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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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8. -- 16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IM UNTERRICHTE.
möglich vom Boden der Anschaulichkeit aus und in seiner
Anwendung für's Leben zu entwickeln, überhaupt auch auf
systematische Uebung und Schärfung der Sinnes-
organe, der Beobachtungsfähigkeit, in jeder Weise
Bedacht zu nehmen,
ist zwar in neuerer Zeit allgemein an-
erkannt, aber noch lange nicht allgemein und bis in's Einzelne
durchgreifend genug befolgt. Die Anschaulichkeits-Methode
ist noch vieler weiterer Vervollkommnungen fähig, und die
rüstig aufstrebende Pädagogik wird darin sicherlich eine ihrer
wichtigsten Aufgaben erkennen. So bietet z. B. die Symbo-
lik, als Mittel der Verarbeitung und Veredelung der rohen
Natur- und Sinneneindrücke, ferner die Anknüpfung verschie-
dener Unterrichtsgegenstände an die Form der Erzählung von
Lebensbildern u. s. w. ein noch immer nicht genug ausgebeu-
tetes Feld der Benutzung dar.

Ein Punkt aus dem ärztlich-psychologischen Gesichtskreise
möchte dabei berücksichtigungswerth erscheinen. Danach würde
der natürlichen Entwickelung am entsprechendsten ein solcher
Unterrichtsgang sein, wobei die strengere Anschaulichkeits-
Methode in möglichst ausschliesslicher und durchgängiger Weise
bis wenigstens gegen das 12. Lebensjahr hin fortgeführt würde.
Obgleich die Haupt-Entwickelungszeit noch fern liegt, so fällt
doch in diese Zeit ein zwar viel weniger auffälliger, gleichwohl
entschiedener Wendepunkt der Entwickelung. Er gibt sich in
schon früher erwähnten körperlichen Beziehungen, aber auch
auf geistiger Seite zu erkennen. Zunächst beginnt die Blüthe-
zeit der Gedächtnisskraft, daher jetzt methodische und allmä-
lig gesteigerte Uebungen derselben ganz an der Zeit sind.
Sodann dringen die Gedanken auf einmal merklich tiefer, das
eingesammelte sinnliche Vorstellungs-Material wird gründlicher
zerlegt und verarbeitet -- das höhere Abstractionsvermögen
entwickelt sich. Jetzt erst kann daher dasjenige Unterrichts-
Material, was dem Boden der Anschaulichkeit ferner gerückt ist
oder für welches er gar nicht gewonnen werden kann, das Ab-
stracte überhaupt, alles Ausser- und Uebersinnliche, mit wahrhaft
gedeihlichem Erfolge geboten werden. Es kann in der ganzen
Länge vor jenem Zeitpunkte natürlich nicht alles Abstracte

8. — 16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IM UNTERRICHTE.
möglich vom Boden der Anschaulichkeit aus und in seiner
Anwendung für's Leben zu entwickeln, überhaupt auch auf
systematische Uebung und Schärfung der Sinnes-
organe, der Beobachtungsfähigkeit, in jeder Weise
Bedacht zu nehmen,
ist zwar in neuerer Zeit allgemein an-
erkannt, aber noch lange nicht allgemein und bis in's Einzelne
durchgreifend genug befolgt. Die Anschaulichkeits-Methode
ist noch vieler weiterer Vervollkommnungen fähig, und die
rüstig aufstrebende Pädagogik wird darin sicherlich eine ihrer
wichtigsten Aufgaben erkennen. So bietet z. B. die Symbo-
lik, als Mittel der Verarbeitung und Veredelung der rohen
Natur- und Sinneneindrücke, ferner die Anknüpfung verschie-
dener Unterrichtsgegenstände an die Form der Erzählung von
Lebensbildern u. s. w. ein noch immer nicht genug ausgebeu-
tetes Feld der Benutzung dar.

Ein Punkt aus dem ärztlich-psychologischen Gesichtskreise
möchte dabei berücksichtigungswerth erscheinen. Danach würde
der natürlichen Entwickelung am entsprechendsten ein solcher
Unterrichtsgang sein, wobei die strengere Anschaulichkeits-
Methode in möglichst ausschliesslicher und durchgängiger Weise
bis wenigstens gegen das 12. Lebensjahr hin fortgeführt würde.
Obgleich die Haupt-Entwickelungszeit noch fern liegt, so fällt
doch in diese Zeit ein zwar viel weniger auffälliger, gleichwohl
entschiedener Wendepunkt der Entwickelung. Er gibt sich in
schon früher erwähnten körperlichen Beziehungen, aber auch
auf geistiger Seite zu erkennen. Zunächst beginnt die Blüthe-
zeit der Gedächtnisskraft, daher jetzt methodische und allmä-
lig gesteigerte Uebungen derselben ganz an der Zeit sind.
Sodann dringen die Gedanken auf einmal merklich tiefer, das
eingesammelte sinnliche Vorstellungs-Material wird gründlicher
zerlegt und verarbeitet — das höhere Abstractionsvermögen
entwickelt sich. Jetzt erst kann daher dasjenige Unterrichts-
Material, was dem Boden der Anschaulichkeit ferner gerückt ist
oder für welches er gar nicht gewonnen werden kann, das Ab-
stracte überhaupt, alles Ausser- und Uebersinnliche, mit wahrhaft
gedeihlichem Erfolge geboten werden. Es kann in der ganzen
Länge vor jenem Zeitpunkte natürlich nicht alles Abstracte

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[231/0235] 8. — 16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IM UNTERRICHTE. möglich vom Boden der Anschaulichkeit aus und in seiner Anwendung für's Leben zu entwickeln, überhaupt auch auf systematische Uebung und Schärfung der Sinnes- organe, der Beobachtungsfähigkeit, in jeder Weise Bedacht zu nehmen, ist zwar in neuerer Zeit allgemein an- erkannt, aber noch lange nicht allgemein und bis in's Einzelne durchgreifend genug befolgt. Die Anschaulichkeits-Methode ist noch vieler weiterer Vervollkommnungen fähig, und die rüstig aufstrebende Pädagogik wird darin sicherlich eine ihrer wichtigsten Aufgaben erkennen. So bietet z. B. die Symbo- lik, als Mittel der Verarbeitung und Veredelung der rohen Natur- und Sinneneindrücke, ferner die Anknüpfung verschie- dener Unterrichtsgegenstände an die Form der Erzählung von Lebensbildern u. s. w. ein noch immer nicht genug ausgebeu- tetes Feld der Benutzung dar. Ein Punkt aus dem ärztlich-psychologischen Gesichtskreise möchte dabei berücksichtigungswerth erscheinen. Danach würde der natürlichen Entwickelung am entsprechendsten ein solcher Unterrichtsgang sein, wobei die strengere Anschaulichkeits- Methode in möglichst ausschliesslicher und durchgängiger Weise bis wenigstens gegen das 12. Lebensjahr hin fortgeführt würde. Obgleich die Haupt-Entwickelungszeit noch fern liegt, so fällt doch in diese Zeit ein zwar viel weniger auffälliger, gleichwohl entschiedener Wendepunkt der Entwickelung. Er gibt sich in schon früher erwähnten körperlichen Beziehungen, aber auch auf geistiger Seite zu erkennen. Zunächst beginnt die Blüthe- zeit der Gedächtnisskraft, daher jetzt methodische und allmä- lig gesteigerte Uebungen derselben ganz an der Zeit sind. Sodann dringen die Gedanken auf einmal merklich tiefer, das eingesammelte sinnliche Vorstellungs-Material wird gründlicher zerlegt und verarbeitet — das höhere Abstractionsvermögen entwickelt sich. Jetzt erst kann daher dasjenige Unterrichts- Material, was dem Boden der Anschaulichkeit ferner gerückt ist oder für welches er gar nicht gewonnen werden kann, das Ab- stracte überhaupt, alles Ausser- und Uebersinnliche, mit wahrhaft gedeihlichem Erfolge geboten werden. Es kann in der ganzen Länge vor jenem Zeitpunkte natürlich nicht alles Abstracte

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/235>, abgerufen am 22.11.2024.