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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
denken mag, von Hungergefühl befallen zu denken -- eine Gewohnheit
indess, die meistens wieder verloren gehen wird, sobald darnach Sättigung
stattgefunden.

In den meisten Fällen möchte das, was Peirce hier als das Bewusst-
werden und den Anfang einer Denkgewohnheit hinstellt, vielleicht treffender
als das Innewerden einer permanenten Neigung (wo nicht subjektiven Not-
wendigkeit) des Denkens bezeichnet werden. Doch mögen wir -- nach
dem Billigkeitsanspruche "sit venia verbo" -- das Wort "Gewohnheit"
immerhin cum grano salis beibehalten.

th3) Eine Glaubensgewohnheit (belief-habit) kann in ihrer Ent-
wickelung damit beginnen, noch unentschieden, schwankend und schwach
zu sein; sie vermag jedoch unbeschränkt zu werden: schärfer aus-
geprägt, stärker und von weiterer Sphäre der Wirksamkeit -- Peirce
lässt sie anfangs unbestimmt, mit Besonderheiten behaftet und dürftig
(vague, special and meagre) sein, hernach präziser, allgemeiner und
vollständiger (more full) werden.

Der Vorgang dieser Entwickelung, soweit er im Bewusstsein (in
imagination) stattfindet, heisst Denken (thought).

Urteile werden gebildet, und unter dem Einfluss einer Glaubens-
gewohnheit erzeugen sie oft ein neues Urteil, welches als ein Zuwachs
zu dem Glauben erscheint. Ein solcher Vorgang wird Schliessen (an
inference) genannt.

Das oder die vorangegangenen Urteile heissen die Voraussetzungen
oder Prämissen, das nachfolgende Urteil der Schluss, die Konklusion.

Die Gewohnheit des Denkens, welche den Übergang von den
ersten zu der letzten vermittelte und bestimmte, wenn als Satz formu-
lirt zum Bewusstsein gebracht, heisst das "leitende Prinzip" (the lea-
ding principle) des Schliessens. (Beispiele weiter unten.)

Während aber dieser Prozess des Schliessens oder die spontane
Entwickelung von Überzeugungen (des "Glaubens") fast beständig in
uns vorgeht, erzeugen auch neue peripherische Reizungen immerfort
neue Glaubensgewohnheiten.

Für unsre Kulturepoche glaube ich als einen höchst wesentlichen Teil
dieser neuen Anregungen die durch Beispiel, Unterricht, Wort, Schrift,
Druck und Bild bewirkte Mitteilung resp. Übertragung der Ansichten und
Überzeugungen andrer Menschen, von Sachverständigen, Fachgenossen etc.
doch ganz besonders hervorheben zu sollen.

So wird der Glaube (das Glauben) zum Teil durch frühere Über-
zeugungen bestimmt, zum Teil durch neue Wahrnehmungen.

Herrscht nun aber eine Gesetzmässigkeit in allen diesen Wand-
lungen?

Einleitung.
denken mag, von Hungergefühl befallen zu denken — eine Gewohnheit
indess, die meistens wieder verloren gehen wird, sobald darnach Sättigung
stattgefunden.

In den meisten Fällen möchte das, was Peirce hier als das Bewusst-
werden und den Anfang einer Denkgewohnheit hinstellt, vielleicht treffender
als das Innewerden einer permanenten Neigung (wo nicht subjektiven Not-
wendigkeit) des Denkens bezeichnet werden. Doch mögen wir — nach
dem Billigkeitsanspruche „sit venia verbo“ — das Wort „Gewohnheit“
immerhin cum grano salis beibehalten.

ϑ3) Eine Glaubensgewohnheit (belief-habit) kann in ihrer Ent-
wickelung damit beginnen, noch unentschieden, schwankend und schwach
zu sein; sie vermag jedoch unbeschränkt zu werden: schärfer aus-
geprägt, stärker und von weiterer Sphäre der Wirksamkeit — Peirce
lässt sie anfangs unbestimmt, mit Besonderheiten behaftet und dürftig
(vague, special and meagre) sein, hernach präziser, allgemeiner und
vollständiger (more full) werden.

Der Vorgang dieser Entwickelung, soweit er im Bewusstsein (in
imagination) stattfindet, heisst Denken (thought).

Urteile werden gebildet, und unter dem Einfluss einer Glaubens-
gewohnheit erzeugen sie oft ein neues Urteil, welches als ein Zuwachs
zu dem Glauben erscheint. Ein solcher Vorgang wird Schliessen (an
inference) genannt.

Das oder die vorangegangenen Urteile heissen die Voraussetzungen
oder Prämissen, das nachfolgende Urteil der Schluss, die Konklusion.

Die Gewohnheit des Denkens, welche den Übergang von den
ersten zu der letzten vermittelte und bestimmte, wenn als Satz formu-
lirt zum Bewusstsein gebracht, heisst das „leitende Prinzip“ (the lea-
ding principle) des Schliessens. (Beispiele weiter unten.)

Während aber dieser Prozess des Schliessens oder die spontane
Entwickelung von Überzeugungen (des „Glaubens“) fast beständig in
uns vorgeht, erzeugen auch neue peripherische Reizungen immerfort
neue Glaubensgewohnheiten.

Für unsre Kulturepoche glaube ich als einen höchst wesentlichen Teil
dieser neuen Anregungen die durch Beispiel, Unterricht, Wort, Schrift,
Druck und Bild bewirkte Mitteilung resp. Übertragung der Ansichten und
Überzeugungen andrer Menschen, von Sachverständigen, Fachgenossen etc.
doch ganz besonders hervorheben zu sollen.

So wird der Glaube (das Glauben) zum Teil durch frühere Über-
zeugungen bestimmt, zum Teil durch neue Wahrnehmungen.

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[111/0131] Einleitung. denken mag, von Hungergefühl befallen zu denken — eine Gewohnheit indess, die meistens wieder verloren gehen wird, sobald darnach Sättigung stattgefunden. In den meisten Fällen möchte das, was Peirce hier als das Bewusst- werden und den Anfang einer Denkgewohnheit hinstellt, vielleicht treffender als das Innewerden einer permanenten Neigung (wo nicht subjektiven Not- wendigkeit) des Denkens bezeichnet werden. Doch mögen wir — nach dem Billigkeitsanspruche „sit venia verbo“ — das Wort „Gewohnheit“ immerhin cum grano salis beibehalten. ϑ3) Eine Glaubensgewohnheit (belief-habit) kann in ihrer Ent- wickelung damit beginnen, noch unentschieden, schwankend und schwach zu sein; sie vermag jedoch unbeschränkt zu werden: schärfer aus- geprägt, stärker und von weiterer Sphäre der Wirksamkeit — Peirce lässt sie anfangs unbestimmt, mit Besonderheiten behaftet und dürftig (vague, special and meagre) sein, hernach präziser, allgemeiner und vollständiger (more full) werden. Der Vorgang dieser Entwickelung, soweit er im Bewusstsein (in imagination) stattfindet, heisst Denken (thought). Urteile werden gebildet, und unter dem Einfluss einer Glaubens- gewohnheit erzeugen sie oft ein neues Urteil, welches als ein Zuwachs zu dem Glauben erscheint. Ein solcher Vorgang wird Schliessen (an inference) genannt. Das oder die vorangegangenen Urteile heissen die Voraussetzungen oder Prämissen, das nachfolgende Urteil der Schluss, die Konklusion. Die Gewohnheit des Denkens, welche den Übergang von den ersten zu der letzten vermittelte und bestimmte, wenn als Satz formu- lirt zum Bewusstsein gebracht, heisst das „leitende Prinzip“ (the lea- ding principle) des Schliessens. (Beispiele weiter unten.) Während aber dieser Prozess des Schliessens oder die spontane Entwickelung von Überzeugungen (des „Glaubens“) fast beständig in uns vorgeht, erzeugen auch neue peripherische Reizungen immerfort neue Glaubensgewohnheiten. Für unsre Kulturepoche glaube ich als einen höchst wesentlichen Teil dieser neuen Anregungen die durch Beispiel, Unterricht, Wort, Schrift, Druck und Bild bewirkte Mitteilung resp. Übertragung der Ansichten und Überzeugungen andrer Menschen, von Sachverständigen, Fachgenossen etc. doch ganz besonders hervorheben zu sollen. So wird der Glaube (das Glauben) zum Teil durch frühere Über- zeugungen bestimmt, zum Teil durch neue Wahrnehmungen. Herrscht nun aber eine Gesetzmässigkeit in allen diesen Wand- lungen?

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/131>, abgerufen am 26.11.2024.