur- zelnd ihren Ursprung nehmen sollte, um von da sich immer weiter von ihr abzuzweigen. Zu vermissen war — und ist, genauer gesagt, teil- weise noch — der Anschluss jener Disziplin der Arithmetik an die Algebra der Relative, die ja ihrerseits die Lehre von der eindeutigen Zuordnung oder Abbildung als einen partikularen oder Sonder-Zweig ganz unter sich begreift. Wenn ich mir übrigens vergegenwärtige, wie weit einerseits die Ent- wickelung der rechnerischen Logik schon vorgeschritten sein musste, damit es überhaupt möglich wurde, die vermisste Verbindung wirklich glatt her- zustellen, und wie grossen Scharfsinn andrerseits mit Dedekind die Aus- füllung jener Lücke benötigt (ich liefre hiernächst sozusagen nur den Kitt hinzu), so kann ich aus dem frühern Vorhandensein solcher Lücke weder mir noch andern Darstellern der Arithmetik einen Vorwurf machen; da- gegen muss der Leistung, welche das fehlende Verbindungsglied schuf, um so grössere Bewunderung gezollt werden. Endziel der Arbeit ist: zu einer streng logischen Definition des rela-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 3, Abt. 1. Leipzig, 1895, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik03_1895/363>, abgerufen am 23.11.2024.