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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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8. -- 16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IM GESELLIGEN LEBEN.
in diesem Schauvergnügen ein besonderer Reiz liegen, weil
jede Nachäffung eine komische Seite an der Stirne trägt. Aber
sicherlich nur für diejenigen Aeltern, welche ihre Kinder blos
als die Spielpuppen für ihre eigene Unterhaltung betrachten.
Denn die komische Seite der Sache tritt sofort in den Hinter-
grund, wenn wir an die unvermeidlichen ernsten und ver-
derblichen Folgen für die Kinder selbst denken.

Die Kinder treten dabei ganz aus ihrer Sphäre heraus.
Sie haben deshalb nicht einmal einen wirklichen Genuss da-
von, obschon sie anfangs meist davon angelockt werden, weil
der aufgestachelte Ehrgeiz sie blendet. Man treibt dabei einen
traurigen Missbrauch mit dem in jedem Kinde lebhaften Vor-
wärtsstreben, welches nur dann zum wahren Heile führen
kann, wenn es durch verständige Leitung in seinen naturge-
mässen Richtungen und Grenzen erhalten wird. Jeder ver-
frühte Genuss aber ist Verlust für die Gegenwart und für die
Zukunft zugleich. Jener und mancher dem ähnliche Miss-
brauch ist ein schnöder Frevel, eine Versündigung an der
Kinderwelt, ist der directe Weg dazu, die Kinder zu hohlen
Menschen zu machen, welche im 18. -- 20. Jahre -- mit dem
Leben fertig sind, d. h., welche für Alles, und am meisten
für die edlen Reize des Lebens abgestorben sind. Die zarte
Blüthe der Kindlichkeit -- die mit gemessener Schonung ge-
hegt werden sollte, bis sie sich in natürlicher Reife von selbst
entblättert -- wird vorzeitig geknickt und somit grausam
vernichtet. Der ganze Sinn des Kindes wird verdreht, von
seiner Entwickelungsbahn abgelenkt, der edle Kern ver-
schrumpft zu trockener Schale.

Für das reifere kindliche Alter ist das öftere gesellige
Zusammensein mit fremden erwachsenen Personen sehr
wünschenswerth, sofern die Unterhaltungsmittel der Art sind,
dass die Kinder nicht ihrer Sphäre entrückt werden. Die
Kinder finden dadurch, dass sie in verschiedenen und allmälig
weiteren Kreisen sich bewegen lernen, zugleich Gelegenheit,
den Kern edler Gesinnungen, allgemeine Menschenliebe, Acht-
samkeit auf das Wohl Anderer und Hingebung, Zartgefühl
und Freundlichkeit zu bethätigen. Auch sollen sie nunmehr,

8. — 16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IM GESELLIGEN LEBEN.
in diesem Schauvergnügen ein besonderer Reiz liegen, weil
jede Nachäffung eine komische Seite an der Stirne trägt. Aber
sicherlich nur für diejenigen Aeltern, welche ihre Kinder blos
als die Spielpuppen für ihre eigene Unterhaltung betrachten.
Denn die komische Seite der Sache tritt sofort in den Hinter-
grund, wenn wir an die unvermeidlichen ernsten und ver-
derblichen Folgen für die Kinder selbst denken.

Die Kinder treten dabei ganz aus ihrer Sphäre heraus.
Sie haben deshalb nicht einmal einen wirklichen Genuss da-
von, obschon sie anfangs meist davon angelockt werden, weil
der aufgestachelte Ehrgeiz sie blendet. Man treibt dabei einen
traurigen Missbrauch mit dem in jedem Kinde lebhaften Vor-
wärtsstreben, welches nur dann zum wahren Heile führen
kann, wenn es durch verständige Leitung in seinen naturge-
mässen Richtungen und Grenzen erhalten wird. Jeder ver-
frühte Genuss aber ist Verlust für die Gegenwart und für die
Zukunft zugleich. Jener und mancher dem ähnliche Miss-
brauch ist ein schnöder Frevel, eine Versündigung an der
Kinderwelt, ist der directe Weg dazu, die Kinder zu hohlen
Menschen zu machen, welche im 18. — 20. Jahre — mit dem
Leben fertig sind, d. h., welche für Alles, und am meisten
für die edlen Reize des Lebens abgestorben sind. Die zarte
Blüthe der Kindlichkeit — die mit gemessener Schonung ge-
hegt werden sollte, bis sie sich in natürlicher Reife von selbst
entblättert — wird vorzeitig geknickt und somit grausam
vernichtet. Der ganze Sinn des Kindes wird verdreht, von
seiner Entwickelungsbahn abgelenkt, der edle Kern ver-
schrumpft zu trockener Schale.

Für das reifere kindliche Alter ist das öftere gesellige
Zusammensein mit fremden erwachsenen Personen sehr
wünschenswerth, sofern die Unterhaltungsmittel der Art sind,
dass die Kinder nicht ihrer Sphäre entrückt werden. Die
Kinder finden dadurch, dass sie in verschiedenen und allmälig
weiteren Kreisen sich bewegen lernen, zugleich Gelegenheit,
den Kern edler Gesinnungen, allgemeine Menschenliebe, Acht-
samkeit auf das Wohl Anderer und Hingebung, Zartgefühl
und Freundlichkeit zu bethätigen. Auch sollen sie nunmehr,

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[268/0272] 8. — 16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IM GESELLIGEN LEBEN. in diesem Schauvergnügen ein besonderer Reiz liegen, weil jede Nachäffung eine komische Seite an der Stirne trägt. Aber sicherlich nur für diejenigen Aeltern, welche ihre Kinder blos als die Spielpuppen für ihre eigene Unterhaltung betrachten. Denn die komische Seite der Sache tritt sofort in den Hinter- grund, wenn wir an die unvermeidlichen ernsten und ver- derblichen Folgen für die Kinder selbst denken. Die Kinder treten dabei ganz aus ihrer Sphäre heraus. Sie haben deshalb nicht einmal einen wirklichen Genuss da- von, obschon sie anfangs meist davon angelockt werden, weil der aufgestachelte Ehrgeiz sie blendet. Man treibt dabei einen traurigen Missbrauch mit dem in jedem Kinde lebhaften Vor- wärtsstreben, welches nur dann zum wahren Heile führen kann, wenn es durch verständige Leitung in seinen naturge- mässen Richtungen und Grenzen erhalten wird. Jeder ver- frühte Genuss aber ist Verlust für die Gegenwart und für die Zukunft zugleich. Jener und mancher dem ähnliche Miss- brauch ist ein schnöder Frevel, eine Versündigung an der Kinderwelt, ist der directe Weg dazu, die Kinder zu hohlen Menschen zu machen, welche im 18. — 20. Jahre — mit dem Leben fertig sind, d. h., welche für Alles, und am meisten für die edlen Reize des Lebens abgestorben sind. Die zarte Blüthe der Kindlichkeit — die mit gemessener Schonung ge- hegt werden sollte, bis sie sich in natürlicher Reife von selbst entblättert — wird vorzeitig geknickt und somit grausam vernichtet. Der ganze Sinn des Kindes wird verdreht, von seiner Entwickelungsbahn abgelenkt, der edle Kern ver- schrumpft zu trockener Schale. Für das reifere kindliche Alter ist das öftere gesellige Zusammensein mit fremden erwachsenen Personen sehr wünschenswerth, sofern die Unterhaltungsmittel der Art sind, dass die Kinder nicht ihrer Sphäre entrückt werden. Die Kinder finden dadurch, dass sie in verschiedenen und allmälig weiteren Kreisen sich bewegen lernen, zugleich Gelegenheit, den Kern edler Gesinnungen, allgemeine Menschenliebe, Acht- samkeit auf das Wohl Anderer und Hingebung, Zartgefühl und Freundlichkeit zu bethätigen. Auch sollen sie nunmehr,

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/272>, abgerufen am 22.11.2024.