hebung einer Beziehung, in der ein zweites Urteil zu jenem ersten steht. Dergleichen Urteile, welche anstatt von beliebigen andern Dingen zunächst selbst wieder nur von Urteilen handeln, nehmen in der Lehre von den Urteilen eine bevorzugte, eine Sonderstellung ein.
Dahin gehören vor allem die sog. "hypothetischen" (vergl. § 28) und die "disjunktiven" Urteile (vergl. § 15 und 31), ferner aber auch Urteile, welche, indem sie z. B. Verba wie "können" oder "müssen", oder Adverbia, wie "vielleicht" etc. enthalten, auf die Möglichkeit oder Notwendigkeit der Zulassung eines gewissen Urteils hinweisen, im Grunde also auch nur von diesem selbst etwas unmittelbar prädiziren, erst mittelbar auch über die Dinge aussagen, welche dieses Urteil betrifft (vergl. § 54); endlich gehören dahin die im Sinne Sigwart's aufgefassten "verneinenden" Urteile (Urteils- verneinungen -- vergl. § 15 und 31).
Alle solchen Urteile werden von Boolesekundäre oder Urteile der zweiten Klasse genannt und gegenübergestellt den primären oder Urteilen der ersten Klasse (zu denen im allgemeinen die kategorischen gehören), welche nämlich nicht implicite erst von Urteilen sondern sogleich von den Dingen selbst handeln. Als die einfacheren haben wir vorerst nur diese letzteren zu betrachten.
Auch für die kategorischen Urteile müssen wir jedoch im Hinblick auf den fast unerschöpflichen Reichtum der Wortsprache und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten darauf verzichten, die Aufgabe der Erbringung fraglichen Nachweises hier mit dem Anspruch auf formelle Vollständig- keit zu lösen. Wir begnügen uns -- und dies dürfte auch genügen -- an der Hand einiger Beispiele nur für die vornehmsten Ausdrucks- formen der Sprache zu erläutern und Anleitung zu geben, in welcher Weise die Darstellung zu vollziehen ist.
Besonders kommt es dabei uns noch darauf an, das Verfahren auch gegen unbillige Beurteilung in Schutz zu nehmen.
Im Urteil gibt sich ausser dem, was wir seinen "logischen Gehalt" nennen, oft ein gutes Teil von Stimmung, Gefühl und Absicht, Streben des Redenden kund und ruft Verwandtes (oder auch Entgegengesetztes) hervor in dem, der es vernimmt. Je nach der Form seiner sprach- lichen Einkleidung bleibt dabei oft mancherlei "zwischen den Zeilen zu lesen" (vergl. des Dichters: "Was er weise verschweigt, zeigt mir den Meister des Stils" sowie das geflügelte Wort: "Man merkt die Absicht und man wird verstimmt" u. a.). Es legt der Satz häufig Neben- gedanken nahe, auf deren Gestaltung schon die Art und Weise seiner Betonung von grossem Einfluss sein kann; gewisse Gedanken bereitet der Satz vor zu leichterer Erweckung, wofern er sie nicht selbst schon völlig wachruft, für andere präjudizirt er hemmend und vorbeugend.
Erste Vorlesung.
hebung einer Beziehung, in der ein zweites Urteil zu jenem ersten steht. Dergleichen Urteile, welche anstatt von beliebigen andern Dingen zunächst selbst wieder nur von Urteilen handeln, nehmen in der Lehre von den Urteilen eine bevorzugte, eine Sonderstellung ein.
Dahin gehören vor allem die sog. „hypothetischen“ (vergl. § 28) und die „disjunktiven“ Urteile (vergl. § 15 und 31), ferner aber auch Urteile, welche, indem sie z. B. Verba wie „können“ oder „müssen“, oder Adverbia, wie „vielleicht“ etc. enthalten, auf die Möglichkeit oder Notwendigkeit der Zulassung eines gewissen Urteils hinweisen, im Grunde also auch nur von diesem selbst etwas unmittelbar prädiziren, erst mittelbar auch über die Dinge aussagen, welche dieses Urteil betrifft (vergl. § 54); endlich gehören dahin die im Sinne Sigwart's aufgefassten „verneinenden“ Urteile (Urteils- verneinungen — vergl. § 15 und 31).
Alle solchen Urteile werden von Boolesekundäre oder Urteile der zweiten Klasse genannt und gegenübergestellt den primären oder Urteilen der ersten Klasse (zu denen im allgemeinen die kategorischen gehören), welche nämlich nicht implicite erst von Urteilen sondern sogleich von den Dingen selbst handeln. Als die einfacheren haben wir vorerst nur diese letzteren zu betrachten.
Auch für die kategorischen Urteile müssen wir jedoch im Hinblick auf den fast unerschöpflichen Reichtum der Wortsprache und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten darauf verzichten, die Aufgabe der Erbringung fraglichen Nachweises hier mit dem Anspruch auf formelle Vollständig- keit zu lösen. Wir begnügen uns — und dies dürfte auch genügen — an der Hand einiger Beispiele nur für die vornehmsten Ausdrucks- formen der Sprache zu erläutern und Anleitung zu geben, in welcher Weise die Darstellung zu vollziehen ist.
Besonders kommt es dabei uns noch darauf an, das Verfahren auch gegen unbillige Beurteilung in Schutz zu nehmen.
Im Urteil gibt sich ausser dem, was wir seinen „logischen Gehalt“ nennen, oft ein gutes Teil von Stimmung, Gefühl und Absicht, Streben des Redenden kund und ruft Verwandtes (oder auch Entgegengesetztes) hervor in dem, der es vernimmt. Je nach der Form seiner sprach- lichen Einkleidung bleibt dabei oft mancherlei „zwischen den Zeilen zu lesen“ (vergl. des Dichters: „Was er weise verschweigt, zeigt mir den Meister des Stils“ sowie das geflügelte Wort: „Man merkt die Absicht und man wird verstimmt“ u. a.). Es legt der Satz häufig Neben- gedanken nahe, auf deren Gestaltung schon die Art und Weise seiner Betonung von grossem Einfluss sein kann; gewisse Gedanken bereitet der Satz vor zu leichterer Erweckung, wofern er sie nicht selbst schon völlig wachruft, für andere präjudizirt er hemmend und vorbeugend.
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Erste Vorlesung.
hebung einer Beziehung, in der ein zweites Urteil zu jenem ersten
steht. Dergleichen Urteile, welche anstatt von beliebigen andern
Dingen zunächst selbst wieder nur von Urteilen handeln, nehmen in
der Lehre von den Urteilen eine bevorzugte, eine Sonderstellung ein.
Dahin gehören vor allem die sog. „hypothetischen“ (vergl. § 28) und
die „disjunktiven“ Urteile (vergl. § 15 und 31), ferner aber auch Urteile,
welche, indem sie z. B. Verba wie „können“ oder „müssen“, oder Adverbia,
wie „vielleicht“ etc. enthalten, auf die Möglichkeit oder Notwendigkeit der
Zulassung eines gewissen Urteils hinweisen, im Grunde also auch nur von
diesem selbst etwas unmittelbar prädiziren, erst mittelbar auch über die
Dinge aussagen, welche dieses Urteil betrifft (vergl. § 54); endlich gehören
dahin die im Sinne Sigwart's aufgefassten „verneinenden“ Urteile (Urteils-
verneinungen — vergl. § 15 und 31).
Alle solchen Urteile werden von Boole sekundäre oder Urteile
der zweiten Klasse genannt und gegenübergestellt den primären oder
Urteilen der ersten Klasse (zu denen im allgemeinen die kategorischen
gehören), welche nämlich nicht implicite erst von Urteilen sondern
sogleich von den Dingen selbst handeln. Als die einfacheren haben
wir vorerst nur diese letzteren zu betrachten.
Auch für die kategorischen Urteile müssen wir jedoch im Hinblick
auf den fast unerschöpflichen Reichtum der Wortsprache und ihrer
Ausdrucksmöglichkeiten darauf verzichten, die Aufgabe der Erbringung
fraglichen Nachweises hier mit dem Anspruch auf formelle Vollständig-
keit zu lösen. Wir begnügen uns — und dies dürfte auch genügen
— an der Hand einiger Beispiele nur für die vornehmsten Ausdrucks-
formen der Sprache zu erläutern und Anleitung zu geben, in welcher
Weise die Darstellung zu vollziehen ist.
Besonders kommt es dabei uns noch darauf an, das Verfahren auch
gegen unbillige Beurteilung in Schutz zu nehmen.
Im Urteil gibt sich ausser dem, was wir seinen „logischen Gehalt“
nennen, oft ein gutes Teil von Stimmung, Gefühl und Absicht, Streben
des Redenden kund und ruft Verwandtes (oder auch Entgegengesetztes)
hervor in dem, der es vernimmt. Je nach der Form seiner sprach-
lichen Einkleidung bleibt dabei oft mancherlei „zwischen den Zeilen zu
lesen“ (vergl. des Dichters: „Was er weise verschweigt, zeigt mir den
Meister des Stils“ sowie das geflügelte Wort: „Man merkt die Absicht
und man wird verstimmt“ u. a.). Es legt der Satz häufig Neben-
gedanken nahe, auf deren Gestaltung schon die Art und Weise seiner
Betonung von grossem Einfluss sein kann; gewisse Gedanken bereitet
der Satz vor zu leichterer Erweckung, wofern er sie nicht selbst schon
völlig wachruft, für andere präjudizirt er hemmend und vorbeugend.
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/162>, abgerufen am 24.11.2024.
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