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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.

Auch ist noch ein Umstand zu beachten: Wenn wir die Bestimmung
eines Begriffs durch Umfangsangabe versuchen, so erscheint die Auswahl
der Objekte des Denkens, die als seine Individuen hinzustellen sind, von
vornherein in unser Belieben gestellt. Wie immer man auch solche Aus-
wahl treffen mag, so lässt sich in dem Zufall, der unsre subjektive Will-
kür lenkt und sie gerade auf diese und auf keine andern Objekte als die
zu Individuen zu erhebenden (vielleicht auf's Gerathewohl, at random) ver-
fallen lässt, in der That ein ebendiesen und nur diesen Individuen gemein-
sames Merkmal erblicken, in gewissem Sinne also auch von einem "Be-
griffe" reden, welcher der so gebildeten Klasse von willkürlich zusammen-
gelesenen Objekten zugeordnet wäre.

Indessen leuchtet ein, dass solchermassen künstlich geschaffenen, "er-
künstelten" Begriffen ein wissenschaftlicher Wert in der Regel nicht zu-
kommen wird. Ein solcher wird wol nur solchen Begriffen zuzusprechen
sein, die entweder entsprungen sind aus der Erkenntniss übereinstimmen-
der Merkmale an gegebenen Objekten, die diesen unabhängig von subjek-
tiver Laune notwendig oder faktisch zukommen, oder welche dadurch, dass
sie ein gegebenes, ein bestimmt angebbares Merkmal enthalten, eben dienen
sollen Objekte unsres Denkens zu bestimmen.

Wenn schon sie allerdings missbraucht werden könnte, so wird es
gleichwol nicht ratsam erscheinen, der Freiheit der Begriffsbildung irgend
welche Schranken von vornherein aufzuerlegen. Vergl. g3).

ph2) Die Begriffserklärung, Definition*), zu der wir nach obigem
zum Behufe der Begriffsbestimmungen greifen werden, sieht sich vor
eine andere Schwierigkeit gestellt.

Zunächst lassen die Merkmale, welche den unter einen Begriff
fallenden ("zu seiner Kategorie gehörigen") Individuen "gemeinsam"
sind, und welche in ihrer Verbindung dessen idealen Inhalt ausmachen,
sich überhaupt nie vollständig aufzählen. Der volle Inhalt des Be-
griffs lässt nie sich fertig "beschreiben". Denn wieviele Merkmale
man auch schon berücksichtigt haben mag, so werden sich stets noch
neue gemeinsame Merkmale angeben lassen, auf welche noch nicht
geachtet worden ist. (vergl. nachherige Beispiele.)

Die Definition verzichtet daher in der That auf die unmittelbare
Angabe des ganzen Begriffsinhaltes. Sie begnügt sich, direkt, explicite,
nur einen Teil desselben, den Rest aber blos mittelbar, implicite anzu-
geben, indem sie unter den übereinstimmenden Merkmalen eine gewisse
Gruppe hervorhebt von solchen Merkmalen, welche die übrigen alle
involviren, mitbedingen, nach sich ziehen, zur Folge haben -- sei es

*) Wir sprechen hier nur von der (allein als haltbar zu erkennenden) "Nomi-
naldefinition
" der schulmässigen Logik und betrachten das unklare Ideal der sog.
"Realdefinition" als durch die Ausführungen von Mill, Sigwart und Andern
abgethan.
Einleitung.

Auch ist noch ein Umstand zu beachten: Wenn wir die Bestimmung
eines Begriffs durch Umfangsangabe versuchen, so erscheint die Auswahl
der Objekte des Denkens, die als seine Individuen hinzustellen sind, von
vornherein in unser Belieben gestellt. Wie immer man auch solche Aus-
wahl treffen mag, so lässt sich in dem Zufall, der unsre subjektive Will-
kür lenkt und sie gerade auf diese und auf keine andern Objekte als die
zu Individuen zu erhebenden (vielleicht auf's Gerathewohl, at random) ver-
fallen lässt, in der That ein ebendiesen und nur diesen Individuen gemein-
sames Merkmal erblicken, in gewissem Sinne also auch von einem „Be-
griffe“ reden, welcher der so gebildeten Klasse von willkürlich zusammen-
gelesenen Objekten zugeordnet wäre.

Indessen leuchtet ein, dass solchermassen künstlich geschaffenen, „er-
künstelten“ Begriffen ein wissenschaftlicher Wert in der Regel nicht zu-
kommen wird. Ein solcher wird wol nur solchen Begriffen zuzusprechen
sein, die entweder entsprungen sind aus der Erkenntniss übereinstimmen-
der Merkmale an gegebenen Objekten, die diesen unabhängig von subjek-
tiver Laune notwendig oder faktisch zukommen, oder welche dadurch, dass
sie ein gegebenes, ein bestimmt angebbares Merkmal enthalten, eben dienen
sollen Objekte unsres Denkens zu bestimmen.

Wenn schon sie allerdings missbraucht werden könnte, so wird es
gleichwol nicht ratsam erscheinen, der Freiheit der Begriffsbildung irgend
welche Schranken von vornherein aufzuerlegen. Vergl. γ3).

φ2) Die Begriffserklärung, Definition*), zu der wir nach obigem
zum Behufe der Begriffsbestimmungen greifen werden, sieht sich vor
eine andere Schwierigkeit gestellt.

Zunächst lassen die Merkmale, welche den unter einen Begriff
fallenden („zu seiner Kategorie gehörigen“) Individuen „gemeinsam“
sind, und welche in ihrer Verbindung dessen idealen Inhalt ausmachen,
sich überhaupt nie vollständig aufzählen. Der volle Inhalt des Be-
griffs lässt nie sich fertig „beschreiben“. Denn wieviele Merkmale
man auch schon berücksichtigt haben mag, so werden sich stets noch
neue gemeinsame Merkmale angeben lassen, auf welche noch nicht
geachtet worden ist. (vergl. nachherige Beispiele.)

Die Definition verzichtet daher in der That auf die unmittelbare
Angabe des ganzen Begriffsinhaltes. Sie begnügt sich, direkt, explicite,
nur einen Teil desselben, den Rest aber blos mittelbar, implicite anzu-
geben, indem sie unter den übereinstimmenden Merkmalen eine gewisse
Gruppe hervorhebt von solchen Merkmalen, welche die übrigen alle
involviren, mitbedingen, nach sich ziehen, zur Folge haben — sei es

*) Wir sprechen hier nur von der (allein als haltbar zu erkennenden) „Nomi-
naldefinition
“ der schulmässigen Logik und betrachten das unklare Ideal der sog.
„Realdefinition“ als durch die Ausführungen von Mill, Sigwart und Andern
abgethan.
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[86/0106] Einleitung. Auch ist noch ein Umstand zu beachten: Wenn wir die Bestimmung eines Begriffs durch Umfangsangabe versuchen, so erscheint die Auswahl der Objekte des Denkens, die als seine Individuen hinzustellen sind, von vornherein in unser Belieben gestellt. Wie immer man auch solche Aus- wahl treffen mag, so lässt sich in dem Zufall, der unsre subjektive Will- kür lenkt und sie gerade auf diese und auf keine andern Objekte als die zu Individuen zu erhebenden (vielleicht auf's Gerathewohl, at random) ver- fallen lässt, in der That ein ebendiesen und nur diesen Individuen gemein- sames Merkmal erblicken, in gewissem Sinne also auch von einem „Be- griffe“ reden, welcher der so gebildeten Klasse von willkürlich zusammen- gelesenen Objekten zugeordnet wäre. Indessen leuchtet ein, dass solchermassen künstlich geschaffenen, „er- künstelten“ Begriffen ein wissenschaftlicher Wert in der Regel nicht zu- kommen wird. Ein solcher wird wol nur solchen Begriffen zuzusprechen sein, die entweder entsprungen sind aus der Erkenntniss übereinstimmen- der Merkmale an gegebenen Objekten, die diesen unabhängig von subjek- tiver Laune notwendig oder faktisch zukommen, oder welche dadurch, dass sie ein gegebenes, ein bestimmt angebbares Merkmal enthalten, eben dienen sollen Objekte unsres Denkens zu bestimmen. Wenn schon sie allerdings missbraucht werden könnte, so wird es gleichwol nicht ratsam erscheinen, der Freiheit der Begriffsbildung irgend welche Schranken von vornherein aufzuerlegen. Vergl. γ3). φ2) Die Begriffserklärung, Definition *), zu der wir nach obigem zum Behufe der Begriffsbestimmungen greifen werden, sieht sich vor eine andere Schwierigkeit gestellt. Zunächst lassen die Merkmale, welche den unter einen Begriff fallenden („zu seiner Kategorie gehörigen“) Individuen „gemeinsam“ sind, und welche in ihrer Verbindung dessen idealen Inhalt ausmachen, sich überhaupt nie vollständig aufzählen. Der volle Inhalt des Be- griffs lässt nie sich fertig „beschreiben“. Denn wieviele Merkmale man auch schon berücksichtigt haben mag, so werden sich stets noch neue gemeinsame Merkmale angeben lassen, auf welche noch nicht geachtet worden ist. (vergl. nachherige Beispiele.) Die Definition verzichtet daher in der That auf die unmittelbare Angabe des ganzen Begriffsinhaltes. Sie begnügt sich, direkt, explicite, nur einen Teil desselben, den Rest aber blos mittelbar, implicite anzu- geben, indem sie unter den übereinstimmenden Merkmalen eine gewisse Gruppe hervorhebt von solchen Merkmalen, welche die übrigen alle involviren, mitbedingen, nach sich ziehen, zur Folge haben — sei es *) Wir sprechen hier nur von der (allein als haltbar zu erkennenden) „Nomi- naldefinition“ der schulmässigen Logik und betrachten das unklare Ideal der sog. „Realdefinition“ als durch die Ausführungen von Mill, Sigwart und Andern abgethan.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/106>, abgerufen am 28.11.2024.