Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.So kam der Mittag heran, den wir in einem wohleingerichteten Gasthofe, auf dem halben Wege unserer Fahrt nach der Hauptstadt, zubrachten. Ich speis'te mit Gretchen an dem Wirthstische. Es gefiel mir wohl, die Augen der Gäste öfters auf meine schöne Nachbarin gerichtet zu sehen, welche in ihrem einfachen, fast ärmlichen Anzuge als die Königin der Tafel erschien. Ein junger Offizier, der uns gegenüber saß, suchte sie endlich ins Gespräch zu ziehen. Ich bewunderte die Gewandtheit und den feinen Tact, womit Gretchen den nach und nach zudringlich werdenden Fragen und Anspielungen des jungen Kriegsmannes auszuweichen wußte, ohne sich durch ein verlegenes oder auffallend frostiges Betragen zum Augenmerk der Gesellschaft zu machen. Als wir von der Tafel aufstanden und ich mich nach einem abseits liegenden Zeitungsblatte umsah, trat der Offizier ganz dreist zu Gretchen und begleitete seine Anrede mit einer ziemlich vertraulichen Geberde, indem er sie zierlich an beiden Ellenbogen anfaßte. Sie zog sich mit einer Achtung fordernden Miene zurück, worüber der junge Herr, leicht auflachend, sich in die Brust warf. Ich war indessen zwischen sie getreten und sah den Offizier ernsthaft an. -- Steht die junge Person vielleicht unter Ihrem Schutze? fragte er spöttisch, Ihre Frau oder Tochter scheint sie nach dem Aeußern nicht zu sein. -- Wenn es darauf ankommt, sie gegen Zudringlichkeiten sicher zu stellen, antwortete ich in entschlossenem Tone, so steht das junge Frauenzimmer allerdings unter meinem Schutze; das kann So kam der Mittag heran, den wir in einem wohleingerichteten Gasthofe, auf dem halben Wege unserer Fahrt nach der Hauptstadt, zubrachten. Ich speis'te mit Gretchen an dem Wirthstische. Es gefiel mir wohl, die Augen der Gäste öfters auf meine schöne Nachbarin gerichtet zu sehen, welche in ihrem einfachen, fast ärmlichen Anzuge als die Königin der Tafel erschien. Ein junger Offizier, der uns gegenüber saß, suchte sie endlich ins Gespräch zu ziehen. Ich bewunderte die Gewandtheit und den feinen Tact, womit Gretchen den nach und nach zudringlich werdenden Fragen und Anspielungen des jungen Kriegsmannes auszuweichen wußte, ohne sich durch ein verlegenes oder auffallend frostiges Betragen zum Augenmerk der Gesellschaft zu machen. Als wir von der Tafel aufstanden und ich mich nach einem abseits liegenden Zeitungsblatte umsah, trat der Offizier ganz dreist zu Gretchen und begleitete seine Anrede mit einer ziemlich vertraulichen Geberde, indem er sie zierlich an beiden Ellenbogen anfaßte. Sie zog sich mit einer Achtung fordernden Miene zurück, worüber der junge Herr, leicht auflachend, sich in die Brust warf. Ich war indessen zwischen sie getreten und sah den Offizier ernsthaft an. — Steht die junge Person vielleicht unter Ihrem Schutze? fragte er spöttisch, Ihre Frau oder Tochter scheint sie nach dem Aeußern nicht zu sein. — Wenn es darauf ankommt, sie gegen Zudringlichkeiten sicher zu stellen, antwortete ich in entschlossenem Tone, so steht das junge Frauenzimmer allerdings unter meinem Schutze; das kann <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <pb facs="#f0021"/> <p>So kam der Mittag heran, den wir in einem wohleingerichteten Gasthofe, auf dem halben Wege unserer Fahrt nach der Hauptstadt, zubrachten. Ich speis'te mit Gretchen an dem Wirthstische. Es gefiel mir wohl, die Augen der Gäste öfters auf meine schöne Nachbarin gerichtet zu sehen, welche in ihrem einfachen, fast ärmlichen Anzuge als die Königin der Tafel erschien. Ein junger Offizier, der uns gegenüber saß, suchte sie endlich ins Gespräch zu ziehen. Ich bewunderte die Gewandtheit und den feinen Tact, womit Gretchen den nach und nach zudringlich werdenden Fragen und Anspielungen des jungen Kriegsmannes auszuweichen wußte, ohne sich durch ein verlegenes oder auffallend frostiges Betragen zum Augenmerk der Gesellschaft zu machen. Als wir von der Tafel aufstanden und ich mich nach einem abseits liegenden Zeitungsblatte umsah, trat der Offizier ganz dreist zu Gretchen und begleitete seine Anrede mit einer ziemlich vertraulichen Geberde, indem er sie zierlich an beiden Ellenbogen anfaßte. Sie zog sich mit einer Achtung fordernden Miene zurück, worüber der junge Herr, leicht auflachend, sich in die Brust warf. Ich war indessen zwischen sie getreten und sah den Offizier ernsthaft an. — Steht die junge Person vielleicht unter Ihrem Schutze? fragte er spöttisch, Ihre Frau oder Tochter scheint sie nach dem Aeußern nicht zu sein. — Wenn es darauf ankommt, sie gegen Zudringlichkeiten sicher zu stellen, antwortete ich in entschlossenem Tone, so steht das junge Frauenzimmer allerdings unter meinem Schutze; das kann<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0021]
So kam der Mittag heran, den wir in einem wohleingerichteten Gasthofe, auf dem halben Wege unserer Fahrt nach der Hauptstadt, zubrachten. Ich speis'te mit Gretchen an dem Wirthstische. Es gefiel mir wohl, die Augen der Gäste öfters auf meine schöne Nachbarin gerichtet zu sehen, welche in ihrem einfachen, fast ärmlichen Anzuge als die Königin der Tafel erschien. Ein junger Offizier, der uns gegenüber saß, suchte sie endlich ins Gespräch zu ziehen. Ich bewunderte die Gewandtheit und den feinen Tact, womit Gretchen den nach und nach zudringlich werdenden Fragen und Anspielungen des jungen Kriegsmannes auszuweichen wußte, ohne sich durch ein verlegenes oder auffallend frostiges Betragen zum Augenmerk der Gesellschaft zu machen. Als wir von der Tafel aufstanden und ich mich nach einem abseits liegenden Zeitungsblatte umsah, trat der Offizier ganz dreist zu Gretchen und begleitete seine Anrede mit einer ziemlich vertraulichen Geberde, indem er sie zierlich an beiden Ellenbogen anfaßte. Sie zog sich mit einer Achtung fordernden Miene zurück, worüber der junge Herr, leicht auflachend, sich in die Brust warf. Ich war indessen zwischen sie getreten und sah den Offizier ernsthaft an. — Steht die junge Person vielleicht unter Ihrem Schutze? fragte er spöttisch, Ihre Frau oder Tochter scheint sie nach dem Aeußern nicht zu sein. — Wenn es darauf ankommt, sie gegen Zudringlichkeiten sicher zu stellen, antwortete ich in entschlossenem Tone, so steht das junge Frauenzimmer allerdings unter meinem Schutze; das kann
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