Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gesagt, auf diese Weise könne es hier vielleicht am ehesten geschehen. Wie aber, sagte ich nach einigem Stillschweigen, wenn sich eine Stelle für Sie fände, frei von den lästigen Rücksichten, welche den Aufenthalt in den sogenannten guten Häusern oft so unangenehm machen, mit einer einfachen, Ihrer ehemaligen Lebensweise angemessenen Beschäftigung, wobei Sie zugleich mehr von sich selbst als von Anderen abhängig wären, nicht in der Stadt, sondern auf dem Lande und in einer der schönsten Gegenden, die man sehen kann? -- Gretchen wurde sehr aufmerksam. Und worin bestände diese Beschäftigung? fragte sie. -- In der Aufsicht über das Innere einer kleinen Landwirthschaft, antwortete ich, die -- einem meiner Freunde gehört; einem Manne ungefähr von meiner Art und meinem Alter, der Sie mit der größten Achtung behandeln und Ihre Einsamkeit selten oder nie durch seine Gegenwart stören würde, es wäre denn, daß Sie es selbst wünschen sollten. -- Das liebe Mädchen war abwechselnd blaß und roth; sie schien meine Gedanken zu errathen und auch wieder zweifelhaft darüber zu werden. Und glauben Sie, sagte sie, daß es sich für mich schickte, diese Stelle anzunehmen? -- Wie ich das Haus und die Gesinnung meines Freundes kenne, allerdings! war meine Antwort. -- Sie sah eine Zeitlang still vor sich hin. -- Nun, Gretchen? sagte ich, indem ich sie leicht umfaßte. -- Muß ich mich sogleich entschließen, mein väterlicher Freund? fragte sie, mit kindlichem Vertrauen gesagt, auf diese Weise könne es hier vielleicht am ehesten geschehen. Wie aber, sagte ich nach einigem Stillschweigen, wenn sich eine Stelle für Sie fände, frei von den lästigen Rücksichten, welche den Aufenthalt in den sogenannten guten Häusern oft so unangenehm machen, mit einer einfachen, Ihrer ehemaligen Lebensweise angemessenen Beschäftigung, wobei Sie zugleich mehr von sich selbst als von Anderen abhängig wären, nicht in der Stadt, sondern auf dem Lande und in einer der schönsten Gegenden, die man sehen kann? — Gretchen wurde sehr aufmerksam. Und worin bestände diese Beschäftigung? fragte sie. — In der Aufsicht über das Innere einer kleinen Landwirthschaft, antwortete ich, die — einem meiner Freunde gehört; einem Manne ungefähr von meiner Art und meinem Alter, der Sie mit der größten Achtung behandeln und Ihre Einsamkeit selten oder nie durch seine Gegenwart stören würde, es wäre denn, daß Sie es selbst wünschen sollten. — Das liebe Mädchen war abwechselnd blaß und roth; sie schien meine Gedanken zu errathen und auch wieder zweifelhaft darüber zu werden. Und glauben Sie, sagte sie, daß es sich für mich schickte, diese Stelle anzunehmen? — Wie ich das Haus und die Gesinnung meines Freundes kenne, allerdings! war meine Antwort. — Sie sah eine Zeitlang still vor sich hin. — Nun, Gretchen? sagte ich, indem ich sie leicht umfaßte. — Muß ich mich sogleich entschließen, mein väterlicher Freund? fragte sie, mit kindlichem Vertrauen <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="9"> <p><pb facs="#f0043"/> gesagt, auf diese Weise könne es hier vielleicht am ehesten geschehen.</p><lb/> <p>Wie aber, sagte ich nach einigem Stillschweigen, wenn sich eine Stelle für Sie fände, frei von den lästigen Rücksichten, welche den Aufenthalt in den sogenannten guten Häusern oft so unangenehm machen, mit einer einfachen, Ihrer ehemaligen Lebensweise angemessenen Beschäftigung, wobei Sie zugleich mehr von sich selbst als von Anderen abhängig wären, nicht in der Stadt, sondern auf dem Lande und in einer der schönsten Gegenden, die man sehen kann? — Gretchen wurde sehr aufmerksam. Und worin bestände diese Beschäftigung? fragte sie. — In der Aufsicht über das Innere einer kleinen Landwirthschaft, antwortete ich, die — einem meiner Freunde gehört; einem Manne ungefähr von meiner Art und meinem Alter, der Sie mit der größten Achtung behandeln und Ihre Einsamkeit selten oder nie durch seine Gegenwart stören würde, es wäre denn, daß Sie es selbst wünschen sollten. — Das liebe Mädchen war abwechselnd blaß und roth; sie schien meine Gedanken zu errathen und auch wieder zweifelhaft darüber zu werden. Und glauben Sie, sagte sie, daß es sich für mich schickte, diese Stelle anzunehmen? — Wie ich das Haus und die Gesinnung meines Freundes kenne, allerdings! war meine Antwort. — Sie sah eine Zeitlang still vor sich hin. — Nun, Gretchen? sagte ich, indem ich sie leicht umfaßte. — Muß ich mich sogleich entschließen, mein väterlicher Freund? fragte sie, mit kindlichem Vertrauen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
gesagt, auf diese Weise könne es hier vielleicht am ehesten geschehen.
Wie aber, sagte ich nach einigem Stillschweigen, wenn sich eine Stelle für Sie fände, frei von den lästigen Rücksichten, welche den Aufenthalt in den sogenannten guten Häusern oft so unangenehm machen, mit einer einfachen, Ihrer ehemaligen Lebensweise angemessenen Beschäftigung, wobei Sie zugleich mehr von sich selbst als von Anderen abhängig wären, nicht in der Stadt, sondern auf dem Lande und in einer der schönsten Gegenden, die man sehen kann? — Gretchen wurde sehr aufmerksam. Und worin bestände diese Beschäftigung? fragte sie. — In der Aufsicht über das Innere einer kleinen Landwirthschaft, antwortete ich, die — einem meiner Freunde gehört; einem Manne ungefähr von meiner Art und meinem Alter, der Sie mit der größten Achtung behandeln und Ihre Einsamkeit selten oder nie durch seine Gegenwart stören würde, es wäre denn, daß Sie es selbst wünschen sollten. — Das liebe Mädchen war abwechselnd blaß und roth; sie schien meine Gedanken zu errathen und auch wieder zweifelhaft darüber zu werden. Und glauben Sie, sagte sie, daß es sich für mich schickte, diese Stelle anzunehmen? — Wie ich das Haus und die Gesinnung meines Freundes kenne, allerdings! war meine Antwort. — Sie sah eine Zeitlang still vor sich hin. — Nun, Gretchen? sagte ich, indem ich sie leicht umfaßte. — Muß ich mich sogleich entschließen, mein väterlicher Freund? fragte sie, mit kindlichem Vertrauen
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Zitationshilfe: | Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/43>, abgerufen am 16.02.2025. |