Bewegung ist das Element des körperlichen Lebens, eine der Grundbedingungen des Gedeihens und der normalen Ent- wickelung. Der natürliche Trieb dazu durchdringt in seiner vollen Lebendigkeit das ganze Wesen des Kindes noch so sehr, dass es fast gar keiner Anregung dazu, sondern nur der Fernhaltung von Hindernissen und einer angemessenen Lei- tung bedarf, um diesem natürlichen Bedürfnisse volles Genüge zu verschaffen.
In der Regel um die Zeit des beginnenden zweiten Le- bensjahres ist die Entwickelung des Kindes soweit vorge- schritten, dass es einen lebhaften Trieb zu aller Art selb- ständigen Bewegungen zu erkennen gibt, zunächst und am meisten zu selbständiger Ortsbewegung -- zum Gehen. Hierbei sind manche Punkte zu beachten, da durch allzu grosse Behilflichkeit und Ungeduld der Mütter und Wärterinnen sich verschiedene nachtheilige Maximen eingeschlichen haben, die besonders in allerhand künstlichen Unterstützungsmitteln und Gehversuchen bestehen.
Bevor überhaupt irgend ein Gehversuch mit dem Kinde vorgenommen wird, muss der Zeitpunkt abgewartet werden, wo es durch immer und immer wiederholte entsprechende Geberden und Bewegungen ganz entschieden zu erkennen gibt, dass es die dazu nöthige Festigkeit und Kraft besitzt. Durch jeden vorzeitigen Gehversuch riskirt man sowohl Verbiegungen der Rückgrats- oder der Fussknochen, welche die der Körper- last entsprechende Festigkeit noch nicht besitzen, als auch übermässige Ausdehnung der Bänder sämmtlicher Rücken- und Fussgelenke und somit Verunstaltung der Gelenkverbin- dungen, weil die zum Schutze der Gelenke beitragenden Mus- keln der erforderlichen Kraft ebenfalls noch ermangeln.
Verwerflich sind alle künstlichen Unterstützungsmittel, wie: Gehkörbe, Gehgürtel, Gehzäume u. s. w., wegen des damit mehr oder weniger verbundenen An- oder Zusammendrückens der Brust. Die einzige unschädliche Unterstützung ist das vorsichtige und gleichmässige Unterfassen beider Schultern des
2.—7. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEWEGUNG.
5) Bewegung.
Bewegung ist das Element des körperlichen Lebens, eine der Grundbedingungen des Gedeihens und der normalen Ent- wickelung. Der natürliche Trieb dazu durchdringt in seiner vollen Lebendigkeit das ganze Wesen des Kindes noch so sehr, dass es fast gar keiner Anregung dazu, sondern nur der Fernhaltung von Hindernissen und einer angemessenen Lei- tung bedarf, um diesem natürlichen Bedürfnisse volles Genüge zu verschaffen.
In der Regel um die Zeit des beginnenden zweiten Le- bensjahres ist die Entwickelung des Kindes soweit vorge- schritten, dass es einen lebhaften Trieb zu aller Art selb- ständigen Bewegungen zu erkennen gibt, zunächst und am meisten zu selbständiger Ortsbewegung — zum Gehen. Hierbei sind manche Punkte zu beachten, da durch allzu grosse Behilflichkeit und Ungeduld der Mütter und Wärterinnen sich verschiedene nachtheilige Maximen eingeschlichen haben, die besonders in allerhand künstlichen Unterstützungsmitteln und Gehversuchen bestehen.
Bevor überhaupt irgend ein Gehversuch mit dem Kinde vorgenommen wird, muss der Zeitpunkt abgewartet werden, wo es durch immer und immer wiederholte entsprechende Geberden und Bewegungen ganz entschieden zu erkennen gibt, dass es die dazu nöthige Festigkeit und Kraft besitzt. Durch jeden vorzeitigen Gehversuch riskirt man sowohl Verbiegungen der Rückgrats- oder der Fussknochen, welche die der Körper- last entsprechende Festigkeit noch nicht besitzen, als auch übermässige Ausdehnung der Bänder sämmtlicher Rücken- und Fussgelenke und somit Verunstaltung der Gelenkverbin- dungen, weil die zum Schutze der Gelenke beitragenden Mus- keln der erforderlichen Kraft ebenfalls noch ermangeln.
Verwerflich sind alle künstlichen Unterstützungsmittel, wie: Gehkörbe, Gehgürtel, Gehzäume u. s. w., wegen des damit mehr oder weniger verbundenen An- oder Zusammendrückens der Brust. Die einzige unschädliche Unterstützung ist das vorsichtige und gleichmässige Unterfassen beider Schultern des
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2.—7. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEWEGUNG.
5) Bewegung.
Bewegung ist das Element des körperlichen Lebens, eine
der Grundbedingungen des Gedeihens und der normalen Ent-
wickelung. Der natürliche Trieb dazu durchdringt in seiner
vollen Lebendigkeit das ganze Wesen des Kindes noch so
sehr, dass es fast gar keiner Anregung dazu, sondern nur der
Fernhaltung von Hindernissen und einer angemessenen Lei-
tung bedarf, um diesem natürlichen Bedürfnisse volles Genüge
zu verschaffen.
In der Regel um die Zeit des beginnenden zweiten Le-
bensjahres ist die Entwickelung des Kindes soweit vorge-
schritten, dass es einen lebhaften Trieb zu aller Art selb-
ständigen Bewegungen zu erkennen gibt, zunächst und am
meisten zu selbständiger Ortsbewegung — zum Gehen.
Hierbei sind manche Punkte zu beachten, da durch allzu grosse
Behilflichkeit und Ungeduld der Mütter und Wärterinnen sich
verschiedene nachtheilige Maximen eingeschlichen haben, die
besonders in allerhand künstlichen Unterstützungsmitteln und
Gehversuchen bestehen.
Bevor überhaupt irgend ein Gehversuch mit dem Kinde
vorgenommen wird, muss der Zeitpunkt abgewartet werden,
wo es durch immer und immer wiederholte entsprechende
Geberden und Bewegungen ganz entschieden zu erkennen gibt,
dass es die dazu nöthige Festigkeit und Kraft besitzt. Durch
jeden vorzeitigen Gehversuch riskirt man sowohl Verbiegungen
der Rückgrats- oder der Fussknochen, welche die der Körper-
last entsprechende Festigkeit noch nicht besitzen, als auch
übermässige Ausdehnung der Bänder sämmtlicher Rücken-
und Fussgelenke und somit Verunstaltung der Gelenkverbin-
dungen, weil die zum Schutze der Gelenke beitragenden Mus-
keln der erforderlichen Kraft ebenfalls noch ermangeln.
Verwerflich sind alle künstlichen Unterstützungsmittel, wie:
Gehkörbe, Gehgürtel, Gehzäume u. s. w., wegen des damit
mehr oder weniger verbundenen An- oder Zusammendrückens
der Brust. Die einzige unschädliche Unterstützung ist das
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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/88>, abgerufen am 03.03.2025.
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