lends der beabsichtigte Eindruck des Schönen in's Gegentheil. Es ist Unsinn und Frevel, sich auf Kosten der Gesund- heit seine Glieder anders formen zu wollen, als sie von Na- tur gebildet sind.
Es muss daher als eine ausnahmslose Regel gelten, dass die Füsse durch die Art ihrer Bekleidung auf keinerlei Weise in der Freiheit ihres Gebrauches beeinträchtigt werden. So- wohl die Strümpfe (deren Bänder weich elastisch sein müssen, weil sonst Säftestockungen und Blutaderknoten an den Füssen veranlasst werden), als ganz besonders die Schuhe, Stiefeln oder was sonst den Fuss umschliesst, müssen stets eine solche Weite haben, dass der Fuss an keiner Stelle Reibung oder Druck erleidet, und dass jede einzelne Fuss- zehe ihre freie Beweglichkeit behält. Hat die Fuss- bekleidung dieses Erforderniss nicht, so darf man sie nicht einen Tag, ja selbst nicht eine Stunde an den Füssen dulden. Besonders erleidet der weichere kindliche Fuss durch unpas- sende Bekleidung selbst bei kurzdauerndem Gebrauche lange nachwirkende üble Folgen und ist ausserdem bei kalter Jahres- zeit bekanntlich auch dem Erfrieren sehr leicht unterworfen.
Man findet oft, dass in Bezug auf das Maass des Kinder- schuhwerkes dem während des Gebrauches zu erwartenden Wachsthume nicht genügend Rechnung getragen wird. Auch ist das jedem einzelnen Fusse genau anzupassende Maass nicht am gehobenen Fusse, wie es die Schuhmacher zu thun pfle- gen, sondern nur am aufgesetzten Fusse abzunehmen, weil der Fuss durch die auf ihn fallende Körperlast in seiner Form und seinen Umrissen verschiedentlich verändert wird, je nach der grösseren oder geringeren Nachgiebigkeit der Fussknochen- verbindungen und je nach der Verschiedenheit der Körperlast selbst. Man hüte sich übrigens, der manchen Schuhmachern sehr geläufigen Vertröstung Gehör zu schenken: dass ein neuer Schuh oder Stiefel, wenn er anfangs auch etwas eng sei, durch allmäliges Austreten die bequeme Weite erlangen werde. Ein dem Fusse unschädliches, richtig passendes Schuhwerk muss gleich beim erstmaligen Anziehen die volle Bequemlich- keit haben. Ausserdem taugt es nichts, sondern verdirbt den
8. — 16. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEKLEIDUNG.
lends der beabsichtigte Eindruck des Schönen in's Gegentheil. Es ist Unsinn und Frevel, sich auf Kosten der Gesund- heit seine Glieder anders formen zu wollen, als sie von Na- tur gebildet sind.
Es muss daher als eine ausnahmslose Regel gelten, dass die Füsse durch die Art ihrer Bekleidung auf keinerlei Weise in der Freiheit ihres Gebrauches beeinträchtigt werden. So- wohl die Strümpfe (deren Bänder weich elastisch sein müssen, weil sonst Säftestockungen und Blutaderknoten an den Füssen veranlasst werden), als ganz besonders die Schuhe, Stiefeln oder was sonst den Fuss umschliesst, müssen stets eine solche Weite haben, dass der Fuss an keiner Stelle Reibung oder Druck erleidet, und dass jede einzelne Fuss- zehe ihre freie Beweglichkeit behält. Hat die Fuss- bekleidung dieses Erforderniss nicht, so darf man sie nicht einen Tag, ja selbst nicht eine Stunde an den Füssen dulden. Besonders erleidet der weichere kindliche Fuss durch unpas- sende Bekleidung selbst bei kurzdauerndem Gebrauche lange nachwirkende üble Folgen und ist ausserdem bei kalter Jahres- zeit bekanntlich auch dem Erfrieren sehr leicht unterworfen.
Man findet oft, dass in Bezug auf das Maass des Kinder- schuhwerkes dem während des Gebrauches zu erwartenden Wachsthume nicht genügend Rechnung getragen wird. Auch ist das jedem einzelnen Fusse genau anzupassende Maass nicht am gehobenen Fusse, wie es die Schuhmacher zu thun pfle- gen, sondern nur am aufgesetzten Fusse abzunehmen, weil der Fuss durch die auf ihn fallende Körperlast in seiner Form und seinen Umrissen verschiedentlich verändert wird, je nach der grösseren oder geringeren Nachgiebigkeit der Fussknochen- verbindungen und je nach der Verschiedenheit der Körperlast selbst. Man hüte sich übrigens, der manchen Schuhmachern sehr geläufigen Vertröstung Gehör zu schenken: dass ein neuer Schuh oder Stiefel, wenn er anfangs auch etwas eng sei, durch allmäliges Austreten die bequeme Weite erlangen werde. Ein dem Fusse unschädliches, richtig passendes Schuhwerk muss gleich beim erstmaligen Anziehen die volle Bequemlich- keit haben. Ausserdem taugt es nichts, sondern verdirbt den
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8. — 16. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEKLEIDUNG.
lends der beabsichtigte Eindruck des Schönen in's Gegentheil.
Es ist Unsinn und Frevel, sich auf Kosten der Gesund-
heit seine Glieder anders formen zu wollen, als sie von Na-
tur gebildet sind.
Es muss daher als eine ausnahmslose Regel gelten, dass
die Füsse durch die Art ihrer Bekleidung auf keinerlei Weise
in der Freiheit ihres Gebrauches beeinträchtigt werden. So-
wohl die Strümpfe (deren Bänder weich elastisch sein müssen,
weil sonst Säftestockungen und Blutaderknoten an den Füssen
veranlasst werden), als ganz besonders die Schuhe, Stiefeln
oder was sonst den Fuss umschliesst, müssen stets eine solche
Weite haben, dass der Fuss an keiner Stelle Reibung
oder Druck erleidet, und dass jede einzelne Fuss-
zehe ihre freie Beweglichkeit behält. Hat die Fuss-
bekleidung dieses Erforderniss nicht, so darf man sie nicht
einen Tag, ja selbst nicht eine Stunde an den Füssen dulden.
Besonders erleidet der weichere kindliche Fuss durch unpas-
sende Bekleidung selbst bei kurzdauerndem Gebrauche lange
nachwirkende üble Folgen und ist ausserdem bei kalter Jahres-
zeit bekanntlich auch dem Erfrieren sehr leicht unterworfen.
Man findet oft, dass in Bezug auf das Maass des Kinder-
schuhwerkes dem während des Gebrauches zu erwartenden
Wachsthume nicht genügend Rechnung getragen wird. Auch ist
das jedem einzelnen Fusse genau anzupassende Maass nicht
am gehobenen Fusse, wie es die Schuhmacher zu thun pfle-
gen, sondern nur am aufgesetzten Fusse abzunehmen, weil der
Fuss durch die auf ihn fallende Körperlast in seiner Form
und seinen Umrissen verschiedentlich verändert wird, je nach
der grösseren oder geringeren Nachgiebigkeit der Fussknochen-
verbindungen und je nach der Verschiedenheit der Körperlast
selbst. Man hüte sich übrigens, der manchen Schuhmachern
sehr geläufigen Vertröstung Gehör zu schenken: dass ein neuer
Schuh oder Stiefel, wenn er anfangs auch etwas eng sei,
durch allmäliges Austreten die bequeme Weite erlangen werde.
Ein dem Fusse unschädliches, richtig passendes Schuhwerk
muss gleich beim erstmaligen Anziehen die volle Bequemlich-
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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/198>, abgerufen am 25.07.2024.
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