Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.17. -- 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE. weilen sind die Herausforderungen gewissermaassen einfacheAchtungsbezeigungen. Der natürliche edle Drang der Jüng- linge, Gefahren muthig zu bestehen, ist vorhanden -- und Gott sei Dank, dass er noch vorhanden ist --, die Gelegen- heit aber, diesem Drange auf eine dem Gemeinwohle förder- liche Weise zu entsprechen, fehlt ihnen; was ist die Folge? -- sie reiben sich aneinander, um in dieser, freilich verkehrten Weise Befriedigung zu finden. Dass Strafen, selbst die här- testen, dagegen nicht gründlich helfen können, ist durch die Erfahrung zur Genüge bewiesen und auch ganz natürlich, denn statt zu dämpfen, vermehren sie ja nur den Reiz, näm- lich: die Gefahr. Der Gestrafte fühlt sich, anstatt gedemü- thigt, als Märtyrer für eine vermeintlich ehrenvolle Sache durch die Strafe vielmehr gehoben. Der auf andere Weise nicht zu befriedigende Drang des männlichen Ehrgefühles durch- bricht die Schranke des Gesetzes und verirrt sich, wie immer, wenn irgend etwas Edles oder Heiliges in der menschlichen Brust in seiner natürlichen Entwickelung nach allen Seiten hin gehemmt ist. -- Eine gründliche Abhilfe scheint daher auf anderem Wege, in Form eines das Gemeinwohl fördernden Ersatzmittels, gesucht werden zu müssen. Freilich machen die modernen Lebensverhältnisse die Sache schwierig. Sollte nicht vielleicht ein solches Ersatzmittel darin zu finden sein, wenn von Seiten des Staates in allen volkreicheren Ortschaf- ten die Organisation von Rettungs-Mannschaften für Feuers- brünste, Wassersnoth und alle Art allgemeiner Unglücksfälle, von Schutzwehr-Mannschaften zu verschiedenen, aber immer den ernstesten Zwecken u. dgl. m., aus allen Kreisen der mi- litärfreien Jünglings-Altersklasse eingeführt würde? Die Be- theiligung müsste zwanglos bleiben und als reine Ehrensache gelten. Nach den Berufsarten könnten verschiedene, von ein- ander gesonderte Körperschaften (Studirende, Künstler, Kauf- leute, Handwerker etc.) daraus gebildet werden, und diese würden, durch den Wetteifer unter einander theils bei vorkom- menden Fällen des Bedarfes, theils durch die regelmässig zu haltenden Uebungen und Proben, reichliche Gelegenheit fin- den, ihrem jugendlich männlichen Drange, in Muthproben sich 17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE. weilen sind die Herausforderungen gewissermaassen einfacheAchtungsbezeigungen. Der natürliche edle Drang der Jüng- linge, Gefahren muthig zu bestehen, ist vorhanden — und Gott sei Dank, dass er noch vorhanden ist —, die Gelegen- heit aber, diesem Drange auf eine dem Gemeinwohle förder- liche Weise zu entsprechen, fehlt ihnen; was ist die Folge? — sie reiben sich aneinander, um in dieser, freilich verkehrten Weise Befriedigung zu finden. Dass Strafen, selbst die här- testen, dagegen nicht gründlich helfen können, ist durch die Erfahrung zur Genüge bewiesen und auch ganz natürlich, denn statt zu dämpfen, vermehren sie ja nur den Reiz, näm- lich: die Gefahr. Der Gestrafte fühlt sich, anstatt gedemü- thigt, als Märtyrer für eine vermeintlich ehrenvolle Sache durch die Strafe vielmehr gehoben. Der auf andere Weise nicht zu befriedigende Drang des männlichen Ehrgefühles durch- bricht die Schranke des Gesetzes und verirrt sich, wie immer, wenn irgend etwas Edles oder Heiliges in der menschlichen Brust in seiner natürlichen Entwickelung nach allen Seiten hin gehemmt ist. — Eine gründliche Abhilfe scheint daher auf anderem Wege, in Form eines das Gemeinwohl fördernden Ersatzmittels, gesucht werden zu müssen. Freilich machen die modernen Lebensverhältnisse die Sache schwierig. Sollte nicht vielleicht ein solches Ersatzmittel darin zu finden sein, wenn von Seiten des Staates in allen volkreicheren Ortschaf- ten die Organisation von Rettungs-Mannschaften für Feuers- brünste, Wassersnoth und alle Art allgemeiner Unglücksfälle, von Schutzwehr-Mannschaften zu verschiedenen, aber immer den ernstesten Zwecken u. dgl. m., aus allen Kreisen der mi- litärfreien Jünglings-Altersklasse eingeführt würde? Die Be- theiligung müsste zwanglos bleiben und als reine Ehrensache gelten. Nach den Berufsarten könnten verschiedene, von ein- ander gesonderte Körperschaften (Studirende, Künstler, Kauf- leute, Handwerker etc.) daraus gebildet werden, und diese würden, durch den Wetteifer unter einander theils bei vorkom- menden Fällen des Bedarfes, theils durch die regelmässig zu haltenden Uebungen und Proben, reichliche Gelegenheit fin- den, ihrem jugendlich männlichen Drange, in Muthproben sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0301" n="297"/><lb/> <fw place="top" type="header">17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.</fw><lb/> weilen sind die Herausforderungen gewissermaassen einfache<lb/> Achtungsbezeigungen. 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17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.
weilen sind die Herausforderungen gewissermaassen einfache
Achtungsbezeigungen. Der natürliche edle Drang der Jüng-
linge, Gefahren muthig zu bestehen, ist vorhanden — und
Gott sei Dank, dass er noch vorhanden ist —, die Gelegen-
heit aber, diesem Drange auf eine dem Gemeinwohle förder-
liche Weise zu entsprechen, fehlt ihnen; was ist die Folge? —
sie reiben sich aneinander, um in dieser, freilich verkehrten
Weise Befriedigung zu finden. Dass Strafen, selbst die här-
testen, dagegen nicht gründlich helfen können, ist durch die
Erfahrung zur Genüge bewiesen und auch ganz natürlich,
denn statt zu dämpfen, vermehren sie ja nur den Reiz, näm-
lich: die Gefahr. Der Gestrafte fühlt sich, anstatt gedemü-
thigt, als Märtyrer für eine vermeintlich ehrenvolle Sache
durch die Strafe vielmehr gehoben. Der auf andere Weise
nicht zu befriedigende Drang des männlichen Ehrgefühles durch-
bricht die Schranke des Gesetzes und verirrt sich, wie immer,
wenn irgend etwas Edles oder Heiliges in der menschlichen
Brust in seiner natürlichen Entwickelung nach allen Seiten hin
gehemmt ist. — Eine gründliche Abhilfe scheint daher auf
anderem Wege, in Form eines das Gemeinwohl fördernden
Ersatzmittels, gesucht werden zu müssen. Freilich machen
die modernen Lebensverhältnisse die Sache schwierig. Sollte
nicht vielleicht ein solches Ersatzmittel darin zu finden sein,
wenn von Seiten des Staates in allen volkreicheren Ortschaf-
ten die Organisation von Rettungs-Mannschaften für Feuers-
brünste, Wassersnoth und alle Art allgemeiner Unglücksfälle,
von Schutzwehr-Mannschaften zu verschiedenen, aber immer
den ernstesten Zwecken u. dgl. m., aus allen Kreisen der mi-
litärfreien Jünglings-Altersklasse eingeführt würde? Die Be-
theiligung müsste zwanglos bleiben und als reine Ehrensache
gelten. Nach den Berufsarten könnten verschiedene, von ein-
ander gesonderte Körperschaften (Studirende, Künstler, Kauf-
leute, Handwerker etc.) daraus gebildet werden, und diese
würden, durch den Wetteifer unter einander theils bei vorkom-
menden Fällen des Bedarfes, theils durch die regelmässig zu
haltenden Uebungen und Proben, reichliche Gelegenheit fin-
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