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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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17. -- 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.
entwickelt hat, ist der Schönheitssinn soweit gereift, dass er
volle Empfänglichkeit und eindringendes Verständniss hat.
In dem Kindesalter war dies noch nicht der Fall.

Als ein hohes Glück ist es zu betrachten, wenn Empfäng-
lichkeit, äussere Anleitung und Gelegenheit sich vereinigen,
um dem jungen Menschen das Reich des materiellen und ide-
ellen Schönen, wie es Natur und Kunst bieten, zu eröffnen.
Ein unersetzlicher Gewinn für die geistige Veredelung. Doch,
wenn auch die Kunst nur günstigeren Verhältnissen ihre Pfor-
ten öffnet, immer bleibt ja die Natur für Jeden, der sinnig in
ihr leben will, der unverschlossene Schönheitstempel. Sie bie-
tet, bei einiger Kenntniss ihrer Gesetze und Erscheinungen,
im Erhabensten wie im Kleinsten, im Weltall wie im engsten
Zimmer, überall unendlichen Stoff zur Bewunderung ihrer
Schönheiten und ihres grossen Baumeisters. Glücklicher Weise
bedingen die Anforderungen des praktischen Lebens eine im-
mer allgemeinere Beachtung der Naturwissenschaften, wird die
Bekanntschaft mit ihnen für die Mehrzahl der Menschen zu
einem immer unentbehrlicheren Bedürfnisse. Somit wird auch
ihr hoher allgemein veredelnder Einfluss, ihr Werth als hoher
Lebensgenuss und als Hinleitungsmittel zu einer gesunden
Lebensanschauung immer mehr erkannt werden und sich gel-
tend machen.

Wo der Eindruck der Schönheit im Gebiete der Kunst
erreichbar ist, darf er niemals der Jugend vorenthalten werden.
Hier erst gedeiht die Entfaltung der Schönheit zu ihrer wirk-
lichen objectiven Vergeistigung und erlangt den Höhepunkt
ihrer veredelnden Kraft. Glücklich Der, welchem die Mög-
lichkeit geboten ist, die Schönheit in ihren verschiedenen Er-
scheinungsformen, im Bereiche der darstellenden Künste, so-
wie der Musik, der Dichtkunst (mit Einschluss der dramati-
schen Kunst) u. s. w. zu erfassen. Gänzlich wird aber so leicht
Keiner, der sich nicht selbst ausschliesst, zu darben brauchen.
Nach einer oder der anderen Richtung wird sich fast in allen
Fällen der Zugang bahnen lassen. Nur darf nicht unbeach-
tet bleiben, dass das Gesetz der Mässigung auch für die edel-
sten Genüsse geltend ist. Ein maassloses Schwelgen in den

17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.
entwickelt hat, ist der Schönheitssinn soweit gereift, dass er
volle Empfänglichkeit und eindringendes Verständniss hat.
In dem Kindesalter war dies noch nicht der Fall.

Als ein hohes Glück ist es zu betrachten, wenn Empfäng-
lichkeit, äussere Anleitung und Gelegenheit sich vereinigen,
um dem jungen Menschen das Reich des materiellen und ide-
ellen Schönen, wie es Natur und Kunst bieten, zu eröffnen.
Ein unersetzlicher Gewinn für die geistige Veredelung. Doch,
wenn auch die Kunst nur günstigeren Verhältnissen ihre Pfor-
ten öffnet, immer bleibt ja die Natur für Jeden, der sinnig in
ihr leben will, der unverschlossene Schönheitstempel. Sie bie-
tet, bei einiger Kenntniss ihrer Gesetze und Erscheinungen,
im Erhabensten wie im Kleinsten, im Weltall wie im engsten
Zimmer, überall unendlichen Stoff zur Bewunderung ihrer
Schönheiten und ihres grossen Baumeisters. Glücklicher Weise
bedingen die Anforderungen des praktischen Lebens eine im-
mer allgemeinere Beachtung der Naturwissenschaften, wird die
Bekanntschaft mit ihnen für die Mehrzahl der Menschen zu
einem immer unentbehrlicheren Bedürfnisse. Somit wird auch
ihr hoher allgemein veredelnder Einfluss, ihr Werth als hoher
Lebensgenuss und als Hinleitungsmittel zu einer gesunden
Lebensanschauung immer mehr erkannt werden und sich gel-
tend machen.

Wo der Eindruck der Schönheit im Gebiete der Kunst
erreichbar ist, darf er niemals der Jugend vorenthalten werden.
Hier erst gedeiht die Entfaltung der Schönheit zu ihrer wirk-
lichen objectiven Vergeistigung und erlangt den Höhepunkt
ihrer veredelnden Kraft. Glücklich Der, welchem die Mög-
lichkeit geboten ist, die Schönheit in ihren verschiedenen Er-
scheinungsformen, im Bereiche der darstellenden Künste, so-
wie der Musik, der Dichtkunst (mit Einschluss der dramati-
schen Kunst) u. s. w. zu erfassen. Gänzlich wird aber so leicht
Keiner, der sich nicht selbst ausschliesst, zu darben brauchen.
Nach einer oder der anderen Richtung wird sich fast in allen
Fällen der Zugang bahnen lassen. Nur darf nicht unbeach-
tet bleiben, dass das Gesetz der Mässigung auch für die edel-
sten Genüsse geltend ist. Ein maassloses Schwelgen in den

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[292/0296] 17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE. entwickelt hat, ist der Schönheitssinn soweit gereift, dass er volle Empfänglichkeit und eindringendes Verständniss hat. In dem Kindesalter war dies noch nicht der Fall. Als ein hohes Glück ist es zu betrachten, wenn Empfäng- lichkeit, äussere Anleitung und Gelegenheit sich vereinigen, um dem jungen Menschen das Reich des materiellen und ide- ellen Schönen, wie es Natur und Kunst bieten, zu eröffnen. Ein unersetzlicher Gewinn für die geistige Veredelung. Doch, wenn auch die Kunst nur günstigeren Verhältnissen ihre Pfor- ten öffnet, immer bleibt ja die Natur für Jeden, der sinnig in ihr leben will, der unverschlossene Schönheitstempel. Sie bie- tet, bei einiger Kenntniss ihrer Gesetze und Erscheinungen, im Erhabensten wie im Kleinsten, im Weltall wie im engsten Zimmer, überall unendlichen Stoff zur Bewunderung ihrer Schönheiten und ihres grossen Baumeisters. Glücklicher Weise bedingen die Anforderungen des praktischen Lebens eine im- mer allgemeinere Beachtung der Naturwissenschaften, wird die Bekanntschaft mit ihnen für die Mehrzahl der Menschen zu einem immer unentbehrlicheren Bedürfnisse. Somit wird auch ihr hoher allgemein veredelnder Einfluss, ihr Werth als hoher Lebensgenuss und als Hinleitungsmittel zu einer gesunden Lebensanschauung immer mehr erkannt werden und sich gel- tend machen. Wo der Eindruck der Schönheit im Gebiete der Kunst erreichbar ist, darf er niemals der Jugend vorenthalten werden. Hier erst gedeiht die Entfaltung der Schönheit zu ihrer wirk- lichen objectiven Vergeistigung und erlangt den Höhepunkt ihrer veredelnden Kraft. Glücklich Der, welchem die Mög- lichkeit geboten ist, die Schönheit in ihren verschiedenen Er- scheinungsformen, im Bereiche der darstellenden Künste, so- wie der Musik, der Dichtkunst (mit Einschluss der dramati- schen Kunst) u. s. w. zu erfassen. Gänzlich wird aber so leicht Keiner, der sich nicht selbst ausschliesst, zu darben brauchen. Nach einer oder der anderen Richtung wird sich fast in allen Fällen der Zugang bahnen lassen. Nur darf nicht unbeach- tet bleiben, dass das Gesetz der Mässigung auch für die edel- sten Genüsse geltend ist. Ein maassloses Schwelgen in den

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/296>, abgerufen am 22.11.2024.