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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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stens in gegenwärtiger Disziplin, in
welcher wir übereingekommen sind,
das Nichts in jeder Klasse, so auch
in derjenigen der schwarzen Dinge
mitenthalten zu denken.
22+) Was schwarz oder irgend et-
was ist, muss eben nur irgendetwas
sein, und umgekehrt: Alles ist schwarz
oder (sonst) irgend etwas.

Das Wort "nichts" könnte in vorstehenden Sätzen auch teilweise oder
durchweg durch "ein rundes Quadrat" z. B. ersetzt werden.

Wir sehen, dass für die Sprache des gemeinen Lebens höchstens wol
die Theoreme 22x) und 21+) beanstandet werden können, aber nur diese
-- durchaus nicht 22+). Jene sind dort in der That cum grano salis zu
nehmen.

Dem Mathematiker dagegen, der seine bei den Zahlen erworbenen
Gewohnheiten in den identischen Kalkul unbesonnen herübernähme, müsste
das Theorem 22+) allein anstössig erscheinen. Die drei andern von den in
Rede stehenden Theoremen konstatiren ja Formeln, die auch in der Arith-
metik allgemeine Geltung haben.

Und der Umstand, dass die identische 0 die (beiden) Grundeigenschaften
a
· 0 = 0 und a + 0 = a mit der arithmetischen gemein hat, rechtfertigt
es zweifellos, dass wir der Arithmetik das Zahlzeichen 0 behufs Darstellung
unsres Nullgebietes, des absoluten "Nichts", entlehnten.

Dagegen vereinigt die "identische 1" in sich die Grundeigenschaft der
arithmetischen 1, dass a · 1 = a ist, mit einer solchen "der absoluten Un-
endlich", gemäss welcher in der Mathematik a + infinity = infinity gilt.

In rein formaler Hinsicht würde darnach ein aus 1 und infinity zusammen-
gesetztes Zeichen, wie etwa:
[Abbildung] wol als das geeignetste erscheinen, um Dasjenige vorzustellen, was ich hier
"die identischen Eins" nenne.

Will man aber statt eines besondern Zeichens (wie Jevons' "Uni-
verse" U, R. Grassmann's "Totalität" T) der Einfachheit wegen eines der
beiden Zeichen 1 und infinity selbst hiezu verwenden, so gibt die formale Hin-
sicht keinen Ausschlag, welches von den beiden etwa vorzuziehen wäre.

Nun haben Boole und Andere stets, auch Herr Peirce früher, nur
das Zeichen 1 benutzt. Neuerdings jedoch hat sich letzterer5 samt seiner
Schule -- sekundirt durch Wundt1 -- für das Zeichen infinity entschieden,
sodass den Genannten also a · infinity = a gilt!

In sachlicher Hinsicht mag hiebei wol die Überlegung ausschlaggebend
gewesen sein, dass das fragliche Zeichen die ganze Mannigfaltigkeit, auf
deren Gebiete die Untersuchungen spielen, vorzustellen hat, und diese häufig
"eine unendliche" ist, nämlich, wenn sie auch nicht immer ein unbegrenztes
oder unendlich grosses Gebiet vorstellt, doch wenigstens unbegrenzt viele
Elemente enthält. So enthält ja in der That die durchaus endliche und
vollkommen begrenzte Fläche der Schultafel (z. B.) gleichwol unendlich
viele Punkte.

Demungeachtet muss ich jenen Übertritt*) für einen Rückschritt halten

*) Als eine Wirkung dieser Schwenkung citire ich einen Herrn Peirce zu-
geschriebenen passus aus der verdienstlichen Abhandlung von Miss Ladd (Fran
stens in gegenwärtiger Disziplin, in
welcher wir übereingekommen sind,
das Nichts in jeder Klasse, so auch
in derjenigen der schwarzen Dinge
mitenthalten zu denken.
22+) Was schwarz oder irgend et-
was ist, muss eben nur irgendetwas
sein, und umgekehrt: Alles ist schwarz
oder (sonst) irgend etwas.

Das Wort „nichts“ könnte in vorstehenden Sätzen auch teilweise oder
durchweg durch „ein rundes Quadrat“ z. B. ersetzt werden.

Wir sehen, dass für die Sprache des gemeinen Lebens höchstens wol
die Theoreme 22×) und 21+) beanstandet werden können, aber nur diese
— durchaus nicht 22+). Jene sind dort in der That cum grano salis zu
nehmen.

Dem Mathematiker dagegen, der seine bei den Zahlen erworbenen
Gewohnheiten in den identischen Kalkul unbesonnen herübernähme, müsste
das Theorem 22+) allein anstössig erscheinen. Die drei andern von den in
Rede stehenden Theoremen konstatiren ja Formeln, die auch in der Arith-
metik allgemeine Geltung haben.

Und der Umstand, dass die identische 0 die (beiden) Grundeigenschaften
a
· 0 = 0 und a + 0 = a mit der arithmetischen gemein hat, rechtfertigt
es zweifellos, dass wir der Arithmetik das Zahlzeichen 0 behufs Darstellung
unsres Nullgebietes, des absoluten „Nichts“, entlehnten.

Dagegen vereinigt die „identische 1“ in sich die Grundeigenschaft der
arithmetischen 1, dass a · 1 = a ist, mit einer solchen „der absoluten Un-
endlich“, gemäss welcher in der Mathematik a + ∞ = ∞ gilt.

In rein formaler Hinsicht würde darnach ein aus 1 und ∞ zusammen-
gesetztes Zeichen, wie etwa:
[Abbildung] wol als das geeignetste erscheinen, um Dasjenige vorzustellen, was ich hier
„die identischen Eins“ nenne.

Will man aber statt eines besondern Zeichens (wie Jevons' „Uni-
verse“ U, R. Grassmann's „Totalität“ T) der Einfachheit wegen eines der
beiden Zeichen 1 und ∞ selbst hiezu verwenden, so gibt die formale Hin-
sicht keinen Ausschlag, welches von den beiden etwa vorzuziehen wäre.

Nun haben Boole und Andere stets, auch Herr Peirce früher, nur
das Zeichen 1 benutzt. Neuerdings jedoch hat sich letzterer5 samt seiner
Schule — sekundirt durch Wundt1 — für das Zeichen ∞ entschieden,
sodass den Genannten also a · ∞ = a gilt!

In sachlicher Hinsicht mag hiebei wol die Überlegung ausschlaggebend
gewesen sein, dass das fragliche Zeichen die ganze Mannigfaltigkeit, auf
deren Gebiete die Untersuchungen spielen, vorzustellen hat, und diese häufig
„eine unendliche“ ist, nämlich, wenn sie auch nicht immer ein unbegrenztes
oder unendlich grosses Gebiet vorstellt, doch wenigstens unbegrenzt viele
Elemente enthält. So enthält ja in der That die durchaus endliche und
vollkommen begrenzte Fläche der Schultafel (z. B.) gleichwol unendlich
viele Punkte.

Demungeachtet muss ich jenen Übertritt*) für einen Rückschritt halten

*) Als eine Wirkung dieser Schwenkung citire ich einen Herrn Peirce zu-
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[274/0294] Fünfte Vorlesung. stens in gegenwärtiger Disziplin, in welcher wir übereingekommen sind, das Nichts in jeder Klasse, so auch in derjenigen der schwarzen Dinge mitenthalten zu denken. 22+) Was schwarz oder irgend et- was ist, muss eben nur irgendetwas sein, und umgekehrt: Alles ist schwarz oder (sonst) irgend etwas. Das Wort „nichts“ könnte in vorstehenden Sätzen auch teilweise oder durchweg durch „ein rundes Quadrat“ z. B. ersetzt werden. Wir sehen, dass für die Sprache des gemeinen Lebens höchstens wol die Theoreme 22×) und 21+) beanstandet werden können, aber nur diese — durchaus nicht 22+). Jene sind dort in der That cum grano salis zu nehmen. Dem Mathematiker dagegen, der seine bei den Zahlen erworbenen Gewohnheiten in den identischen Kalkul unbesonnen herübernähme, müsste das Theorem 22+) allein anstössig erscheinen. Die drei andern von den in Rede stehenden Theoremen konstatiren ja Formeln, die auch in der Arith- metik allgemeine Geltung haben. Und der Umstand, dass die identische 0 die (beiden) Grundeigenschaften a · 0 = 0 und a + 0 = a mit der arithmetischen gemein hat, rechtfertigt es zweifellos, dass wir der Arithmetik das Zahlzeichen 0 behufs Darstellung unsres Nullgebietes, des absoluten „Nichts“, entlehnten. Dagegen vereinigt die „identische 1“ in sich die Grundeigenschaft der arithmetischen 1, dass a · 1 = a ist, mit einer solchen „der absoluten Un- endlich“, gemäss welcher in der Mathematik a + ∞ = ∞ gilt. In rein formaler Hinsicht würde darnach ein aus 1 und ∞ zusammen- gesetztes Zeichen, wie etwa: [Abbildung] wol als das geeignetste erscheinen, um Dasjenige vorzustellen, was ich hier „die identischen Eins“ nenne. Will man aber statt eines besondern Zeichens (wie Jevons' „Uni- verse“ U, R. Grassmann's „Totalität“ T) der Einfachheit wegen eines der beiden Zeichen 1 und ∞ selbst hiezu verwenden, so gibt die formale Hin- sicht keinen Ausschlag, welches von den beiden etwa vorzuziehen wäre. Nun haben Boole und Andere stets, auch Herr Peirce früher, nur das Zeichen 1 benutzt. Neuerdings jedoch hat sich letzterer5 samt seiner Schule — sekundirt durch Wundt1 — für das Zeichen ∞ entschieden, sodass den Genannten also a · ∞ = a gilt! In sachlicher Hinsicht mag hiebei wol die Überlegung ausschlaggebend gewesen sein, dass das fragliche Zeichen die ganze Mannigfaltigkeit, auf deren Gebiete die Untersuchungen spielen, vorzustellen hat, und diese häufig „eine unendliche“ ist, nämlich, wenn sie auch nicht immer ein unbegrenztes oder unendlich grosses Gebiet vorstellt, doch wenigstens unbegrenzt viele Elemente enthält. So enthält ja in der That die durchaus endliche und vollkommen begrenzte Fläche der Schultafel (z. B.) gleichwol unendlich viele Punkte. Demungeachtet muss ich jenen Übertritt *) für einen Rückschritt halten *) Als eine Wirkung dieser Schwenkung citire ich einen Herrn Peirce zu- geschriebenen passus aus der verdienstlichen Abhandlung von Miss Ladd (Fran

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/294>, abgerufen am 22.11.2024.