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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.

Univoken Termen (termini) begegnet man besonders in der Sprache
der Technik und Wissenschaft, und sieht sich jede Disziplin genötigt,
dergleichen nötigenfalls sich selbst zu schaffen, sei es durch Restriktion,
Einschränkung eines schon vorhandenen Wortes der Sprache auf eine
bestimmte unter seinen landläufigen Bedeutungen -- mitunter auch
unter Spezialisirung oder Generalisirung, Verallgemeinerung desselben,
also Verengerung oder Erweiterung seiner Bedeutung -- sei es durch
Einführung ganz neuer Wortbildungen.

Überhaupt sehen wir die Sprache, um den beständig sich steigernden
Bezeichnungsbedürfnissen zu genügen, in einem notwendigen Wachstum
begriffen, zu welchem ausser den soeben erwähnten Prozessen noch be-
sonders auch beisteuert das "Differenziiren" der Synonyme, welches darin
besteht, dass man Wörter, die bisher wesentlich als gleichbedeutende
gebraucht wurden, anfängt (mit in bestimmter Weise verschiedenem
Sinne) unterscheidend zu gebrauchen. In Illustration dieses Verfahrens
mussten wir oben beginnen, die Synonyme "zweideutig" und "doppel-
sinnig" auseinanderzuhalten, und werden auch noch andere Beispiele als
wünschenswert, zweckmässig oder unumgänglich bei Gelegenheit sich
darbieten.

Ein einsinniger Name, soviel sich absehen lässt, ist beispielsweise
"Kathedrale", obwol er (als ein Gemeinname) sehr vielen individuellen Ge-
bäuden, wie dem Kölner Dome, dem Strassburger Münster, etc. beigelegt
werden mag. Als ein sehr vielsinniger Name dagegen erscheint "die Kirche"
(Jevons l. c.). Bald wird darunter nur verstanden das Gebäude, in welchem
religiöse Handlungen vorgenommen, Andacht verrichtet wird, bald auch be-
deutet der Ausdruck die ganze Körperschaft, Gemeinde der Personen, welche
zu einem bestimmten Bekenntniss gehören, bald nur die religiösen Autori-
täten oder die Körperschaft der Priester, den Klerus, die Hierarchie im
Gegensatz zum Laienelemente, bald endlich auch die gesamte Organisation,
Institution als solche, und in fast allen diesen Fällen wechselt der Aus-
druck noch obendrein seine Bedeutung je nach der Konfession oder Sekte,
für welche derselbe (gewöhnlich stillschweigend) in Anspruch genommen wird.

Es bedarf kaum des Hinweises, dass vielsinnige Namen sich besonders
leicht zur Irreführung namentlich der unkritischen Menge, der Volksmassen
hergeben, und sehen wir solche Praxis auch mit den Schlagwörtern poli-
tischer Parteien von Demagogen und Propaganda machenden Agitatoren
vielfach geübt. Der Missbrauch gleicht dem Taschenspielerkunststückchen,
durch welches dem nichtsahnenden Publikum ein Ding für ein anderes mit
Geschick untergeschoben wird, indem unvermerkt für die eine Bedeutung
des Namens in Anspruch genommen wird, was genau besehen nur für die
andere anerkannt werden konnte und aufrecht erhalten werden könnte --
natürlich mit dem Erfolg, das Urteil zu korrumpiren. Auch bieten die
doppelsinnigen Wörter bequeme Vorwände und Angriffspunkte für den Streit-
lustigen dar, indem es leicht ist, mit Unterstellung, Insinuation der einen

Einleitung.

Univoken Termen (termini) begegnet man besonders in der Sprache
der Technik und Wissenschaft, und sieht sich jede Disziplin genötigt,
dergleichen nötigenfalls sich selbst zu schaffen, sei es durch Restriktion,
Einschränkung eines schon vorhandenen Wortes der Sprache auf eine
bestimmte unter seinen landläufigen Bedeutungen — mitunter auch
unter Spezialisirung oder Generalisirung, Verallgemeinerung desselben,
also Verengerung oder Erweiterung seiner Bedeutung — sei es durch
Einführung ganz neuer Wortbildungen.

Überhaupt sehen wir die Sprache, um den beständig sich steigernden
Bezeichnungsbedürfnissen zu genügen, in einem notwendigen Wachstum
begriffen, zu welchem ausser den soeben erwähnten Prozessen noch be-
sonders auch beisteuert das „Differenziirender Synonyme, welches darin
besteht, dass man Wörter, die bisher wesentlich als gleichbedeutende
gebraucht wurden, anfängt (mit in bestimmter Weise verschiedenem
Sinne) unterscheidend zu gebrauchen. In Illustration dieses Verfahrens
mussten wir oben beginnen, die Synonyme „zweideutig“ und „doppel-
sinnig“ auseinanderzuhalten, und werden auch noch andere Beispiele als
wünschenswert, zweckmässig oder unumgänglich bei Gelegenheit sich
darbieten.

Ein einsinniger Name, soviel sich absehen lässt, ist beispielsweise
„Kathedrale“, obwol er (als ein Gemeinname) sehr vielen individuellen Ge-
bäuden, wie dem Kölner Dome, dem Strassburger Münster, etc. beigelegt
werden mag. Als ein sehr vielsinniger Name dagegen erscheint „die Kirche“
(Jevons l. c.). Bald wird darunter nur verstanden das Gebäude, in welchem
religiöse Handlungen vorgenommen, Andacht verrichtet wird, bald auch be-
deutet der Ausdruck die ganze Körperschaft, Gemeinde der Personen, welche
zu einem bestimmten Bekenntniss gehören, bald nur die religiösen Autori-
täten oder die Körperschaft der Priester, den Klerus, die Hierarchie im
Gegensatz zum Laienelemente, bald endlich auch die gesamte Organisation,
Institution als solche, und in fast allen diesen Fällen wechselt der Aus-
druck noch obendrein seine Bedeutung je nach der Konfession oder Sekte,
für welche derselbe (gewöhnlich stillschweigend) in Anspruch genommen wird.

Es bedarf kaum des Hinweises, dass vielsinnige Namen sich besonders
leicht zur Irreführung namentlich der unkritischen Menge, der Volksmassen
hergeben, und sehen wir solche Praxis auch mit den Schlagwörtern poli-
tischer Parteien von Demagogen und Propaganda machenden Agitatoren
vielfach geübt. Der Missbrauch gleicht dem Taschenspielerkunststückchen,
durch welches dem nichtsahnenden Publikum ein Ding für ein anderes mit
Geschick untergeschoben wird, indem unvermerkt für die eine Bedeutung
des Namens in Anspruch genommen wird, was genau besehen nur für die
andere anerkannt werden konnte und aufrecht erhalten werden könnte —
natürlich mit dem Erfolg, das Urteil zu korrumpiren. Auch bieten die
doppelsinnigen Wörter bequeme Vorwände und Angriffspunkte für den Streit-
lustigen dar, indem es leicht ist, mit Unterstellung, Insinuation der einen

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[53/0073] Einleitung. Univoken Termen (termini) begegnet man besonders in der Sprache der Technik und Wissenschaft, und sieht sich jede Disziplin genötigt, dergleichen nötigenfalls sich selbst zu schaffen, sei es durch Restriktion, Einschränkung eines schon vorhandenen Wortes der Sprache auf eine bestimmte unter seinen landläufigen Bedeutungen — mitunter auch unter Spezialisirung oder Generalisirung, Verallgemeinerung desselben, also Verengerung oder Erweiterung seiner Bedeutung — sei es durch Einführung ganz neuer Wortbildungen. Überhaupt sehen wir die Sprache, um den beständig sich steigernden Bezeichnungsbedürfnissen zu genügen, in einem notwendigen Wachstum begriffen, zu welchem ausser den soeben erwähnten Prozessen noch be- sonders auch beisteuert das „Differenziiren“ der Synonyme, welches darin besteht, dass man Wörter, die bisher wesentlich als gleichbedeutende gebraucht wurden, anfängt (mit in bestimmter Weise verschiedenem Sinne) unterscheidend zu gebrauchen. In Illustration dieses Verfahrens mussten wir oben beginnen, die Synonyme „zweideutig“ und „doppel- sinnig“ auseinanderzuhalten, und werden auch noch andere Beispiele als wünschenswert, zweckmässig oder unumgänglich bei Gelegenheit sich darbieten. Ein einsinniger Name, soviel sich absehen lässt, ist beispielsweise „Kathedrale“, obwol er (als ein Gemeinname) sehr vielen individuellen Ge- bäuden, wie dem Kölner Dome, dem Strassburger Münster, etc. beigelegt werden mag. Als ein sehr vielsinniger Name dagegen erscheint „die Kirche“ (Jevons l. c.). Bald wird darunter nur verstanden das Gebäude, in welchem religiöse Handlungen vorgenommen, Andacht verrichtet wird, bald auch be- deutet der Ausdruck die ganze Körperschaft, Gemeinde der Personen, welche zu einem bestimmten Bekenntniss gehören, bald nur die religiösen Autori- täten oder die Körperschaft der Priester, den Klerus, die Hierarchie im Gegensatz zum Laienelemente, bald endlich auch die gesamte Organisation, Institution als solche, und in fast allen diesen Fällen wechselt der Aus- druck noch obendrein seine Bedeutung je nach der Konfession oder Sekte, für welche derselbe (gewöhnlich stillschweigend) in Anspruch genommen wird. Es bedarf kaum des Hinweises, dass vielsinnige Namen sich besonders leicht zur Irreführung namentlich der unkritischen Menge, der Volksmassen hergeben, und sehen wir solche Praxis auch mit den Schlagwörtern poli- tischer Parteien von Demagogen und Propaganda machenden Agitatoren vielfach geübt. Der Missbrauch gleicht dem Taschenspielerkunststückchen, durch welches dem nichtsahnenden Publikum ein Ding für ein anderes mit Geschick untergeschoben wird, indem unvermerkt für die eine Bedeutung des Namens in Anspruch genommen wird, was genau besehen nur für die andere anerkannt werden konnte und aufrecht erhalten werden könnte — natürlich mit dem Erfolg, das Urteil zu korrumpiren. Auch bieten die doppelsinnigen Wörter bequeme Vorwände und Angriffspunkte für den Streit- lustigen dar, indem es leicht ist, mit Unterstellung, Insinuation der einen

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/73>, abgerufen am 04.12.2024.