Zu diesem Begriff der "Weisse des Schafes" kann nun aber Wundt nur gelangen, indem er -- anstatt zu verknüpfen -- das Merkmal der weissen Farbe absondert, hervorhebt -- faktisch aus dem Begriffe "weisses Schaf", vermeintlich indess wol aus dem zur Determination herbeigezogenen Begriff "Schaf", der jenes Merkmal aber, wie gezeigt, überhaupt nicht enthält.
z) Um demnächst auch den verbalen Ausdruck für die identische Summe a + b zu gewinnen, müssen wir uns vor allem über die logische Bedeutung der Partikel "oder" orientiren.
Es ist in logischer Hinsicht entschieden als ein Misstand zu be- klagen, dass die modernen Kultursprachen je nur ein Wort für "oder" besitzen, während doch zur unterscheidenden Darstellung der wesent- lich verschiedenen Verhältnisse, welche wir mit dieser einen Konjunk- tion unterschiedslos anzudeuten pflegen, mindestens drei Partikeln er- forderlich sein würden. Die lateinische Sprache hat in diesem Betreff feiner empfunden, schärfer unterschieden.
Ein erstes ist das "erklärende" (auch gleichsetzende, identifizirende, wiederholende, iterative) "oder" = "oder mit andern Worten" (lateinisch: sive, seu), welches Namen, Redeteile verknüpft, deren zweiter noch einmal das nämliche besagt wie der erste, indess zum Zweck der Ver- deutlichung, eventuell schärferen Präzisirung des ersten: in neuer Aus- drucksweise.
Sagen wir z. B.: "Der Bauer oder Landmann" ..., so ist das an- gewendete das obige "oder", wofern wir nur die Klassen "Bauer" und "Landmann" als identisch ansehen. Die Wiederholung mit dem an- dern Worte mag hier den Zweck haben, dem vorzubeugen, dass etwa der Hörer entgegen unsrer Absicht an einen Bauer im Schachspiel, einen Vogelbauer oder anderes denke.
Wie man an dem Beispiel sieht, ist dieses "oder" schon deshalb Bedürfniss, weil die Sprache manche Homonyme enthält, gleichlautende Namen für ganz Verschiedenes, welche häufig eine unabhängige Ent- stehungsgeschichte und etymologische Zusammensetzung besitzen, nur zufällig gleich lauten. Je vollkommner eine Sprache, desto weniger freilich dürfte solches in ihr vorkommen.
Aber auch wenn Homonyme gar nicht vorkämen, würde das ge- nannte "oder" -- beziehungsweise ein Äquivalent dafür -- doch bleiben müssen, um Bedürfnissen der Wissenschaft zu genügen. Dieses "oder" dient dazu, eine als Einschaltung, in Parenthese, anzumerkende Defini- tion mit dem begrifflich zu erklärenden nomen zu verbinden und als solche zu kennzeichnen, z. B. "die Kugelfläche oder der Ort der Punkte gleichen Abstands von einem festen Punkte", ... Am häufigsten kommt
Schröder, Algebra der Logik. 15
§ 8. Interpretation für Klassen.
Zu diesem Begriff der „Weisse des Schafes“ kann nun aber Wundt nur gelangen, indem er — anstatt zu verknüpfen — das Merkmal der weissen Farbe absondert, hervorhebt — faktisch aus dem Begriffe „weisses Schaf“, vermeintlich indess wol aus dem zur Determination herbeigezogenen Begriff „Schaf“, der jenes Merkmal aber, wie gezeigt, überhaupt nicht enthält.
ζ) Um demnächst auch den verbalen Ausdruck für die identische Summe a + b zu gewinnen, müssen wir uns vor allem über die logische Bedeutung der Partikel „oder“ orientiren.
Es ist in logischer Hinsicht entschieden als ein Misstand zu be- klagen, dass die modernen Kultursprachen je nur ein Wort für „oder“ besitzen, während doch zur unterscheidenden Darstellung der wesent- lich verschiedenen Verhältnisse, welche wir mit dieser einen Konjunk- tion unterschiedslos anzudeuten pflegen, mindestens drei Partikeln er- forderlich sein würden. Die lateinische Sprache hat in diesem Betreff feiner empfunden, schärfer unterschieden.
Ein erstes ist das „erklärende“ (auch gleichsetzende, identifizirende, wiederholende, iterative) „oder“ = „oder mit andern Worten“ (lateinisch: sive, seu), welches Namen, Redeteile verknüpft, deren zweiter noch einmal das nämliche besagt wie der erste, indess zum Zweck der Ver- deutlichung, eventuell schärferen Präzisirung des ersten: in neuer Aus- drucksweise.
Sagen wir z. B.: „Der Bauer oder Landmann“ …, so ist das an- gewendete das obige „oder“, wofern wir nur die Klassen „Bauer“ und „Landmann“ als identisch ansehen. Die Wiederholung mit dem an- dern Worte mag hier den Zweck haben, dem vorzubeugen, dass etwa der Hörer entgegen unsrer Absicht an einen Bauer im Schachspiel, einen Vogelbauer oder anderes denke.
Wie man an dem Beispiel sieht, ist dieses „oder“ schon deshalb Bedürfniss, weil die Sprache manche Homonyme enthält, gleichlautende Namen für ganz Verschiedenes, welche häufig eine unabhängige Ent- stehungsgeschichte und etymologische Zusammensetzung besitzen, nur zufällig gleich lauten. Je vollkommner eine Sprache, desto weniger freilich dürfte solches in ihr vorkommen.
Aber auch wenn Homonyme gar nicht vorkämen, würde das ge- nannte „oder“ — beziehungsweise ein Äquivalent dafür — doch bleiben müssen, um Bedürfnissen der Wissenschaft zu genügen. Dieses „oder“ dient dazu, eine als Einschaltung, in Parenthese, anzumerkende Defini- tion mit dem begrifflich zu erklärenden nomen zu verbinden und als solche zu kennzeichnen, z. B. „die Kugelfläche oder der Ort der Punkte gleichen Abstands von einem festen Punkte“, … Am häufigsten kommt
Schröder, Algebra der Logik. 15
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0245"n="225"/><fwplace="top"type="header">§ 8. Interpretation für Klassen.</fw><lb/><p>Zu diesem Begriff der „Weisse des Schafes“ kann nun aber <hirendition="#g">Wundt</hi><lb/>
nur gelangen, indem er — anstatt zu verknüpfen — das Merkmal der<lb/>
weissen Farbe <hirendition="#i">absondert</hi>, hervorhebt — faktisch aus dem Begriffe „weisses<lb/>
Schaf“, vermeintlich indess wol aus dem zur Determination herbeigezogenen<lb/>
Begriff „Schaf“, der jenes Merkmal aber, wie gezeigt, überhaupt nicht enthält.</p><lb/><p><hirendition="#i">ζ</hi>) Um demnächst auch den verbalen Ausdruck für die identische<lb/><hirendition="#i">Summe a</hi> + <hirendition="#i">b</hi> zu gewinnen, müssen wir uns vor allem über die logische<lb/>
Bedeutung der Partikel „<hirendition="#i">oder</hi>“ orientiren.</p><lb/><p>Es ist in logischer Hinsicht entschieden als ein Misstand zu be-<lb/>
klagen, dass die modernen Kultursprachen je nur <hirendition="#i">ein</hi> Wort für „oder“<lb/>
besitzen, während doch zur unterscheidenden Darstellung der wesent-<lb/>
lich verschiedenen Verhältnisse, welche wir mit dieser einen Konjunk-<lb/>
tion unterschiedslos anzudeuten pflegen, mindestens <hirendition="#i">drei</hi> Partikeln er-<lb/>
forderlich sein würden. Die lateinische Sprache hat in diesem Betreff<lb/>
feiner empfunden, schärfer unterschieden.</p><lb/><p>Ein <hirendition="#i">erstes</hi> ist das „<hirendition="#i">erklärende</hi>“ (auch gleichsetzende, identifizirende,<lb/>
wiederholende, iterative) „<hirendition="#i">oder</hi>“ = „<hirendition="#i">oder mit andern Worten</hi>“ (lateinisch:<lb/>
sive, seu), welches Namen, Redeteile verknüpft, deren zweiter noch<lb/>
einmal das nämliche besagt wie der erste, indess zum Zweck der Ver-<lb/>
deutlichung, eventuell schärferen Präzisirung des ersten: in neuer Aus-<lb/>
drucksweise.</p><lb/><p>Sagen wir z. B.: „Der Bauer <hirendition="#i">oder</hi> Landmann“…, so ist das an-<lb/>
gewendete das obige „oder“, wofern wir nur die Klassen „Bauer“ und<lb/>„Landmann“ als identisch ansehen. Die Wiederholung mit dem an-<lb/>
dern Worte mag hier den Zweck haben, dem vorzubeugen, dass etwa<lb/>
der Hörer entgegen unsrer Absicht an einen Bauer im Schachspiel,<lb/>
einen Vogelbauer oder anderes denke.</p><lb/><p>Wie man an dem Beispiel sieht, ist dieses „oder“ schon deshalb<lb/>
Bedürfniss, weil die Sprache manche Homonyme enthält, gleichlautende<lb/>
Namen für ganz Verschiedenes, welche häufig eine unabhängige Ent-<lb/>
stehungsgeschichte und etymologische Zusammensetzung besitzen, nur<lb/>
zufällig gleich lauten. Je vollkommner eine Sprache, desto weniger<lb/>
freilich dürfte solches in ihr vorkommen.</p><lb/><p>Aber auch wenn Homonyme gar nicht vorkämen, würde das ge-<lb/>
nannte „oder“— beziehungsweise ein Äquivalent dafür — doch bleiben<lb/>
müssen, um Bedürfnissen der Wissenschaft zu genügen. Dieses „oder“<lb/>
dient dazu, eine als Einschaltung, in Parenthese, anzumerkende Defini-<lb/>
tion mit dem begrifflich zu erklärenden nomen zu verbinden und als<lb/>
solche zu kennzeichnen, z. B. „die Kugelfläche <hirendition="#i">oder</hi> der Ort der Punkte<lb/>
gleichen Abstands von einem festen Punkte“, … Am häufigsten kommt<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#k">Schröder</hi>, Algebra der Logik. 15</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[225/0245]
§ 8. Interpretation für Klassen.
Zu diesem Begriff der „Weisse des Schafes“ kann nun aber Wundt
nur gelangen, indem er — anstatt zu verknüpfen — das Merkmal der
weissen Farbe absondert, hervorhebt — faktisch aus dem Begriffe „weisses
Schaf“, vermeintlich indess wol aus dem zur Determination herbeigezogenen
Begriff „Schaf“, der jenes Merkmal aber, wie gezeigt, überhaupt nicht enthält.
ζ) Um demnächst auch den verbalen Ausdruck für die identische
Summe a + b zu gewinnen, müssen wir uns vor allem über die logische
Bedeutung der Partikel „oder“ orientiren.
Es ist in logischer Hinsicht entschieden als ein Misstand zu be-
klagen, dass die modernen Kultursprachen je nur ein Wort für „oder“
besitzen, während doch zur unterscheidenden Darstellung der wesent-
lich verschiedenen Verhältnisse, welche wir mit dieser einen Konjunk-
tion unterschiedslos anzudeuten pflegen, mindestens drei Partikeln er-
forderlich sein würden. Die lateinische Sprache hat in diesem Betreff
feiner empfunden, schärfer unterschieden.
Ein erstes ist das „erklärende“ (auch gleichsetzende, identifizirende,
wiederholende, iterative) „oder“ = „oder mit andern Worten“ (lateinisch:
sive, seu), welches Namen, Redeteile verknüpft, deren zweiter noch
einmal das nämliche besagt wie der erste, indess zum Zweck der Ver-
deutlichung, eventuell schärferen Präzisirung des ersten: in neuer Aus-
drucksweise.
Sagen wir z. B.: „Der Bauer oder Landmann“ …, so ist das an-
gewendete das obige „oder“, wofern wir nur die Klassen „Bauer“ und
„Landmann“ als identisch ansehen. Die Wiederholung mit dem an-
dern Worte mag hier den Zweck haben, dem vorzubeugen, dass etwa
der Hörer entgegen unsrer Absicht an einen Bauer im Schachspiel,
einen Vogelbauer oder anderes denke.
Wie man an dem Beispiel sieht, ist dieses „oder“ schon deshalb
Bedürfniss, weil die Sprache manche Homonyme enthält, gleichlautende
Namen für ganz Verschiedenes, welche häufig eine unabhängige Ent-
stehungsgeschichte und etymologische Zusammensetzung besitzen, nur
zufällig gleich lauten. Je vollkommner eine Sprache, desto weniger
freilich dürfte solches in ihr vorkommen.
Aber auch wenn Homonyme gar nicht vorkämen, würde das ge-
nannte „oder“ — beziehungsweise ein Äquivalent dafür — doch bleiben
müssen, um Bedürfnissen der Wissenschaft zu genügen. Dieses „oder“
dient dazu, eine als Einschaltung, in Parenthese, anzumerkende Defini-
tion mit dem begrifflich zu erklärenden nomen zu verbinden und als
solche zu kennzeichnen, z. B. „die Kugelfläche oder der Ort der Punkte
gleichen Abstands von einem festen Punkte“, … Am häufigsten kommt
Schröder, Algebra der Logik. 15
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/245>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.