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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Eilfte Vorlesung.

Den analytischen und den synthetischen Propositionen fällt eine
gänzlich verschiedene Rolle in der Wissenschaft zu.

Erstere sind in Bezug auf die Gebiete oder Klassen, über welche
sie etwas auszusagen scheinen, im Grunde vollkommen "nichtssagend",
sie liefern über diese selbst keinerlei Information. Dagegen stellen
sie uns, wenn sie von allgemeinem Charakter, wenn sie Formeln sind,
Gesetze des Denkens dar (und bringen, im Fall sie spezieller Natur,
solche zur Anwendung); sie bringen uns Sätze, Theoreme der formalen
Logik zum Ausdruck und zum Bewusstsein.

Indem sie als solche eventuell die Gleichheit, Identität zwischen
allgemeinen Ausdrücken konstatiren, ermächtigen sie uns, jeden Aus-
druck von der Form der linken Seite der Gleichung, wo immer es uns
vorteilhaft erscheint, zu ersetzen durch einen andern, nach dem Schema
ihrer rechten Seite konstruirten Ausdruck, oder auch umgekehrt (vergl.
S. 283). Sie drücken so fakultativ anzuwendende Rechenvorschriften aus,
garantiren uns gewisse Freiheiten in der Umformung von Ausdrücken,
von welchen wir -- geschickt, oder zur Unzeit -- Gebrauch machen
mögen in der Absicht, die Beschreibung von Klassen zu vereinfachen
und an Zeichenaufwand, Ausdruckskapital und geistiger Arbeit Er-
sparnisse zu erzielen, überhaupt um irgendwelche Probleme zu lösen.

Und auch wenn unsere Formeln blos als Subsumtionen erscheinen,
gewährleisten sie uns die Erlaubniss, gewisse Substitutionen, falls es
uns passend erscheint, vorzunehmen, insbesondre den terminus minor
derselben, wo er anderwärts als Prädikat auftritt, durch den major,
ihren major, wo immer er als Subjekt auftritt durch ihren minor zu
ersetzen; vergl. S. 173. Auch sie statuiren also Lizenzen für die Um-
formung
, Transformation -- zum wenigsten von Aussagen.

Wenn dann später durch den "Aussagenkalkul" auch solche Theoreme,
welche gewisse Behauptungen von bestimmten Voraussetzungen abhängig
hinstellen, in der Zeichensprache durch einen einzigen Ansatz, durch
eine "Formel" darstellbar gemacht werden, so wird sich das zuletzt Ge-
sagte auch auf den so erweiterten Begriff der Proposition und Formel
übertragen. Es regeln diese Formeln den Übergang von einer Aussagen-
form zu andern; sie geben uns allgemeine Schemata für denknotwendiges
Folgern, deduktives Schliessen
.

Soviel über die Rolle, welche den analytischen Propositionen, und
namentlich den Formeln zufällt, die, soferne sie in Worten dargestellt
sind, auch "analytische Urteile" von der Philosophie genannt werden
oder als "apriorische Wahrheiten" bezeichnet werden mögen. Vergl. z)
unsrer Einleitung.

Eilfte Vorlesung.

Den analytischen und den synthetischen Propositionen fällt eine
gänzlich verschiedene Rolle in der Wissenschaft zu.

Erstere sind in Bezug auf die Gebiete oder Klassen, über welche
sie etwas auszusagen scheinen, im Grunde vollkommen „nichtssagend“,
sie liefern über diese selbst keinerlei Information. Dagegen stellen
sie uns, wenn sie von allgemeinem Charakter, wenn sie Formeln sind,
Gesetze des Denkens dar (und bringen, im Fall sie spezieller Natur,
solche zur Anwendung); sie bringen uns Sätze, Theoreme der formalen
Logik zum Ausdruck und zum Bewusstsein.

Indem sie als solche eventuell die Gleichheit, Identität zwischen
allgemeinen Ausdrücken konstatiren, ermächtigen sie uns, jeden Aus-
druck von der Form der linken Seite der Gleichung, wo immer es uns
vorteilhaft erscheint, zu ersetzen durch einen andern, nach dem Schema
ihrer rechten Seite konstruirten Ausdruck, oder auch umgekehrt (vergl.
S. 283). Sie drücken so fakultativ anzuwendende Rechenvorschriften aus,
garantiren uns gewisse Freiheiten in der Umformung von Ausdrücken,
von welchen wir — geschickt, oder zur Unzeit — Gebrauch machen
mögen in der Absicht, die Beschreibung von Klassen zu vereinfachen
und an Zeichenaufwand, Ausdruckskapital und geistiger Arbeit Er-
sparnisse zu erzielen, überhaupt um irgendwelche Probleme zu lösen.

Und auch wenn unsere Formeln blos als Subsumtionen erscheinen,
gewährleisten sie uns die Erlaubniss, gewisse Substitutionen, falls es
uns passend erscheint, vorzunehmen, insbesondre den terminus minor
derselben, wo er anderwärts als Prädikat auftritt, durch den major,
ihren major, wo immer er als Subjekt auftritt durch ihren minor zu
ersetzen; vergl. S. 173. Auch sie statuiren also Lizenzen für die Um-
formung
, Transformation — zum wenigsten von Aussagen.

Wenn dann später durch den „Aussagenkalkul“ auch solche Theoreme,
welche gewisse Behauptungen von bestimmten Voraussetzungen abhängig
hinstellen, in der Zeichensprache durch einen einzigen Ansatz, durch
eine „Formel“ darstellbar gemacht werden, so wird sich das zuletzt Ge-
sagte auch auf den so erweiterten Begriff der Proposition und Formel
übertragen. Es regeln diese Formeln den Übergang von einer Aussagen-
form zu andern; sie geben uns allgemeine Schemata für denknotwendiges
Folgern, deduktives Schliessen
.

Soviel über die Rolle, welche den analytischen Propositionen, und
namentlich den Formeln zufällt, die, soferne sie in Worten dargestellt
sind, auch „analytische Urteile“ von der Philosophie genannt werden
oder als „apriorische Wahrheiten“ bezeichnet werden mögen. Vergl. ζ)
unsrer Einleitung.

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[440/0460] Eilfte Vorlesung. Den analytischen und den synthetischen Propositionen fällt eine gänzlich verschiedene Rolle in der Wissenschaft zu. Erstere sind in Bezug auf die Gebiete oder Klassen, über welche sie etwas auszusagen scheinen, im Grunde vollkommen „nichtssagend“, sie liefern über diese selbst keinerlei Information. Dagegen stellen sie uns, wenn sie von allgemeinem Charakter, wenn sie Formeln sind, Gesetze des Denkens dar (und bringen, im Fall sie spezieller Natur, solche zur Anwendung); sie bringen uns Sätze, Theoreme der formalen Logik zum Ausdruck und zum Bewusstsein. Indem sie als solche eventuell die Gleichheit, Identität zwischen allgemeinen Ausdrücken konstatiren, ermächtigen sie uns, jeden Aus- druck von der Form der linken Seite der Gleichung, wo immer es uns vorteilhaft erscheint, zu ersetzen durch einen andern, nach dem Schema ihrer rechten Seite konstruirten Ausdruck, oder auch umgekehrt (vergl. S. 283). Sie drücken so fakultativ anzuwendende Rechenvorschriften aus, garantiren uns gewisse Freiheiten in der Umformung von Ausdrücken, von welchen wir — geschickt, oder zur Unzeit — Gebrauch machen mögen in der Absicht, die Beschreibung von Klassen zu vereinfachen und an Zeichenaufwand, Ausdruckskapital und geistiger Arbeit Er- sparnisse zu erzielen, überhaupt um irgendwelche Probleme zu lösen. Und auch wenn unsere Formeln blos als Subsumtionen erscheinen, gewährleisten sie uns die Erlaubniss, gewisse Substitutionen, falls es uns passend erscheint, vorzunehmen, insbesondre den terminus minor derselben, wo er anderwärts als Prädikat auftritt, durch den major, ihren major, wo immer er als Subjekt auftritt durch ihren minor zu ersetzen; vergl. S. 173. Auch sie statuiren also Lizenzen für die Um- formung, Transformation — zum wenigsten von Aussagen. Wenn dann später durch den „Aussagenkalkul“ auch solche Theoreme, welche gewisse Behauptungen von bestimmten Voraussetzungen abhängig hinstellen, in der Zeichensprache durch einen einzigen Ansatz, durch eine „Formel“ darstellbar gemacht werden, so wird sich das zuletzt Ge- sagte auch auf den so erweiterten Begriff der Proposition und Formel übertragen. Es regeln diese Formeln den Übergang von einer Aussagen- form zu andern; sie geben uns allgemeine Schemata für denknotwendiges Folgern, deduktives Schliessen. Soviel über die Rolle, welche den analytischen Propositionen, und namentlich den Formeln zufällt, die, soferne sie in Worten dargestellt sind, auch „analytische Urteile“ von der Philosophie genannt werden oder als „apriorische Wahrheiten“ bezeichnet werden mögen. Vergl. ζ) unsrer Einleitung.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/460>, abgerufen am 22.11.2024.