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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 2. Leipzig, 1905.

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Siebenundzwanzigste Vorlesung.
gewirkt haben müssen. Denn über andere Erkenntnissquellen, als
Wahrnehmung und Folgerung, verfügen wir ja überhaupt nicht.

Gewissheit kommt solchen synthetischen Prämissen keinesfalls zu,
und noch weniger Denknotwendigkeit; sie sind, wenn nicht willkürliche
Annahmen, wenn überhaupt Urteile, doch immer nur problematische,
mögen sie auch grammatikalisch noch so entschieden in der asser-
torischen Form hingestellt sein. Die Konklusion kann dann eine
absolut-apodiktische sein; dann können aber die synthetischen Prä-
missen als überflüssig fortgelassen werden; die Konklusion gilt ja dann
"selbstverständlich", auch ohne sie. Andernfalls wird die Konklusion
auch nicht mehr Glaubwürdigkeit besitzen, als die Prämissen, sie wird
ebenfalls problematischen Charakter haben.

Die assertorischen Urteile der traditionellen Logik sind also ihrem
logischen Wesen nach stets entweder apodiktisch schlechtweg, oder
aber problematisch; von ihrer Modalität bleibt bei näherem Zusehen
nichts übrig, als eine sprachliche Ausdrucksform. Die Logik kennt
nur eine absolute Gewissheit, -- die 1 der Wahrscheinlichkeitsrechnung, --
an welche zwar wol noch in verschiedener Weise unendliche An-
näherung stattfinden mag, die aber selbst nimmermehr verschiedene
Grade haben kann. Diese Gewissheit kommt ausschliesslich den ana-
lytischen Wahrheiten zu, die mit dem Sinne der Wörter und Zeichen
und mit den Definitionen unserer Begriffe denknotwendig gegeben sind.

Im Falle einer problematischen Konklusion erwächst nun die
hochwichtige Aufgabe, den Grad ihrer Glaubwürdigkeit zu beurteilen
in jedem Falle, wo die Glaubwürdigkeitsgrade der Prämissen in Gestalt
mathematischer Wahrscheinlichkeiten (bekanntlich als numerische echte
Brüche) gegeben sind. Die Lösung dieser Aufgabe fällt der exakten
(deduktiven) Logik zu, sofern nur denknotwendige Schlussfolgerungen
in Betracht gezogen werden.

Die Aufgabe erfährt jedoch noch eine Erweiterung in der induk-
tiven
Logik, wo auch Schlüsse von nicht denknotwendigem Charakter,
"Schlüsse nach der Wahrscheinlichkeit" gezogen werden. Es ist dann
die Frage, welches die Wahrscheinlichkeit irgend einer Aussage sei,
oder bezw. in dem so häufigen Falle ihrer Unbestimmtheit: zwischen
welchen Grenzen sie liegen müsse, wenn die Aussage irgendwie von
andern Aussagen mit gegebnen Wahrscheinlichkeiten abhängig ist,
ohne aber geradezu als ihre legitime Konklusion aus ihnen hervor-
zugehen. Auch dieser erweiterten Aufgabe vermag die exakte Logik
gerecht zu werden.

Siebenundzwanzigste Vorlesung.
gewirkt haben müssen. Denn über andere Erkenntnissquellen, als
Wahrnehmung und Folgerung, verfügen wir ja überhaupt nicht.

Gewissheit kommt solchen synthetischen Prämissen keinesfalls zu,
und noch weniger Denknotwendigkeit; sie sind, wenn nicht willkürliche
Annahmen, wenn überhaupt Urteile, doch immer nur problematische,
mögen sie auch grammatikalisch noch so entschieden in der asser-
torischen Form hingestellt sein. Die Konklusion kann dann eine
absolut-apodiktische sein; dann können aber die synthetischen Prä-
missen als überflüssig fortgelassen werden; die Konklusion gilt ja dann
„selbstverständlich“, auch ohne sie. Andernfalls wird die Konklusion
auch nicht mehr Glaubwürdigkeit besitzen, als die Prämissen, sie wird
ebenfalls problematischen Charakter haben.

Die assertorischen Urteile der traditionellen Logik sind also ihrem
logischen Wesen nach stets entweder apodiktisch schlechtweg, oder
aber problematisch; von ihrer Modalität bleibt bei näherem Zusehen
nichts übrig, als eine sprachliche Ausdrucksform. Die Logik kennt
nur eine absolute Gewissheit, — die 1 der Wahrscheinlichkeitsrechnung, —
an welche zwar wol noch in verschiedener Weise unendliche An-
näherung stattfinden mag, die aber selbst nimmermehr verschiedene
Grade haben kann. Diese Gewissheit kommt ausschliesslich den ana-
lytischen Wahrheiten zu, die mit dem Sinne der Wörter und Zeichen
und mit den Definitionen unserer Begriffe denknotwendig gegeben sind.

Im Falle einer problematischen Konklusion erwächst nun die
hochwichtige Aufgabe, den Grad ihrer Glaubwürdigkeit zu beurteilen
in jedem Falle, wo die Glaubwürdigkeitsgrade der Prämissen in Gestalt
mathematischer Wahrscheinlichkeiten (bekanntlich als numerische echte
Brüche) gegeben sind. Die Lösung dieser Aufgabe fällt der exakten
(deduktiven) Logik zu, sofern nur denknotwendige Schlussfolgerungen
in Betracht gezogen werden.

Die Aufgabe erfährt jedoch noch eine Erweiterung in der induk-
tiven
Logik, wo auch Schlüsse von nicht denknotwendigem Charakter,
„Schlüsse nach der Wahrscheinlichkeit“ gezogen werden. Es ist dann
die Frage, welches die Wahrscheinlichkeit irgend einer Aussage sei,
oder bezw. in dem so häufigen Falle ihrer Unbestimmtheit: zwischen
welchen Grenzen sie liegen müsse, wenn die Aussage irgendwie von
andern Aussagen mit gegebnen Wahrscheinlichkeiten abhängig ist,
ohne aber geradezu als ihre legitime Konklusion aus ihnen hervor-
zugehen. Auch dieser erweiterten Aufgabe vermag die exakte Logik
gerecht zu werden.

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[510/0154] Siebenundzwanzigste Vorlesung. gewirkt haben müssen. Denn über andere Erkenntnissquellen, als Wahrnehmung und Folgerung, verfügen wir ja überhaupt nicht. Gewissheit kommt solchen synthetischen Prämissen keinesfalls zu, und noch weniger Denknotwendigkeit; sie sind, wenn nicht willkürliche Annahmen, wenn überhaupt Urteile, doch immer nur problematische, mögen sie auch grammatikalisch noch so entschieden in der asser- torischen Form hingestellt sein. Die Konklusion kann dann eine absolut-apodiktische sein; dann können aber die synthetischen Prä- missen als überflüssig fortgelassen werden; die Konklusion gilt ja dann „selbstverständlich“, auch ohne sie. Andernfalls wird die Konklusion auch nicht mehr Glaubwürdigkeit besitzen, als die Prämissen, sie wird ebenfalls problematischen Charakter haben. Die assertorischen Urteile der traditionellen Logik sind also ihrem logischen Wesen nach stets entweder apodiktisch schlechtweg, oder aber problematisch; von ihrer Modalität bleibt bei näherem Zusehen nichts übrig, als eine sprachliche Ausdrucksform. Die Logik kennt nur eine absolute Gewissheit, — die 1 der Wahrscheinlichkeitsrechnung, — an welche zwar wol noch in verschiedener Weise unendliche An- näherung stattfinden mag, die aber selbst nimmermehr verschiedene Grade haben kann. Diese Gewissheit kommt ausschliesslich den ana- lytischen Wahrheiten zu, die mit dem Sinne der Wörter und Zeichen und mit den Definitionen unserer Begriffe denknotwendig gegeben sind. Im Falle einer problematischen Konklusion erwächst nun die hochwichtige Aufgabe, den Grad ihrer Glaubwürdigkeit zu beurteilen in jedem Falle, wo die Glaubwürdigkeitsgrade der Prämissen in Gestalt mathematischer Wahrscheinlichkeiten (bekanntlich als numerische echte Brüche) gegeben sind. Die Lösung dieser Aufgabe fällt der exakten (deduktiven) Logik zu, sofern nur denknotwendige Schlussfolgerungen in Betracht gezogen werden. Die Aufgabe erfährt jedoch noch eine Erweiterung in der induk- tiven Logik, wo auch Schlüsse von nicht denknotwendigem Charakter, „Schlüsse nach der Wahrscheinlichkeit“ gezogen werden. Es ist dann die Frage, welches die Wahrscheinlichkeit irgend einer Aussage sei, oder bezw. in dem so häufigen Falle ihrer Unbestimmtheit: zwischen welchen Grenzen sie liegen müsse, wenn die Aussage irgendwie von andern Aussagen mit gegebnen Wahrscheinlichkeiten abhängig ist, ohne aber geradezu als ihre legitime Konklusion aus ihnen hervor- zugehen. Auch dieser erweiterten Aufgabe vermag die exakte Logik gerecht zu werden.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 2. Leipzig, 1905, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0202_1905/154>, abgerufen am 24.11.2024.