Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 47. Postulate zur Punktdefinition.
sicht nicht geometrischer "Körper", weil dieser Begriff mit zu engem
Umfange, als im Gegensatz zu Fläche, Linie sowie Punkt stehend ge-
braucht zu werden pflegt -- weit eher wäre die Bezeichnung des räum-
lichen Gebietes als eine "Figur" zulässig. Der "Raumteil" ist nun
Punkt zu nennen, dann und nur dann, wenn er, mit i bezeichnet, der
Definition (l) genügt, in welcher dem Symbole x alle erdenklichen
räumlichen Gebiete oder Raumteile innerhalb des ganzen Raumes 1
als Bedeutung untergelegt werden müssen.

Wir mögen hienach schreiben:
ps) a = i1 + i2 + i3 + ...

Die Forderung, für die Logik der Begriffsumfänge dies anzuer-
kennen, scheint in der That in der ganzen Natur unsres Denkens
begründet.

Unter einer Klasse können wir uns nur denken: das, was vor-
stellen wird ein zusammenfassender oder kollektiver Name für ver-
schiedene einzelne Dinge
, wenn derselbe durch die Vorschrift distribu-
tiver
Verwendung zu einem "generellen" oder "Gattungsnamen"
gestempelt wird (und dadurch unterschieden wird von dem "Kollektiv-
namen" im engeren Sinne, bei welchem solche Verwendung ausge-
schlossen oder wenigstens nicht gefordert ist, bei welchem besagte
Vorschrift wegfällt, fehlt).

Die Klasse, als dargestellt durch einen Gemeinnamen oder viel-
deutigen Term, kann selbst wieder in weitere*) Unterklassen zerfallen
und so fort. Als auf deren letzte Elemente müssen wir aber bei einer
jeden gedachten Klasse schliesslich kommen auf eindeutige Terme, die
Individuen der Klasse repräsentirend, deren Namen eben als Eigen-
namen ganz bestimmte Objekte des Denkens bezeichnen. Denn ur-
sprünglich von den letzteren ausgehend haben wir uns historisch erst
zu dem Begriff der Klasse erhoben.

Umgekehrt allerdings ist der genetische Gang bei den Gebieten
einer "stetigen" Mannigfaltigkeit. Ist diese z. B. räumlicher Natur, so
erscheint die Vorstellung des Raumteils, Körpers (hernach analog die
des Flächen- und des Linienteils) als die ursprünglichere, derjenigen
des Punktes gegenüber, und muss von da erst zum Begriffe des mathe-
matischen Punktes herabgestiegen werden!

Obwol ich damit aus dem Rahmen der mir hier gesetzten Aufgabe

*) Selbstverständlich "engere" -- man wolle "weitere" hier als "fernere"
oder "neue" verstehen.
22*

§ 47. Postulate zur Punktdefinition.
sicht nicht geometrischer „Körper“, weil dieser Begriff mit zu engem
Umfange, als im Gegensatz zu Fläche, Linie sowie Punkt stehend ge-
braucht zu werden pflegt — weit eher wäre die Bezeichnung des räum-
lichen Gebietes als eine „Figur“ zulässig. Der „Raumteil“ ist nun
Punkt zu nennen, dann und nur dann, wenn er, mit i bezeichnet, der
Definition (λ) genügt, in welcher dem Symbole x alle erdenklichen
räumlichen Gebiete oder Raumteile innerhalb des ganzen Raumes 1
als Bedeutung untergelegt werden müssen.

Wir mögen hienach schreiben:
ψ) a = i1 + i2 + i3 + …

Die Forderung, für die Logik der Begriffsumfänge dies anzuer-
kennen, scheint in der That in der ganzen Natur unsres Denkens
begründet.

Unter einer Klasse können wir uns nur denken: das, was vor-
stellen wird ein zusammenfassender oder kollektiver Name für ver-
schiedene einzelne Dinge
, wenn derselbe durch die Vorschrift distribu-
tiver
Verwendung zu einem „generellen“ oder „Gattungsnamen“
gestempelt wird (und dadurch unterschieden wird von dem „Kollektiv-
namen“ im engeren Sinne, bei welchem solche Verwendung ausge-
schlossen oder wenigstens nicht gefordert ist, bei welchem besagte
Vorschrift wegfällt, fehlt).

Die Klasse, als dargestellt durch einen Gemeinnamen oder viel-
deutigen Term, kann selbst wieder in weitere*) Unterklassen zerfallen
und so fort. Als auf deren letzte Elemente müssen wir aber bei einer
jeden gedachten Klasse schliesslich kommen auf eindeutige Terme, die
Individuen der Klasse repräsentirend, deren Namen eben als Eigen-
namen ganz bestimmte Objekte des Denkens bezeichnen. Denn ur-
sprünglich von den letzteren ausgehend haben wir uns historisch erst
zu dem Begriff der Klasse erhoben.

Umgekehrt allerdings ist der genetische Gang bei den Gebieten
einer „stetigen“ Mannigfaltigkeit. Ist diese z. B. räumlicher Natur, so
erscheint die Vorstellung des Raumteils, Körpers (hernach analog die
des Flächen- und des Linienteils) als die ursprünglichere, derjenigen
des Punktes gegenüber, und muss von da erst zum Begriffe des mathe-
matischen Punktes herabgestiegen werden!

Obwol ich damit aus dem Rahmen der mir hier gesetzten Aufgabe

*) Selbstverständlich „engere“ — man wolle „weitere“ hier als „fernere“
oder „neue“ verstehen.
22*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0363" n="339"/><fw place="top" type="header">§ 47. Postulate zur Punktdefinition.</fw><lb/>
sicht nicht geometrischer &#x201E;Körper&#x201C;, weil dieser Begriff mit zu engem<lb/>
Umfange, als im Gegensatz zu Fläche, Linie sowie Punkt stehend ge-<lb/>
braucht zu werden pflegt &#x2014; weit eher wäre die Bezeichnung des räum-<lb/>
lichen Gebietes als eine &#x201E;Figur&#x201C; zulässig. Der &#x201E;Raum<hi rendition="#i">teil</hi>&#x201C; ist nun<lb/>
Punkt zu nennen, dann und nur dann, wenn er, mit <hi rendition="#i">i</hi> bezeichnet, der<lb/>
Definition (<hi rendition="#i">&#x03BB;</hi>) genügt, in welcher dem Symbole <hi rendition="#i">x</hi> alle erdenklichen<lb/>
räumlichen Gebiete oder Raumteile innerhalb des ganzen Raumes 1<lb/>
als Bedeutung untergelegt werden müssen.</p><lb/>
            <p>Wir mögen hienach schreiben:<lb/><hi rendition="#i">&#x03C8;</hi>) <hi rendition="#et"><hi rendition="#i">a</hi> = <hi rendition="#i">i</hi><hi rendition="#sup">1</hi> + <hi rendition="#i">i</hi><hi rendition="#sup">2</hi> + <hi rendition="#i">i</hi><hi rendition="#sup">3</hi> + &#x2026;</hi></p><lb/>
            <p>Die Forderung, für die Logik der Begriffsumfänge dies anzuer-<lb/>
kennen, scheint in der That in der ganzen Natur unsres Denkens<lb/>
begründet.</p><lb/>
            <p>Unter einer <hi rendition="#i">Klasse</hi> können wir uns nur denken: das, was vor-<lb/>
stellen wird ein <hi rendition="#i">zusammenfassender</hi> oder kollektiver <hi rendition="#i">Name für ver-<lb/>
schiedene einzelne Dinge</hi>, wenn derselbe durch die Vorschrift <hi rendition="#i">distribu-<lb/>
tiver</hi> Verwendung zu einem &#x201E;generellen&#x201C; oder &#x201E;Gattungsnamen&#x201C;<lb/>
gestempelt wird (und dadurch unterschieden wird von dem &#x201E;Kollektiv-<lb/>
namen&#x201C; im engeren Sinne, bei welchem solche Verwendung ausge-<lb/>
schlossen oder wenigstens nicht gefordert ist, bei welchem besagte<lb/>
Vorschrift wegfällt, fehlt).</p><lb/>
            <p>Die Klasse, als dargestellt durch einen Gemeinnamen oder viel-<lb/>
deutigen Term, kann selbst wieder in weitere<note place="foot" n="*)">Selbstverständlich <hi rendition="#i">&#x201E;engere&#x201C;</hi> &#x2014; man wolle &#x201E;weitere&#x201C; hier als &#x201E;fernere&#x201C;<lb/>
oder &#x201E;neue&#x201C; verstehen.</note> Unterklassen zerfallen<lb/>
und so fort. Als auf deren letzte Elemente müssen wir aber bei einer<lb/>
jeden gedachten Klasse schliesslich kommen auf eindeutige Terme, die<lb/>
Individuen der Klasse repräsentirend, deren Namen eben als Eigen-<lb/>
namen ganz bestimmte Objekte des Denkens bezeichnen. Denn ur-<lb/>
sprünglich von den letzteren ausgehend haben wir uns historisch erst<lb/>
zu dem Begriff der Klasse erhoben.</p><lb/>
            <p>Umgekehrt allerdings ist der genetische Gang bei den Gebieten<lb/>
einer &#x201E;stetigen&#x201C; Mannigfaltigkeit. Ist diese z. B. räumlicher Natur, so<lb/>
erscheint die Vorstellung des Raumteils, <hi rendition="#i">Körpers</hi> (hernach analog die<lb/>
des Flächen- und des Linienteils) als die ursprünglichere, derjenigen<lb/>
des Punktes gegenüber, und muss von da erst zum Begriffe des mathe-<lb/>
matischen Punktes herabgestiegen werden!</p><lb/>
            <p>Obwol ich damit aus dem Rahmen der mir hier gesetzten Aufgabe<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">22*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339/0363] § 47. Postulate zur Punktdefinition. sicht nicht geometrischer „Körper“, weil dieser Begriff mit zu engem Umfange, als im Gegensatz zu Fläche, Linie sowie Punkt stehend ge- braucht zu werden pflegt — weit eher wäre die Bezeichnung des räum- lichen Gebietes als eine „Figur“ zulässig. Der „Raumteil“ ist nun Punkt zu nennen, dann und nur dann, wenn er, mit i bezeichnet, der Definition (λ) genügt, in welcher dem Symbole x alle erdenklichen räumlichen Gebiete oder Raumteile innerhalb des ganzen Raumes 1 als Bedeutung untergelegt werden müssen. Wir mögen hienach schreiben: ψ) a = i1 + i2 + i3 + … Die Forderung, für die Logik der Begriffsumfänge dies anzuer- kennen, scheint in der That in der ganzen Natur unsres Denkens begründet. Unter einer Klasse können wir uns nur denken: das, was vor- stellen wird ein zusammenfassender oder kollektiver Name für ver- schiedene einzelne Dinge, wenn derselbe durch die Vorschrift distribu- tiver Verwendung zu einem „generellen“ oder „Gattungsnamen“ gestempelt wird (und dadurch unterschieden wird von dem „Kollektiv- namen“ im engeren Sinne, bei welchem solche Verwendung ausge- schlossen oder wenigstens nicht gefordert ist, bei welchem besagte Vorschrift wegfällt, fehlt). Die Klasse, als dargestellt durch einen Gemeinnamen oder viel- deutigen Term, kann selbst wieder in weitere *) Unterklassen zerfallen und so fort. Als auf deren letzte Elemente müssen wir aber bei einer jeden gedachten Klasse schliesslich kommen auf eindeutige Terme, die Individuen der Klasse repräsentirend, deren Namen eben als Eigen- namen ganz bestimmte Objekte des Denkens bezeichnen. Denn ur- sprünglich von den letzteren ausgehend haben wir uns historisch erst zu dem Begriff der Klasse erhoben. Umgekehrt allerdings ist der genetische Gang bei den Gebieten einer „stetigen“ Mannigfaltigkeit. Ist diese z. B. räumlicher Natur, so erscheint die Vorstellung des Raumteils, Körpers (hernach analog die des Flächen- und des Linienteils) als die ursprünglichere, derjenigen des Punktes gegenüber, und muss von da erst zum Begriffe des mathe- matischen Punktes herabgestiegen werden! Obwol ich damit aus dem Rahmen der mir hier gesetzten Aufgabe *) Selbstverständlich „engere“ — man wolle „weitere“ hier als „fernere“ oder „neue“ verstehen. 22*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891/363
Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891/363>, abgerufen am 25.11.2024.