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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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§ 20. Analytische Propositionen, Formeln.
slimmte" oder "variabele" eventuell als "allgemeine" Symbole hingestellt
werden mögen) beigelegt denkt.

Wohl aber tritt auch hier bei einer Umschau ein grosser Gegen-
satz zutage:

Wir bemerken -- schon unter den bisherigen -- solche Propo-
sitionen, die richtig werden, welche Bedeutungen, Werte oder Wert-
systeme man auch den in ihnen vorkommenden variablen Elementen
beilegen mag, und solche, bei denen dies nicht der Fall ist.

Erstere nennen wir "analytische" Propositionen, die letzteren "syn-
thetische
".

Hierbei befinden wir uns in vollkommener Analogie mit dem Verfahren
der numerisch rechnenden Mathematik, die ihre Buchstabengleichungen in
analytische und synthetische einteilt.

Beispiele von "analytischen" Propositionen sind die Subsumtionen resp.
Gleichungen:
a a, 0 a, a 1, a b a, a a + b, a + a b = a,
a a1 = 0, a + a1 = 1, a (b + c) = a b + a c, etc.

Überhaupt jede in den bisherigen Sätzen, d. i. Axiomen ("Prinzipien") und
Theoremen, als allgemeingültig hingestellte und eventuell bewiesene Sub-
sumtion oder Gleichung wird als eine "analytische" Proposition zu bezeich-
nen sein.

Analytische Propositionen, in unsrer Zeichensprache dargestellt,
heissen mit einem Worte auch "Formeln" im strengen Sinn dieses
Wortes.

Der Sprachgebrauch mit seinen Inkonsequenzen verwendet freilich manch-
mal auch das Wort "Formel" als synonym mit (Buchstaben-)Ausdruck (ex-
pressio, compound term), doch ist diese Verwendung die weitaus seltenere,
hat meist einen rhetorischen Beigeschmack und ist eigentlich als inkorrekt
zu qualifiziren -- so wenigstens für die Mathematik; ich habe nichts da-
gegen, wenn der Chemiker nicht nur von der Formel für einen chemischen
Vorgang, sondern auch von der "Formel" einer Substanz als einer chemi-
schen Verbindung spricht.

In der Mathematik ist die Formel jeweils eine Gleichung (eventuell
auch Ungleichung) also eine wirkliche Behauptung, nicht aber blos ein Aus-
druck, Term oder Name für eine Zahl, und analog soll es auch im iden-
tischen Kalkul gehalten werden.

Das charakteristische Merkmal der Formel schlechtweg ist dem-
nach in ihrer Allgemeingültigkeit, ist darin zu erblicken, dass sie "er-
füllt" ist, gilt, welche Wertsysteme (aus der zugrunde gelegten Man-
nigfaltigkeit) man auch den in ihr vorkommenden Buchstabensymbolen
unterlegt.

Niemals, freilich, kann hier solche Allgemeingültigkeit empirisch

§ 20. Analytische Propositionen, Formeln.
slimmte“ oder „variabele“ eventuell als „allgemeine“ Symbole hingestellt
werden mögen) beigelegt denkt.

Wohl aber tritt auch hier bei einer Umschau ein grosser Gegen-
satz zutage:

Wir bemerken — schon unter den bisherigen — solche Propo-
sitionen, die richtig werden, welche Bedeutungen, Werte oder Wert-
systeme man auch den in ihnen vorkommenden variablen Elementen
beilegen mag, und solche, bei denen dies nicht der Fall ist.

Erstere nennen wir „analytische“ Propositionen, die letzteren „syn-
thetische
“.

Hierbei befinden wir uns in vollkommener Analogie mit dem Verfahren
der numerisch rechnenden Mathematik, die ihre Buchstabengleichungen in
analytische und synthetische einteilt.

Beispiele von „analytischen“ Propositionen sind die Subsumtionen resp.
Gleichungen:
aa, 0 ⋹ a, a ⋹ 1, a ba, aa + b, a + a b = a,
a a1 = 0, a + a1 = 1, a (b + c) = a b + a c, etc.

Überhaupt jede in den bisherigen Sätzen, d. i. Axiomen („Prinzipien“) und
Theoremen, als allgemeingültig hingestellte und eventuell bewiesene Sub-
sumtion oder Gleichung wird als eine „analytische“ Proposition zu bezeich-
nen sein.

Analytische Propositionen, in unsrer Zeichensprache dargestellt,
heissen mit einem Worte auch „Formeln“ im strengen Sinn dieses
Wortes.

Der Sprachgebrauch mit seinen Inkonsequenzen verwendet freilich manch-
mal auch das Wort „Formel“ als synonym mit (Buchstaben-)Ausdruck (ex-
pressio, compound term), doch ist diese Verwendung die weitaus seltenere,
hat meist einen rhetorischen Beigeschmack und ist eigentlich als inkorrekt
zu qualifiziren — so wenigstens für die Mathematik; ich habe nichts da-
gegen, wenn der Chemiker nicht nur von der Formel für einen chemischen
Vorgang, sondern auch von der „Formel“ einer Substanz als einer chemi-
schen Verbindung spricht.

In der Mathematik ist die Formel jeweils eine Gleichung (eventuell
auch Ungleichung) also eine wirkliche Behauptung, nicht aber blos ein Aus-
druck, Term oder Name für eine Zahl, und analog soll es auch im iden-
tischen Kalkul gehalten werden.

Das charakteristische Merkmal der Formel schlechtweg ist dem-
nach in ihrer Allgemeingültigkeit, ist darin zu erblicken, dass sie „er-
füllt“ ist, gilt, welche Wertsysteme (aus der zugrunde gelegten Man-
nigfaltigkeit) man auch den in ihr vorkommenden Buchstabensymbolen
unterlegt.

Niemals, freilich, kann hier solche Allgemeingültigkeit empirisch

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[437/0457] § 20. Analytische Propositionen, Formeln. slimmte“ oder „variabele“ eventuell als „allgemeine“ Symbole hingestellt werden mögen) beigelegt denkt. Wohl aber tritt auch hier bei einer Umschau ein grosser Gegen- satz zutage: Wir bemerken — schon unter den bisherigen — solche Propo- sitionen, die richtig werden, welche Bedeutungen, Werte oder Wert- systeme man auch den in ihnen vorkommenden variablen Elementen beilegen mag, und solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Erstere nennen wir „analytische“ Propositionen, die letzteren „syn- thetische“. Hierbei befinden wir uns in vollkommener Analogie mit dem Verfahren der numerisch rechnenden Mathematik, die ihre Buchstabengleichungen in analytische und synthetische einteilt. Beispiele von „analytischen“ Propositionen sind die Subsumtionen resp. Gleichungen: a ⋹ a, 0 ⋹ a, a ⋹ 1, a b ⋹ a, a ⋹ a + b, a + a b = a, a a1 = 0, a + a1 = 1, a (b + c) = a b + a c, etc. Überhaupt jede in den bisherigen Sätzen, d. i. Axiomen („Prinzipien“) und Theoremen, als allgemeingültig hingestellte und eventuell bewiesene Sub- sumtion oder Gleichung wird als eine „analytische“ Proposition zu bezeich- nen sein. Analytische Propositionen, in unsrer Zeichensprache dargestellt, heissen mit einem Worte auch „Formeln“ im strengen Sinn dieses Wortes. Der Sprachgebrauch mit seinen Inkonsequenzen verwendet freilich manch- mal auch das Wort „Formel“ als synonym mit (Buchstaben-)Ausdruck (ex- pressio, compound term), doch ist diese Verwendung die weitaus seltenere, hat meist einen rhetorischen Beigeschmack und ist eigentlich als inkorrekt zu qualifiziren — so wenigstens für die Mathematik; ich habe nichts da- gegen, wenn der Chemiker nicht nur von der Formel für einen chemischen Vorgang, sondern auch von der „Formel“ einer Substanz als einer chemi- schen Verbindung spricht. In der Mathematik ist die Formel jeweils eine Gleichung (eventuell auch Ungleichung) also eine wirkliche Behauptung, nicht aber blos ein Aus- druck, Term oder Name für eine Zahl, und analog soll es auch im iden- tischen Kalkul gehalten werden. Das charakteristische Merkmal der Formel schlechtweg ist dem- nach in ihrer Allgemeingültigkeit, ist darin zu erblicken, dass sie „er- füllt“ ist, gilt, welche Wertsysteme (aus der zugrunde gelegten Man- nigfaltigkeit) man auch den in ihr vorkommenden Buchstabensymbolen unterlegt. Niemals, freilich, kann hier solche Allgemeingültigkeit empirisch

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/457>, abgerufen am 22.11.2024.