Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.unglücklich; -- ich muß fort von hier, und weiß nicht, wohin ich mich wenden soll. -- Wie das? Reden Sie, liebes Gretchen! -- Sie erzählte mir nun, Frau von Reichard habe sie zwar gütig empfangen, ihr jedoch gesagt, daß der Zweck, zu welchem sie Gretchen hätte in das Haus nehmen wollen, aufgehört habe, indem ihre Tochter in wenig Wochen heirathen würde, hiervon habe sie auch Gretchens Tante schon vor vierzehn Tagen benachrichtigt, aber der Brief sei während der Reise der letztern wahrscheinlich verloren gegangen. Auf Gretchens Bitte, sie einer anderen Dame zu empfehlen, habe Frau von Reichard sie an eine Madame Miller gewiesen, welche viele Bekanntschaften in der Stadt habe und sich mit solchen Geschäften abgebe. Mad. Miller habe ihr gerathen, sich fürs Erste mit einer Aufenthaltskarte zu versehen und dann wieder bei ihr anzufragen. Sie sei deßhalb auf die Polizei gegangen, wo man ihr jedoch erklärt habe, der Aufenthalt in der Stadt könne ihr nur gestattet werden, wenn sie sich über die Mittel ihres Erwerbes und eine anständige Beschäftigung hinlänglich ausweisen könne. Man habe ihr Mißtrauen blicken lassen, und ihr endlich unverhohlen gesagt, daß sie die Stadt innerhalb dreier Tage längstens wieder verlassen müsse. Sie habe es nicht gewagt, mit dieser Nachricht zu Mad. Miller zurückzukehren, und getraue sich auch nicht, die kleine Stube in der Vorstadt zu beziehen, die ihr Jungfer Brigitte empfohlen habe; denn auf dem Wege hierher sei sie von zwei Männern verfolgt und sehr zudringlich um ihre unglücklich; — ich muß fort von hier, und weiß nicht, wohin ich mich wenden soll. — Wie das? Reden Sie, liebes Gretchen! — Sie erzählte mir nun, Frau von Reichard habe sie zwar gütig empfangen, ihr jedoch gesagt, daß der Zweck, zu welchem sie Gretchen hätte in das Haus nehmen wollen, aufgehört habe, indem ihre Tochter in wenig Wochen heirathen würde, hiervon habe sie auch Gretchens Tante schon vor vierzehn Tagen benachrichtigt, aber der Brief sei während der Reise der letztern wahrscheinlich verloren gegangen. Auf Gretchens Bitte, sie einer anderen Dame zu empfehlen, habe Frau von Reichard sie an eine Madame Miller gewiesen, welche viele Bekanntschaften in der Stadt habe und sich mit solchen Geschäften abgebe. Mad. Miller habe ihr gerathen, sich fürs Erste mit einer Aufenthaltskarte zu versehen und dann wieder bei ihr anzufragen. Sie sei deßhalb auf die Polizei gegangen, wo man ihr jedoch erklärt habe, der Aufenthalt in der Stadt könne ihr nur gestattet werden, wenn sie sich über die Mittel ihres Erwerbes und eine anständige Beschäftigung hinlänglich ausweisen könne. Man habe ihr Mißtrauen blicken lassen, und ihr endlich unverhohlen gesagt, daß sie die Stadt innerhalb dreier Tage längstens wieder verlassen müsse. Sie habe es nicht gewagt, mit dieser Nachricht zu Mad. Miller zurückzukehren, und getraue sich auch nicht, die kleine Stube in der Vorstadt zu beziehen, die ihr Jungfer Brigitte empfohlen habe; denn auf dem Wege hierher sei sie von zwei Männern verfolgt und sehr zudringlich um ihre <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="7"> <p><pb facs="#f0034"/> unglücklich; — ich muß fort von hier, und weiß nicht, wohin ich mich wenden soll. — Wie das? Reden Sie, liebes Gretchen! — Sie erzählte mir nun, Frau von Reichard habe sie zwar gütig empfangen, ihr jedoch gesagt, daß der Zweck, zu welchem sie Gretchen hätte in das Haus nehmen wollen, aufgehört habe, indem ihre Tochter in wenig Wochen heirathen würde, hiervon habe sie auch Gretchens Tante schon vor vierzehn Tagen benachrichtigt, aber der Brief sei während der Reise der letztern wahrscheinlich verloren gegangen. Auf Gretchens Bitte, sie einer anderen Dame zu empfehlen, habe Frau von Reichard sie an eine Madame Miller gewiesen, welche viele Bekanntschaften in der Stadt habe und sich mit solchen Geschäften abgebe. Mad. Miller habe ihr gerathen, sich fürs Erste mit einer Aufenthaltskarte zu versehen und dann wieder bei ihr anzufragen. Sie sei deßhalb auf die Polizei gegangen, wo man ihr jedoch erklärt habe, der Aufenthalt in der Stadt könne ihr nur gestattet werden, wenn sie sich über die Mittel ihres Erwerbes und eine anständige Beschäftigung hinlänglich ausweisen könne. Man habe ihr Mißtrauen blicken lassen, und ihr endlich unverhohlen gesagt, daß sie die Stadt innerhalb dreier Tage längstens wieder verlassen müsse. Sie habe es nicht gewagt, mit dieser Nachricht zu Mad. Miller zurückzukehren, und getraue sich auch nicht, die kleine Stube in der Vorstadt zu beziehen, die ihr Jungfer Brigitte empfohlen habe; denn auf dem Wege hierher sei sie von zwei Männern verfolgt und sehr zudringlich um ihre<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0034]
unglücklich; — ich muß fort von hier, und weiß nicht, wohin ich mich wenden soll. — Wie das? Reden Sie, liebes Gretchen! — Sie erzählte mir nun, Frau von Reichard habe sie zwar gütig empfangen, ihr jedoch gesagt, daß der Zweck, zu welchem sie Gretchen hätte in das Haus nehmen wollen, aufgehört habe, indem ihre Tochter in wenig Wochen heirathen würde, hiervon habe sie auch Gretchens Tante schon vor vierzehn Tagen benachrichtigt, aber der Brief sei während der Reise der letztern wahrscheinlich verloren gegangen. Auf Gretchens Bitte, sie einer anderen Dame zu empfehlen, habe Frau von Reichard sie an eine Madame Miller gewiesen, welche viele Bekanntschaften in der Stadt habe und sich mit solchen Geschäften abgebe. Mad. Miller habe ihr gerathen, sich fürs Erste mit einer Aufenthaltskarte zu versehen und dann wieder bei ihr anzufragen. Sie sei deßhalb auf die Polizei gegangen, wo man ihr jedoch erklärt habe, der Aufenthalt in der Stadt könne ihr nur gestattet werden, wenn sie sich über die Mittel ihres Erwerbes und eine anständige Beschäftigung hinlänglich ausweisen könne. Man habe ihr Mißtrauen blicken lassen, und ihr endlich unverhohlen gesagt, daß sie die Stadt innerhalb dreier Tage längstens wieder verlassen müsse. Sie habe es nicht gewagt, mit dieser Nachricht zu Mad. Miller zurückzukehren, und getraue sich auch nicht, die kleine Stube in der Vorstadt zu beziehen, die ihr Jungfer Brigitte empfohlen habe; denn auf dem Wege hierher sei sie von zwei Männern verfolgt und sehr zudringlich um ihre
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Zitationshilfe: | Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/34>, abgerufen am 27.07.2024. |