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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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8.--16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
zwischen den Extremen des Geizes und der Verschwendung
auf die rechte Bahn zu leiten. Die damit verbundene Füh-
rung eines Rechnungsbuches, welches monatlich scharf con-
trolirt werden muss, ist als Vorschule für die künftige Selb-
ständigkeit und Lebensordnung ebenfalls recht förderlich.

Dagegen ist die Methode mancher Aeltern oder Erzieher,
auf der Führung eines Tagebuches zu bestehen, nicht zu
billigen. Das kindliche Leben ist noch zu leer an folgewich-
tigen Momenten. Ein solches Tagebuch, wenn es erzwungen
wird, wird bald nichtssagend. Das Kind verliert das Inter-
esse daran, und aus Verlegenheit um Stoff oder aus Scheu
vor schriftlicher Niederlegung eines Geständnisses schleichen
sich wohl gar Unrichtigkeiten und Unwahrheiten ein. Schliess-
lich lässt sich das Einschläfern der Sache doch nicht verhü-
ten, und es ist immer für die Charakterbildung des Kindes be-
denklich, wenn man Etwas anfangen lässt, dessen Durchfüh-
rung von vorn herein unwahrscheinlich ist. Für Alles, was
aus der Vergangenheit des Kindes erforderlichen Falles her-
aufzuholen ist, bietet die Berufung auf das lebendige Tage-
buch, auf das Gedächtniss des Kindes, vollkommen genügen-
den Anhalt.

Für Familienkreise, wo gleichzeitig mehrere, im Alter
nicht zu sehr verschiedene Kinder zu erziehen sind, ist die
Einführung einer in der Kinderwohnstube aufzuhängenden
Rügentafel ein recht wirksames Erziehungsmittel. Auf einer
solchen Tafel sind die Namen der Kinder verzeichnet, bei
denen jedes vorgekommene Vergehen, auch alle kleinen Ver-
gesslichkeiten, Ordnungswidrigkeiten u. s. w. durch einen Strich
oder ein Notizwort bemerkt werden. Am Schlusse jedes Mo-
nates wird im Beisein Aller Abrechnung gehalten, dabei je
nach Umständen Verweis oder Anerkennung ausgesprochen,
und besonders auf die an dem einen oder anderen Kinde haf-
tenden Gewohnheitsfehler oder Schwächen nachdrücklich hin-
gewiesen. Es ist in der That überraschend, welche mora-
lische Kraft eine solche Tafel auf alle, selbst die übrigens
gleichgiltigeren Kinder namentlich dadurch ausübt, dass sie
dieselbe immer vor Augen haben, und dass jeder einzelne

8.—16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
zwischen den Extremen des Geizes und der Verschwendung
auf die rechte Bahn zu leiten. Die damit verbundene Füh-
rung eines Rechnungsbuches, welches monatlich scharf con-
trolirt werden muss, ist als Vorschule für die künftige Selb-
ständigkeit und Lebensordnung ebenfalls recht förderlich.

Dagegen ist die Methode mancher Aeltern oder Erzieher,
auf der Führung eines Tagebuches zu bestehen, nicht zu
billigen. Das kindliche Leben ist noch zu leer an folgewich-
tigen Momenten. Ein solches Tagebuch, wenn es erzwungen
wird, wird bald nichtssagend. Das Kind verliert das Inter-
esse daran, und aus Verlegenheit um Stoff oder aus Scheu
vor schriftlicher Niederlegung eines Geständnisses schleichen
sich wohl gar Unrichtigkeiten und Unwahrheiten ein. Schliess-
lich lässt sich das Einschläfern der Sache doch nicht verhü-
ten, und es ist immer für die Charakterbildung des Kindes be-
denklich, wenn man Etwas anfangen lässt, dessen Durchfüh-
rung von vorn herein unwahrscheinlich ist. Für Alles, was
aus der Vergangenheit des Kindes erforderlichen Falles her-
aufzuholen ist, bietet die Berufung auf das lebendige Tage-
buch, auf das Gedächtniss des Kindes, vollkommen genügen-
den Anhalt.

Für Familienkreise, wo gleichzeitig mehrere, im Alter
nicht zu sehr verschiedene Kinder zu erziehen sind, ist die
Einführung einer in der Kinderwohnstube aufzuhängenden
Rügentafel ein recht wirksames Erziehungsmittel. Auf einer
solchen Tafel sind die Namen der Kinder verzeichnet, bei
denen jedes vorgekommene Vergehen, auch alle kleinen Ver-
gesslichkeiten, Ordnungswidrigkeiten u. s. w. durch einen Strich
oder ein Notizwort bemerkt werden. Am Schlusse jedes Mo-
nates wird im Beisein Aller Abrechnung gehalten, dabei je
nach Umständen Verweis oder Anerkennung ausgesprochen,
und besonders auf die an dem einen oder anderen Kinde haf-
tenden Gewohnheitsfehler oder Schwächen nachdrücklich hin-
gewiesen. Es ist in der That überraschend, welche mora-
lische Kraft eine solche Tafel auf alle, selbst die übrigens
gleichgiltigeren Kinder namentlich dadurch ausübt, dass sie
dieselbe immer vor Augen haben, und dass jeder einzelne

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[264/0268] 8.—16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN. zwischen den Extremen des Geizes und der Verschwendung auf die rechte Bahn zu leiten. Die damit verbundene Füh- rung eines Rechnungsbuches, welches monatlich scharf con- trolirt werden muss, ist als Vorschule für die künftige Selb- ständigkeit und Lebensordnung ebenfalls recht förderlich. Dagegen ist die Methode mancher Aeltern oder Erzieher, auf der Führung eines Tagebuches zu bestehen, nicht zu billigen. Das kindliche Leben ist noch zu leer an folgewich- tigen Momenten. Ein solches Tagebuch, wenn es erzwungen wird, wird bald nichtssagend. Das Kind verliert das Inter- esse daran, und aus Verlegenheit um Stoff oder aus Scheu vor schriftlicher Niederlegung eines Geständnisses schleichen sich wohl gar Unrichtigkeiten und Unwahrheiten ein. Schliess- lich lässt sich das Einschläfern der Sache doch nicht verhü- ten, und es ist immer für die Charakterbildung des Kindes be- denklich, wenn man Etwas anfangen lässt, dessen Durchfüh- rung von vorn herein unwahrscheinlich ist. Für Alles, was aus der Vergangenheit des Kindes erforderlichen Falles her- aufzuholen ist, bietet die Berufung auf das lebendige Tage- buch, auf das Gedächtniss des Kindes, vollkommen genügen- den Anhalt. Für Familienkreise, wo gleichzeitig mehrere, im Alter nicht zu sehr verschiedene Kinder zu erziehen sind, ist die Einführung einer in der Kinderwohnstube aufzuhängenden Rügentafel ein recht wirksames Erziehungsmittel. Auf einer solchen Tafel sind die Namen der Kinder verzeichnet, bei denen jedes vorgekommene Vergehen, auch alle kleinen Ver- gesslichkeiten, Ordnungswidrigkeiten u. s. w. durch einen Strich oder ein Notizwort bemerkt werden. Am Schlusse jedes Mo- nates wird im Beisein Aller Abrechnung gehalten, dabei je nach Umständen Verweis oder Anerkennung ausgesprochen, und besonders auf die an dem einen oder anderen Kinde haf- tenden Gewohnheitsfehler oder Schwächen nachdrücklich hin- gewiesen. Es ist in der That überraschend, welche mora- lische Kraft eine solche Tafel auf alle, selbst die übrigens gleichgiltigeren Kinder namentlich dadurch ausübt, dass sie dieselbe immer vor Augen haben, und dass jeder einzelne

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/268>, abgerufen am 22.11.2024.