Der Anblick eines hübschen Gegenstandes z. B. mag den Wunsch er- zeugen, denselben zu besitzen, welcher in dem Vorsatz gipfelt, bei nächster Gelegenheit sich seinesgleichen zu kaufen.
Sehr oft aber ist es auch nicht eine äussere Empfindung, ein Sinneseindruck (an outward sensation), welcher den Gedankengang in Fluss bringt (which starts the train of thought), sondern die Reizung, statt "peripherisch" zu sein, ist "visceral" (aus den Eingeweiden, aus dem Innern des Leibes stammend).
So wenigstens Peirce. Für diese für ihn charakteristische Ausdrucks- weise scheint mir aber eine Modifikation wünschenswert zu sein. Gemein- hin möchte man wol die eigentlich oder im engeren Sinne "visceralen" Reize -- wie Hunger, Geschlechtstrieb, Kopfweh -- mitsamt den periphe- rischen Sinneseindrücken als physische Antriebe gegenüberstellen den psy- chischen, von denen Peirce nunmehr reden will, im Hinblick wenigstens auf die Hirnthätigkeit, die sie begleitet.
Solche Antriebe zu Denkhandlungen oder wirklichen Thaten, wie sie als Hass, Liebe, Furcht etc. und namentlich, durch den Stand unsrer Ein- sicht bedingt, als Beweggründe (Motive) mannigfachster Art, wie Eigen- nutz, Selbstsucht, Pflichtgefühl, Gemeinsinn, in unserm Bewusstsein existiren, zu den "visceralen" (vielleicht Unterabteilung der grosshirnig-cerebralen) Reizungen zu rechnen, dürfte doch etwas gewagt erscheinen und überhaupt nur angängig sein, sofern man einseitig lediglich die Zustände oder Vor- gänge in's Auge fasst, welche im (als "wirklich" supponirten) Nervensystem den Bewusstseinsvorgängen -- nach heutigem Stand der Physiologie -- parallel gehen. Hierauf allerdings hat Peirce von vornherein schon hin- gewiesen durch die Bemerkung, dass er das Denken (nur) "as cerebration" betrachten wolle. Nunmehr fährt er fort:
In solchem Falle hat die Thätigkeit in der Hauptsache denselben Charakter: eine innere Thätigkeit beseitigt die innere Reizung. Eine vorgestellte Konjunktur von Umständen veranlasst uns dazu, eine ge- eignete Richtschnur des Handelns (line of action) vorzustellen.
Man findet, dass solche Vorkommnisse, auch wenn keine äussere Handlung eintritt, doch in hohem Maasse dazu beitragen, dass in uns eine Neigung, Gewohnheit sich ausbilde, wirklich auf die vorgestellte Weise zu handeln, wenn die vorgestellte Gelegenheit annähernd eintritt.
Eine cerebrale Gewöhnung (Gewohnheit? -- "cerebral habit") der höchsten Art, welche für eine unabsehbare Reihe von Gelegenheiten bestimmen wird, sowol, was wir in Gedanken, als was wir in Wirk- lichkeit thun, wird ein "Glaube" genannt.
Peirce sagt durchweg "belief", nicht Überzeugung, conviction, oder Meinung, Ansicht, opinion, view. Wegen der Schwierigkeit, die spezifisch religiöse Nebenbedeutung ("faith"), mit welcher (im Deutschen) das Wort "Glaube" behaftet erscheint, nicht unnötig in den Vordergrund treten zu
Einleitung.
Der Anblick eines hübschen Gegenstandes z. B. mag den Wunsch er- zeugen, denselben zu besitzen, welcher in dem Vorsatz gipfelt, bei nächster Gelegenheit sich seinesgleichen zu kaufen.
Sehr oft aber ist es auch nicht eine äussere Empfindung, ein Sinneseindruck (an outward sensation), welcher den Gedankengang in Fluss bringt (which starts the train of thought), sondern die Reizung, statt „peripherisch“ zu sein, ist „visceral“ (aus den Eingeweiden, aus dem Innern des Leibes stammend).
So wenigstens Peirce. Für diese für ihn charakteristische Ausdrucks- weise scheint mir aber eine Modifikation wünschenswert zu sein. Gemein- hin möchte man wol die eigentlich oder im engeren Sinne „visceralen“ Reize — wie Hunger, Geschlechtstrieb, Kopfweh — mitsamt den periphe- rischen Sinneseindrücken als physische Antriebe gegenüberstellen den psy- chischen, von denen Peirce nunmehr reden will, im Hinblick wenigstens auf die Hirnthätigkeit, die sie begleitet.
Solche Antriebe zu Denkhandlungen oder wirklichen Thaten, wie sie als Hass, Liebe, Furcht etc. und namentlich, durch den Stand unsrer Ein- sicht bedingt, als Beweggründe (Motive) mannigfachster Art, wie Eigen- nutz, Selbstsucht, Pflichtgefühl, Gemeinsinn, in unserm Bewusstsein existiren, zu den „visceralen“ (vielleicht Unterabteilung der grosshirnig-cerebralen) Reizungen zu rechnen, dürfte doch etwas gewagt erscheinen und überhaupt nur angängig sein, sofern man einseitig lediglich die Zustände oder Vor- gänge in's Auge fasst, welche im (als „wirklich“ supponirten) Nervensystem den Bewusstseinsvorgängen — nach heutigem Stand der Physiologie — parallel gehen. Hierauf allerdings hat Peirce von vornherein schon hin- gewiesen durch die Bemerkung, dass er das Denken (nur) „as cerebration“ betrachten wolle. Nunmehr fährt er fort:
In solchem Falle hat die Thätigkeit in der Hauptsache denselben Charakter: eine innere Thätigkeit beseitigt die innere Reizung. Eine vorgestellte Konjunktur von Umständen veranlasst uns dazu, eine ge- eignete Richtschnur des Handelns (line of action) vorzustellen.
Man findet, dass solche Vorkommnisse, auch wenn keine äussere Handlung eintritt, doch in hohem Maasse dazu beitragen, dass in uns eine Neigung, Gewohnheit sich ausbilde, wirklich auf die vorgestellte Weise zu handeln, wenn die vorgestellte Gelegenheit annähernd eintritt.
Eine cerebrale Gewöhnung (Gewohnheit? — „cerebral habit“) der höchsten Art, welche für eine unabsehbare Reihe von Gelegenheiten bestimmen wird, sowol, was wir in Gedanken, als was wir in Wirk- lichkeit thun, wird ein „Glaube“ genannt.
Peirce sagt durchweg „belief“, nicht Überzeugung, conviction, oder Meinung, Ansicht, opinion, view. Wegen der Schwierigkeit, die spezifisch religiöse Nebenbedeutung („faith“), mit welcher (im Deutschen) das Wort „Glaube“ behaftet erscheint, nicht unnötig in den Vordergrund treten zu
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Einleitung.
Der Anblick eines hübschen Gegenstandes z. B. mag den Wunsch er-
zeugen, denselben zu besitzen, welcher in dem Vorsatz gipfelt, bei nächster
Gelegenheit sich seinesgleichen zu kaufen.
Sehr oft aber ist es auch nicht eine äussere Empfindung, ein
Sinneseindruck (an outward sensation), welcher den Gedankengang in
Fluss bringt (which starts the train of thought), sondern die Reizung,
statt „peripherisch“ zu sein, ist „visceral“ (aus den Eingeweiden, aus
dem Innern des Leibes stammend).
So wenigstens Peirce. Für diese für ihn charakteristische Ausdrucks-
weise scheint mir aber eine Modifikation wünschenswert zu sein. Gemein-
hin möchte man wol die eigentlich oder im engeren Sinne „visceralen“
Reize — wie Hunger, Geschlechtstrieb, Kopfweh — mitsamt den periphe-
rischen Sinneseindrücken als physische Antriebe gegenüberstellen den psy-
chischen, von denen Peirce nunmehr reden will, im Hinblick wenigstens
auf die Hirnthätigkeit, die sie begleitet.
Solche Antriebe zu Denkhandlungen oder wirklichen Thaten, wie sie
als Hass, Liebe, Furcht etc. und namentlich, durch den Stand unsrer Ein-
sicht bedingt, als Beweggründe (Motive) mannigfachster Art, wie Eigen-
nutz, Selbstsucht, Pflichtgefühl, Gemeinsinn, in unserm Bewusstsein existiren,
zu den „visceralen“ (vielleicht Unterabteilung der grosshirnig-cerebralen)
Reizungen zu rechnen, dürfte doch etwas gewagt erscheinen und überhaupt
nur angängig sein, sofern man einseitig lediglich die Zustände oder Vor-
gänge in's Auge fasst, welche im (als „wirklich“ supponirten) Nervensystem
den Bewusstseinsvorgängen — nach heutigem Stand der Physiologie —
parallel gehen. Hierauf allerdings hat Peirce von vornherein schon hin-
gewiesen durch die Bemerkung, dass er das Denken (nur) „as cerebration“
betrachten wolle. Nunmehr fährt er fort:
In solchem Falle hat die Thätigkeit in der Hauptsache denselben
Charakter: eine innere Thätigkeit beseitigt die innere Reizung. Eine
vorgestellte Konjunktur von Umständen veranlasst uns dazu, eine ge-
eignete Richtschnur des Handelns (line of action) vorzustellen.
Man findet, dass solche Vorkommnisse, auch wenn keine äussere
Handlung eintritt, doch in hohem Maasse dazu beitragen, dass in uns
eine Neigung, Gewohnheit sich ausbilde, wirklich auf die vorgestellte
Weise zu handeln, wenn die vorgestellte Gelegenheit annähernd
eintritt.
Eine cerebrale Gewöhnung (Gewohnheit? — „cerebral habit“) der
höchsten Art, welche für eine unabsehbare Reihe von Gelegenheiten
bestimmen wird, sowol, was wir in Gedanken, als was wir in Wirk-
lichkeit thun, wird ein „Glaube“ genannt.
Peirce sagt durchweg „belief“, nicht Überzeugung, conviction, oder
Meinung, Ansicht, opinion, view. Wegen der Schwierigkeit, die spezifisch
religiöse Nebenbedeutung („faith“), mit welcher (im Deutschen) das Wort
„Glaube“ behaftet erscheint, nicht unnötig in den Vordergrund treten zu
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/129>, abgerufen am 26.11.2024.
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