gültig ausgesagt werden könnten (auch in Bezug auf seinen Schnitt, seine Berührungen mit andern seinesgleichen sowie mit irgend welchen Kurven und Figuren, auch in Bezug auf Scharen von seinesgleichen, die Kreis- schnitte der Flächen etc., nicht zu vergessen seiner Gleichung und analy- tischen Eigenschaften in jedem Koordinatensysteme) schon kennen. Nun lässt sich aber die Möglichkeit nicht leugnen, dass fort und fort neue und allgemeingültige Sätze vom Kreise entdeckt werden. Den idealen Begriff des Kreises besitzt sonach niemand, sondern es ist seine Verwirklichung ein Ziel, auf das die Wissenschaft erst hinarbeitet.
Ein altbekanntes Beispiel, wie man in Bezug auf die Auswahl der als "wesentliche" zur Begriffsbestimmung ausreichenden Merkmale sich versehen kann, liefert Platon's Definition des Menschen als eines zwei- beinigen Tiers ohne Federn, welche dessen Schüler Diogenes durch einen gerupften Hahn persiflirte. Bezug sollte bei jener Definition genommen sein auf die anerkannten Thatsachen der Naturgeschichte.
Für einen gegebenen Begriff hat demnach der Ausdruck "die wesentlichen Merkmale" keinen bestimmten Sinn, sofern damit nicht auf eine bereits getroffene Auswahl hingewiesen wird; man kann viel- mehr von vornherein nur reden von "einer" Gruppe charakteristischer Merkmale.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass eine Definition (auf extra- logischem Gebiete) überhaupt nur innerhalb des Rahmens einer be- stimmten Wissenschaft eines bestimmten Sinnes teilhaftig sein wird -- indem sie eben auf die Grundsätze, Axiome einer solchen stillschweigend Bezug nimmt.
Z. B. durch die oben gegebene Begriffserklärung des Kreises würde dieser Begriff in andrer Weise und als ein andrer bestimmt, wenn dabei auf die Axiome etwa einer nicht-euklidischen Geometrie Bezug genommen werden sollte -- anstatt, wie dies oben stillschweigend geschah -- auf die der Euklidischen. Es mag sogar der Fall eintreten, dass verschiedene unter den gleichberechtigt zu nennenden, weil einander gegenseitig bedingenden Definitionen des Kreises dort in der That wesentlich verschiedene Begriffe bestimmen, einander nicht mehr gegenseitig zur Folge haben.
Unter allen Umständen aber stützt und beruft sich die Begriffs- bestimmung mittelst Definition ganz unvermeidlich (mit) auf die Ge- setze des denknotwendigen Folgerns; sie setzt die deduktive Logik be- reits voraus.
kh2) Nun stehen zunächst uns nur diejenigen Begriffe zur Ver- fügung, die mit den fertigen Gemeinnamen der Sprache verknüpft sind und so uns gegeben erscheinen. Diese mögen jeweils durch beigegebene Erläuterungen von jedem Doppelsinn gereinigt, vor solchem fernerhin bewahrt werden, sodass wir mit ihnen einen unveränderlichen und scharfbestimmten Vorstellungsinhalt (vorbehaltlich dessen durch die
Einleitung.
gültig ausgesagt werden könnten (auch in Bezug auf seinen Schnitt, seine Berührungen mit andern seinesgleichen sowie mit irgend welchen Kurven und Figuren, auch in Bezug auf Scharen von seinesgleichen, die Kreis- schnitte der Flächen etc., nicht zu vergessen seiner Gleichung und analy- tischen Eigenschaften in jedem Koordinatensysteme) schon kennen. Nun lässt sich aber die Möglichkeit nicht leugnen, dass fort und fort neue und allgemeingültige Sätze vom Kreise entdeckt werden. Den idealen Begriff des Kreises besitzt sonach niemand, sondern es ist seine Verwirklichung ein Ziel, auf das die Wissenschaft erst hinarbeitet.
Ein altbekanntes Beispiel, wie man in Bezug auf die Auswahl der als „wesentliche“ zur Begriffsbestimmung ausreichenden Merkmale sich versehen kann, liefert Platon's Definition des Menschen als eines zwei- beinigen Tiers ohne Federn, welche dessen Schüler Diogenes durch einen gerupften Hahn persiflirte. Bezug sollte bei jener Definition genommen sein auf die anerkannten Thatsachen der Naturgeschichte.
Für einen gegebenen Begriff hat demnach der Ausdruck „die wesentlichen Merkmale“ keinen bestimmten Sinn, sofern damit nicht auf eine bereits getroffene Auswahl hingewiesen wird; man kann viel- mehr von vornherein nur reden von „einer“ Gruppe charakteristischer Merkmale.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass eine Definition (auf extra- logischem Gebiete) überhaupt nur innerhalb des Rahmens einer be- stimmten Wissenschaft eines bestimmten Sinnes teilhaftig sein wird — indem sie eben auf die Grundsätze, Axiome einer solchen stillschweigend Bezug nimmt.
Z. B. durch die oben gegebene Begriffserklärung des Kreises würde dieser Begriff in andrer Weise und als ein andrer bestimmt, wenn dabei auf die Axiome etwa einer nicht-euklidischen Geometrie Bezug genommen werden sollte — anstatt, wie dies oben stillschweigend geschah — auf die der Euklidischen. Es mag sogar der Fall eintreten, dass verschiedene unter den gleichberechtigt zu nennenden, weil einander gegenseitig bedingenden Definitionen des Kreises dort in der That wesentlich verschiedene Begriffe bestimmen, einander nicht mehr gegenseitig zur Folge haben.
Unter allen Umständen aber stützt und beruft sich die Begriffs- bestimmung mittelst Definition ganz unvermeidlich (mit) auf die Ge- setze des denknotwendigen Folgerns; sie setzt die deduktive Logik be- reits voraus.
χ2) Nun stehen zunächst uns nur diejenigen Begriffe zur Ver- fügung, die mit den fertigen Gemeinnamen der Sprache verknüpft sind und so uns gegeben erscheinen. Diese mögen jeweils durch beigegebene Erläuterungen von jedem Doppelsinn gereinigt, vor solchem fernerhin bewahrt werden, sodass wir mit ihnen einen unveränderlichen und scharfbestimmten Vorstellungsinhalt (vorbehaltlich dessen durch die
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Einleitung.
gültig ausgesagt werden könnten (auch in Bezug auf seinen Schnitt, seine
Berührungen mit andern seinesgleichen sowie mit irgend welchen Kurven
und Figuren, auch in Bezug auf Scharen von seinesgleichen, die Kreis-
schnitte der Flächen etc., nicht zu vergessen seiner Gleichung und analy-
tischen Eigenschaften in jedem Koordinatensysteme) schon kennen. Nun
lässt sich aber die Möglichkeit nicht leugnen, dass fort und fort neue und
allgemeingültige Sätze vom Kreise entdeckt werden. Den idealen Begriff
des Kreises besitzt sonach niemand, sondern es ist seine Verwirklichung ein
Ziel, auf das die Wissenschaft erst hinarbeitet.
Ein altbekanntes Beispiel, wie man in Bezug auf die Auswahl der
als „wesentliche“ zur Begriffsbestimmung ausreichenden Merkmale sich
versehen kann, liefert Platon's Definition des Menschen als eines zwei-
beinigen Tiers ohne Federn, welche dessen Schüler Diogenes durch einen
gerupften Hahn persiflirte. Bezug sollte bei jener Definition genommen
sein auf die anerkannten Thatsachen der Naturgeschichte.
Für einen gegebenen Begriff hat demnach der Ausdruck „die
wesentlichen Merkmale“ keinen bestimmten Sinn, sofern damit nicht
auf eine bereits getroffene Auswahl hingewiesen wird; man kann viel-
mehr von vornherein nur reden von „einer“ Gruppe charakteristischer
Merkmale.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass eine Definition (auf extra-
logischem Gebiete) überhaupt nur innerhalb des Rahmens einer be-
stimmten Wissenschaft eines bestimmten Sinnes teilhaftig sein wird —
indem sie eben auf die Grundsätze, Axiome einer solchen stillschweigend
Bezug nimmt.
Z. B. durch die oben gegebene Begriffserklärung des Kreises würde
dieser Begriff in andrer Weise und als ein andrer bestimmt, wenn dabei
auf die Axiome etwa einer nicht-euklidischen Geometrie Bezug genommen
werden sollte — anstatt, wie dies oben stillschweigend geschah — auf die
der Euklidischen. Es mag sogar der Fall eintreten, dass verschiedene unter
den gleichberechtigt zu nennenden, weil einander gegenseitig bedingenden
Definitionen des Kreises dort in der That wesentlich verschiedene Begriffe
bestimmen, einander nicht mehr gegenseitig zur Folge haben.
Unter allen Umständen aber stützt und beruft sich die Begriffs-
bestimmung mittelst Definition ganz unvermeidlich (mit) auf die Ge-
setze des denknotwendigen Folgerns; sie setzt die deduktive Logik be-
reits voraus.
χ2) Nun stehen zunächst uns nur diejenigen Begriffe zur Ver-
fügung, die mit den fertigen Gemeinnamen der Sprache verknüpft sind
und so uns gegeben erscheinen. Diese mögen jeweils durch beigegebene
Erläuterungen von jedem Doppelsinn gereinigt, vor solchem fernerhin
bewahrt werden, sodass wir mit ihnen einen unveränderlichen und
scharfbestimmten Vorstellungsinhalt (vorbehaltlich dessen durch die
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/108>, abgerufen am 28.11.2024.
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