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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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2.--7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.

Nun ist aber wohl zu erwägen, dass das Kind zwar zu
den durch direct sinnliche Wahrnehmung eingeführten Vorstel-
lungen, zu den daraus abzuleitenden Begriffen u. s. w. mit Hilfe
der Sprache ziemlich schnell gelangt, dass es aber, um erst das
eingesammelte Material gehörig zu verarbeiten, auf dieser Stufe
der Begriffsbildung lange stehen bleibt (in der Regel bis zum
siebenten, achten Jahre hin), ehe es weiter, ehe es zur Bil-
dung abstracter -- ausser- und übersinnlicher -- Begriffe,
denen keine gegenständliche, durch die Sinne aufnehmbare Vor-
stellung zu Grunde liegt, übergehen kann. Dies ist in pädago-
gischer Hinsicht ausserordentlich wichtig und wird gleichwohl
unglaublich oft übersehen.

Die praktischen Folgerungen aus diesen Betrachtungen
ergeben sich leicht. Wir werden vor allen Dingen die Or-
gane der Auffassung, die Sinnesorgane, auf alle
Weise zu üben und zu schärfen suchen müssen,
um
dem Kinde zu allseitig richtigen Gedankenbildern zu verhelfen.
Dazu dient die fleissige Hinlenkung der kindlichen Aufmerksam-
keit auf scharfe und bis in's Kleine gehende Beobachtung aller
(grosser und kleiner, naher und ferner) Gegenstände, auf
Vergleiche derselben unter einander (Aufsuchung aller Aehn-
lichkeiten und Unterschiede), auf Abschätzung der Entfer-
nungen durch Auge und Ohr, besonders auf Spaziergän-
gen, indem man, sobald das Kind einige Zahlenbegriffe hat,
z. B. kleine Entfernungen erst von ihm selbst nach Schrit-
ten abschätzen und dann ausschreiten lässt u. dgl. m. So-
dann werden wir alle bemerkbar werdenden Unklarheiten
der kindlichen Auffassung berichtigen
und sorgfältig
darauf halten müssen, dass das Kind sich gewöhne, seinen
Gedanken einen klaren und bestimmten Ausdruck zu
geben
.

Im belehrenden Umgange mit Kindern muss man zwar
zu ihnen soweit herabsteigen, als nöthig ist um ihre Fassungs-
kraft zu erreichen, doch aber es ihnen nicht zu bequem machen
wollen, d. h. man muss den Standpunkt festhalten, wobei sie
mit ihrer Denkkraft sich immer noch etwas heraufzuarbeiten
haben. Diese Mitwirkung bei der gewährten geistigen Ernäh-

2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.

Nun ist aber wohl zu erwägen, dass das Kind zwar zu
den durch direct sinnliche Wahrnehmung eingeführten Vorstel-
lungen, zu den daraus abzuleitenden Begriffen u. s. w. mit Hilfe
der Sprache ziemlich schnell gelangt, dass es aber, um erst das
eingesammelte Material gehörig zu verarbeiten, auf dieser Stufe
der Begriffsbildung lange stehen bleibt (in der Regel bis zum
siebenten, achten Jahre hin), ehe es weiter, ehe es zur Bil-
dung abstracter — ausser- und übersinnlicher — Begriffe,
denen keine gegenständliche, durch die Sinne aufnehmbare Vor-
stellung zu Grunde liegt, übergehen kann. Dies ist in pädago-
gischer Hinsicht ausserordentlich wichtig und wird gleichwohl
unglaublich oft übersehen.

Die praktischen Folgerungen aus diesen Betrachtungen
ergeben sich leicht. Wir werden vor allen Dingen die Or-
gane der Auffassung, die Sinnesorgane, auf alle
Weise zu üben und zu schärfen suchen müssen,
um
dem Kinde zu allseitig richtigen Gedankenbildern zu verhelfen.
Dazu dient die fleissige Hinlenkung der kindlichen Aufmerksam-
keit auf scharfe und bis in's Kleine gehende Beobachtung aller
(grosser und kleiner, naher und ferner) Gegenstände, auf
Vergleiche derselben unter einander (Aufsuchung aller Aehn-
lichkeiten und Unterschiede), auf Abschätzung der Entfer-
nungen durch Auge und Ohr, besonders auf Spaziergän-
gen, indem man, sobald das Kind einige Zahlenbegriffe hat,
z. B. kleine Entfernungen erst von ihm selbst nach Schrit-
ten abschätzen und dann ausschreiten lässt u. dgl. m. So-
dann werden wir alle bemerkbar werdenden Unklarheiten
der kindlichen Auffassung berichtigen
und sorgfältig
darauf halten müssen, dass das Kind sich gewöhne, seinen
Gedanken einen klaren und bestimmten Ausdruck zu
geben
.

Im belehrenden Umgange mit Kindern muss man zwar
zu ihnen soweit herabsteigen, als nöthig ist um ihre Fassungs-
kraft zu erreichen, doch aber es ihnen nicht zu bequem machen
wollen, d. h. man muss den Standpunkt festhalten, wobei sie
mit ihrer Denkkraft sich immer noch etwas heraufzuarbeiten
haben. Diese Mitwirkung bei der gewährten geistigen Ernäh-

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[153/0157] 2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN. Nun ist aber wohl zu erwägen, dass das Kind zwar zu den durch direct sinnliche Wahrnehmung eingeführten Vorstel- lungen, zu den daraus abzuleitenden Begriffen u. s. w. mit Hilfe der Sprache ziemlich schnell gelangt, dass es aber, um erst das eingesammelte Material gehörig zu verarbeiten, auf dieser Stufe der Begriffsbildung lange stehen bleibt (in der Regel bis zum siebenten, achten Jahre hin), ehe es weiter, ehe es zur Bil- dung abstracter — ausser- und übersinnlicher — Begriffe, denen keine gegenständliche, durch die Sinne aufnehmbare Vor- stellung zu Grunde liegt, übergehen kann. Dies ist in pädago- gischer Hinsicht ausserordentlich wichtig und wird gleichwohl unglaublich oft übersehen. Die praktischen Folgerungen aus diesen Betrachtungen ergeben sich leicht. Wir werden vor allen Dingen die Or- gane der Auffassung, die Sinnesorgane, auf alle Weise zu üben und zu schärfen suchen müssen, um dem Kinde zu allseitig richtigen Gedankenbildern zu verhelfen. Dazu dient die fleissige Hinlenkung der kindlichen Aufmerksam- keit auf scharfe und bis in's Kleine gehende Beobachtung aller (grosser und kleiner, naher und ferner) Gegenstände, auf Vergleiche derselben unter einander (Aufsuchung aller Aehn- lichkeiten und Unterschiede), auf Abschätzung der Entfer- nungen durch Auge und Ohr, besonders auf Spaziergän- gen, indem man, sobald das Kind einige Zahlenbegriffe hat, z. B. kleine Entfernungen erst von ihm selbst nach Schrit- ten abschätzen und dann ausschreiten lässt u. dgl. m. So- dann werden wir alle bemerkbar werdenden Unklarheiten der kindlichen Auffassung berichtigen und sorgfältig darauf halten müssen, dass das Kind sich gewöhne, seinen Gedanken einen klaren und bestimmten Ausdruck zu geben. Im belehrenden Umgange mit Kindern muss man zwar zu ihnen soweit herabsteigen, als nöthig ist um ihre Fassungs- kraft zu erreichen, doch aber es ihnen nicht zu bequem machen wollen, d. h. man muss den Standpunkt festhalten, wobei sie mit ihrer Denkkraft sich immer noch etwas heraufzuarbeiten haben. Diese Mitwirkung bei der gewährten geistigen Ernäh-

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/157>, abgerufen am 21.11.2024.