Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
Moment des Handelns aufdrängen, und welche zuletzt das Übergewicht er-
halten, die That bestimmend.

Des weiteren sei in Bezug auf die angeregte interessante Frage auf
Herrn Emil du Bois-Reymond's bekannte Schrift "Die sieben Welträthsel"
und den darin citirten merkwürdigen Ausspruch des Abbe Galiani ver-
wiesen. Die Arbeit von Ludwig Dieffenbach1 bekundet grosse Belesenheit
des Verfassers und betrachtet mit Scharfsinn auch juristische Fragen vom
deterministischen Standpunkte.*) Von Neueren behandelt Riehl2 Bd. 2,
p. 216 sqq. das Problem der Willensfreiheit besonders eingehend und, wie
mir scheint, in mustergültiger Weise.

Ich würde es, nebenbei gesagt, für einen grossen Segen halten, wenn
die Überzeugung von der Naturnotwendigkeit alles menschlichen Denkens
und Handelns Gemeingut aller Gebildeten würde. Diese Weltanschauung,
welcher unter den Dichtern der Neuzeit Herr Arthur Fitger prägnanten
und poetischen Ausdruck verliehen, müsste -- im Einklang mit dem schönen
Gebot der Nächstenliebe und vielleicht wirksamer als diese nur allzuoft
nicht vorhandene oder fast unmögliche -- naturnotwendig dahin wirken,
der Animosität, dem Hass und der Verdammungssucht jeglichen Boden,
auf dem sie gedeihen könnten, zu entziehen und auch ein gutes Teil Über-
hebung aus der menschlichen Gemeinschaft zu tilgen. Sofern die Hand-
lungen des Individuums in erster Linie vom Stande seiner Einsicht ab-
hängig, durch diesen sich bestimmt erweisen, würde sich für einen Jeden
das praktische Gebot ergeben, vor allem auf Richtigstellung, Hebung und
Vertiefung der Einsicht -- eigner, wie fremder -- bedacht zu nehmen.
Bei der Beurteilung des Nebenmenschen würde man stets die in Madame
de Stael's klassischem Spruche: Alles verstehen hiesse alles verzeihen, "Tout

*) Für jede Weltanschauung, ja fast für jede Ansicht, hat die Philosophie
einen "... ismus" als Namen parat. Da gibt es einen Nominalismus, Realismus
und Konzeptualismus, einen Materialismus, Sensualismus, Naturalismus und Ratio-
nalismus, einen Idealismus, Spiritualismus, Spiritismus, Supernaturalismus und
Mysticismus, einen Eklekticismus, etc. und nicht genug damit: es müssen auch
noch Personennamen zu weitern "... ismussen" herhalten wie in Platonismus,
Skotismus, Kantianismus, Schopenhauerianismus etc.
Wer sich über die damit zu verbindenden Begriffe und ihre im Lauf der
Jahrhunderte zum Teil recht schwankenden Bedeutungen orientiren will, mag ein
gutes Konversationslexikon zu rate ziehen. Hüten aber muss man sich davor,
eine Ansicht über die Dinge, schon darum, weil sie eine derartige Benennung
gefunden hat, nunmehr für einen längst abgethanen und überwundenen Stand-
punkt halten zu wollen. Nicht wenige dieser ".. ismusse" floriren noch lustig
weiter und hängen eben mit fundamentalen Fragen zusammen, welche die Philo-
sophie noch keineswegs zum Austrag zu bringen vermocht bat.
Mit unsrer Einleitung gingen wir unsrer Überzeugung gemäss aus vom
"idealistischen" Standpunkte. Die oben vorgetragenen (damit sehr wohl verträg-
lichen) Anschauungen über die Willensfreiheit, nach welchen auch der Mensch mit
seinem Fühlen, Thun und Denken keine Ausnahme in der allgemeinen Gesetzmässig-
keit der Natur bildet,
führen den Namen des "Determinismus", und werden die
Gegner dieses Standpunktes auch als "Indeterministen" bezeichnet.

Einleitung.
Moment des Handelns aufdrängen, und welche zuletzt das Übergewicht er-
halten, die That bestimmend.

Des weiteren sei in Bezug auf die angeregte interessante Frage auf
Herrn Emil du Bois-Reymond's bekannte Schrift „Die sieben Welträthsel“
und den darin citirten merkwürdigen Ausspruch des Abbé Galiani ver-
wiesen. Die Arbeit von Ludwig Dieffenbach1 bekundet grosse Belesenheit
des Verfassers und betrachtet mit Scharfsinn auch juristische Fragen vom
deterministischen Standpunkte.*) Von Neueren behandelt Riehl2 Bd. 2,
p. 216 sqq. das Problem der Willensfreiheit besonders eingehend und, wie
mir scheint, in mustergültiger Weise.

Ich würde es, nebenbei gesagt, für einen grossen Segen halten, wenn
die Überzeugung von der Naturnotwendigkeit alles menschlichen Denkens
und Handelns Gemeingut aller Gebildeten würde. Diese Weltanschauung,
welcher unter den Dichtern der Neuzeit Herr Arthur Fitger prägnanten
und poetischen Ausdruck verliehen, müsste — im Einklang mit dem schönen
Gebot der Nächstenliebe und vielleicht wirksamer als diese nur allzuoft
nicht vorhandene oder fast unmögliche — naturnotwendig dahin wirken,
der Animosität, dem Hass und der Verdammungssucht jeglichen Boden,
auf dem sie gedeihen könnten, zu entziehen und auch ein gutes Teil Über-
hebung aus der menschlichen Gemeinschaft zu tilgen. Sofern die Hand-
lungen des Individuums in erster Linie vom Stande seiner Einsicht ab-
hängig, durch diesen sich bestimmt erweisen, würde sich für einen Jeden
das praktische Gebot ergeben, vor allem auf Richtigstellung, Hebung und
Vertiefung der Einsicht — eigner, wie fremder — bedacht zu nehmen.
Bei der Beurteilung des Nebenmenschen würde man stets die in Madame
de Staël's klassischem Spruche: Alles verstehen hiesse alles verzeihen, „Tout

*) Für jede Weltanschauung, ja fast für jede Ansicht, hat die Philosophie
einen „… ismus“ als Namen parat. Da gibt es einen Nominalismus, Realismus
und Konzeptualismus, einen Materialismus, Sensualismus, Naturalismus und Ratio-
nalismus, einen Idealismus, Spiritualismus, Spiritismus, Supernaturalismus und
Mysticismus, einen Eklekticismus, etc. und nicht genug damit: es müssen auch
noch Personennamen zu weitern „… ismussen“ herhalten wie in Platonismus,
Skotismus, Kantianismus, Schopenhauerianismus etc.
Wer sich über die damit zu verbindenden Begriffe und ihre im Lauf der
Jahrhunderte zum Teil recht schwankenden Bedeutungen orientiren will, mag ein
gutes Konversationslexikon zu rate ziehen. Hüten aber muss man sich davor,
eine Ansicht über die Dinge, schon darum, weil sie eine derartige Benennung
gefunden hat, nunmehr für einen längst abgethanen und überwundenen Stand-
punkt halten zu wollen. Nicht wenige dieser „‥ ismusse“ floriren noch lustig
weiter und hängen eben mit fundamentalen Fragen zusammen, welche die Philo-
sophie noch keineswegs zum Austrag zu bringen vermocht bat.
Mit unsrer Einleitung gingen wir unsrer Überzeugung gemäss aus vom
„idealistischen“ Standpunkte. Die oben vorgetragenen (damit sehr wohl verträg-
lichen) Anschauungen über die Willensfreiheit, nach welchen auch der Mensch mit
seinem Fühlen, Thun und Denken keine Ausnahme in der allgemeinen Gesetzmässig-
keit der Natur bildet,
führen den Namen des „Determinismus“, und werden die
Gegner dieses Standpunktes auch als „Indeterministen“ bezeichnet.
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0044" n="24"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/>
Moment des Handelns aufdrängen, und welche zuletzt das Übergewicht er-<lb/>
halten, die That bestimmend.</p><lb/>
          <p>Des weiteren sei in Bezug auf die angeregte interessante Frage auf<lb/>
Herrn <hi rendition="#g">Emil du Bois-Reymond</hi>'s bekannte Schrift &#x201E;Die sieben Welträthsel&#x201C;<lb/>
und den darin citirten merkwürdigen Ausspruch des Abbé <hi rendition="#g">Galiani</hi> ver-<lb/>
wiesen. Die Arbeit von <hi rendition="#g">Ludwig Dieffenbach</hi><hi rendition="#sup">1</hi> bekundet grosse Belesenheit<lb/>
des Verfassers und betrachtet mit Scharfsinn auch juristische Fragen vom<lb/>
deterministischen Standpunkte.<note place="foot" n="*)">Für jede Weltanschauung, ja fast für jede Ansicht, hat die Philosophie<lb/>
einen &#x201E;&#x2026; ismus&#x201C; als Namen parat. Da gibt es einen Nominalismus, Realismus<lb/>
und Konzeptualismus, einen Materialismus, Sensualismus, Naturalismus und Ratio-<lb/>
nalismus, einen Idealismus, Spiritualismus, Spiritismus, Supernaturalismus und<lb/>
Mysticismus, einen Eklekticismus, etc. und nicht genug damit: es müssen auch<lb/>
noch Personennamen zu weitern &#x201E;&#x2026; ismussen&#x201C; herhalten wie in Platonismus,<lb/>
Skotismus, Kantianismus, Schopenhauerianismus etc.<lb/>
Wer sich über die damit zu verbindenden Begriffe und ihre im Lauf der<lb/>
Jahrhunderte zum Teil recht schwankenden Bedeutungen orientiren will, mag ein<lb/>
gutes Konversationslexikon zu rate ziehen. Hüten aber muss man sich davor,<lb/>
eine Ansicht über die Dinge, schon darum, weil sie eine derartige Benennung<lb/>
gefunden hat, nunmehr für einen längst abgethanen und überwundenen Stand-<lb/>
punkt halten zu wollen. Nicht wenige dieser &#x201E;&#x2025; ismusse&#x201C; floriren noch lustig<lb/>
weiter und hängen eben mit fundamentalen Fragen zusammen, welche die Philo-<lb/>
sophie noch keineswegs zum Austrag zu bringen vermocht bat.<lb/>
Mit unsrer Einleitung gingen wir unsrer Überzeugung gemäss aus vom<lb/><hi rendition="#i">&#x201E;idealistischen&#x201C;</hi> Standpunkte. Die oben vorgetragenen (damit sehr wohl verträg-<lb/>
lichen) Anschauungen über die Willensfreiheit, <hi rendition="#i">nach welchen auch der Mensch</hi> mit<lb/>
seinem Fühlen, Thun und Denken <hi rendition="#i">keine Ausnahme in der allgemeinen Gesetzmässig-<lb/>
keit der Natur bildet,</hi> führen den Namen des <hi rendition="#i">&#x201E;Determinismus&#x201C;,</hi> und werden die<lb/>
Gegner dieses Standpunktes auch als &#x201E;Indeterministen&#x201C; bezeichnet.</note> Von Neueren behandelt Riehl<hi rendition="#sup">2</hi> Bd. 2,<lb/>
p. 216 sqq. das Problem der Willensfreiheit besonders eingehend und, wie<lb/>
mir scheint, in mustergültiger Weise.</p><lb/>
          <p>Ich würde es, nebenbei gesagt, für einen grossen Segen halten, wenn<lb/>
die Überzeugung von der Naturnotwendigkeit alles menschlichen Denkens<lb/>
und Handelns Gemeingut aller Gebildeten würde. Diese Weltanschauung,<lb/>
welcher unter den Dichtern der Neuzeit Herr <hi rendition="#g">Arthur Fitger</hi> prägnanten<lb/>
und poetischen Ausdruck verliehen, müsste &#x2014; im Einklang mit dem schönen<lb/>
Gebot der Nächstenliebe und vielleicht wirksamer als diese nur allzuoft<lb/>
nicht vorhandene oder fast unmögliche &#x2014; naturnotwendig dahin wirken,<lb/>
der Animosität, dem Hass und der Verdammungssucht jeglichen Boden,<lb/>
auf dem sie gedeihen könnten, zu entziehen und auch ein gutes Teil Über-<lb/>
hebung aus der menschlichen Gemeinschaft zu tilgen. Sofern die Hand-<lb/>
lungen des Individuums in erster Linie vom Stande seiner Einsicht ab-<lb/>
hängig, durch diesen sich bestimmt erweisen, würde sich für einen Jeden<lb/>
das praktische Gebot ergeben, vor allem auf Richtigstellung, Hebung und<lb/>
Vertiefung der Einsicht &#x2014; eigner, wie fremder &#x2014; bedacht zu nehmen.<lb/>
Bei der Beurteilung des Nebenmenschen würde man stets die in Madame<lb/><hi rendition="#g">de Staël</hi>'s klassischem Spruche: Alles verstehen hiesse alles verzeihen, &#x201E;Tout<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[24/0044] Einleitung. Moment des Handelns aufdrängen, und welche zuletzt das Übergewicht er- halten, die That bestimmend. Des weiteren sei in Bezug auf die angeregte interessante Frage auf Herrn Emil du Bois-Reymond's bekannte Schrift „Die sieben Welträthsel“ und den darin citirten merkwürdigen Ausspruch des Abbé Galiani ver- wiesen. Die Arbeit von Ludwig Dieffenbach1 bekundet grosse Belesenheit des Verfassers und betrachtet mit Scharfsinn auch juristische Fragen vom deterministischen Standpunkte. *) Von Neueren behandelt Riehl2 Bd. 2, p. 216 sqq. das Problem der Willensfreiheit besonders eingehend und, wie mir scheint, in mustergültiger Weise. Ich würde es, nebenbei gesagt, für einen grossen Segen halten, wenn die Überzeugung von der Naturnotwendigkeit alles menschlichen Denkens und Handelns Gemeingut aller Gebildeten würde. Diese Weltanschauung, welcher unter den Dichtern der Neuzeit Herr Arthur Fitger prägnanten und poetischen Ausdruck verliehen, müsste — im Einklang mit dem schönen Gebot der Nächstenliebe und vielleicht wirksamer als diese nur allzuoft nicht vorhandene oder fast unmögliche — naturnotwendig dahin wirken, der Animosität, dem Hass und der Verdammungssucht jeglichen Boden, auf dem sie gedeihen könnten, zu entziehen und auch ein gutes Teil Über- hebung aus der menschlichen Gemeinschaft zu tilgen. Sofern die Hand- lungen des Individuums in erster Linie vom Stande seiner Einsicht ab- hängig, durch diesen sich bestimmt erweisen, würde sich für einen Jeden das praktische Gebot ergeben, vor allem auf Richtigstellung, Hebung und Vertiefung der Einsicht — eigner, wie fremder — bedacht zu nehmen. Bei der Beurteilung des Nebenmenschen würde man stets die in Madame de Staël's klassischem Spruche: Alles verstehen hiesse alles verzeihen, „Tout *) Für jede Weltanschauung, ja fast für jede Ansicht, hat die Philosophie einen „… ismus“ als Namen parat. Da gibt es einen Nominalismus, Realismus und Konzeptualismus, einen Materialismus, Sensualismus, Naturalismus und Ratio- nalismus, einen Idealismus, Spiritualismus, Spiritismus, Supernaturalismus und Mysticismus, einen Eklekticismus, etc. und nicht genug damit: es müssen auch noch Personennamen zu weitern „… ismussen“ herhalten wie in Platonismus, Skotismus, Kantianismus, Schopenhauerianismus etc. Wer sich über die damit zu verbindenden Begriffe und ihre im Lauf der Jahrhunderte zum Teil recht schwankenden Bedeutungen orientiren will, mag ein gutes Konversationslexikon zu rate ziehen. Hüten aber muss man sich davor, eine Ansicht über die Dinge, schon darum, weil sie eine derartige Benennung gefunden hat, nunmehr für einen längst abgethanen und überwundenen Stand- punkt halten zu wollen. Nicht wenige dieser „‥ ismusse“ floriren noch lustig weiter und hängen eben mit fundamentalen Fragen zusammen, welche die Philo- sophie noch keineswegs zum Austrag zu bringen vermocht bat. Mit unsrer Einleitung gingen wir unsrer Überzeugung gemäss aus vom „idealistischen“ Standpunkte. Die oben vorgetragenen (damit sehr wohl verträg- lichen) Anschauungen über die Willensfreiheit, nach welchen auch der Mensch mit seinem Fühlen, Thun und Denken keine Ausnahme in der allgemeinen Gesetzmässig- keit der Natur bildet, führen den Namen des „Determinismus“, und werden die Gegner dieses Standpunktes auch als „Indeterministen“ bezeichnet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/44
Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/44>, abgerufen am 24.11.2024.