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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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2.--7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
davon Kenntniss geben und zugleich vorbildlich zeigen, wie
der Mensch jedes Unglück würdig tragen lernen muss. Ganz
verkehrt aber und geradezu den Charakter des Kindes schwä-
chend ist es, wenn die Aeltern, wie so häufig, das Kind über
einen erlittenen Verlust dadurch trösten, dass sie bemüht sind
schleunigstmöglich einen Ersatz zu schaffen. Man hüte sich
davor ganz entschieden. Die Lehre darf man dem Kinde
nicht ersparen oder vielmehr entziehen wollen. Das Kind
muss den Verlust in einer seinem Alter angemessenen würdi-
gen Weise tragen lernen. Erst wenn es dies bewiesen hat,
mag ihm ein Ersatz werden. Aber auch dann ist es besser,
den Ersatz unter der Form eines neuen Geschenkes, ohne Be-
zugnahme auf den Verlust, zu gewähren. Gilt dies von allen
Verlusten, auch den unverschuldeten, so ist um so strenger
bei den irgendwie verschuldeten darauf zu halten.

Bei unbedeutenderen, vorübergehenden körperlichen
Schmerzen lehre man die Kinder das Ertragen durch kräfti-
genden, schnell ablenkenden Zuspruch. Bei ernsteren Schmer-
zen und Leiden bezeige man seine liebevolle Theilnahme, aber
durchaus nur in aufrichtender, kräftigender Weise, ja nicht
durch leeres Klagen und Bedauern. Das Klagen schwächt.
Bei unverschuldeten einfach verdriesslichen Vorfällen ist
ein leichtes und heiteres Darüberhingehen, in welches die
Kinder gern mit einstimmen, das Beste. Müssen Schwierig-
keiten
und Unannehmlichkeiten in activer Weise über-
wunden werden, so ist die Hauptregel, die Kinder schnell
und energisch
(durch kräftigen Zuspruch) durch und dar-
über hinweg zu führen.
Durch Zögern, langes Anschauen
oder Umkehren wächst die Schwierigkeit in der Einbildung
der Kinder zu einem unüberwindlichen Riesen. Schnelle Ueber-
windung gibt das erhebende Gefühl des Sieges, welches den
Muth für künftige Fälle kräftigt.

Nebst der Liebe und der sittlichen Willenskraft haben
wir als die dritte Grundkraft des menschlichen Geistes zu er-
kennen die Denkkraft.

Die Quelle, aus welcher die geistigen Kräfte, und unter
ihnen ganz besonders die Denkkraft, ihre erste Nahrung und

2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
davon Kenntniss geben und zugleich vorbildlich zeigen, wie
der Mensch jedes Unglück würdig tragen lernen muss. Ganz
verkehrt aber und geradezu den Charakter des Kindes schwä-
chend ist es, wenn die Aeltern, wie so häufig, das Kind über
einen erlittenen Verlust dadurch trösten, dass sie bemüht sind
schleunigstmöglich einen Ersatz zu schaffen. Man hüte sich
davor ganz entschieden. Die Lehre darf man dem Kinde
nicht ersparen oder vielmehr entziehen wollen. Das Kind
muss den Verlust in einer seinem Alter angemessenen würdi-
gen Weise tragen lernen. Erst wenn es dies bewiesen hat,
mag ihm ein Ersatz werden. Aber auch dann ist es besser,
den Ersatz unter der Form eines neuen Geschenkes, ohne Be-
zugnahme auf den Verlust, zu gewähren. Gilt dies von allen
Verlusten, auch den unverschuldeten, so ist um so strenger
bei den irgendwie verschuldeten darauf zu halten.

Bei unbedeutenderen, vorübergehenden körperlichen
Schmerzen lehre man die Kinder das Ertragen durch kräfti-
genden, schnell ablenkenden Zuspruch. Bei ernsteren Schmer-
zen und Leiden bezeige man seine liebevolle Theilnahme, aber
durchaus nur in aufrichtender, kräftigender Weise, ja nicht
durch leeres Klagen und Bedauern. Das Klagen schwächt.
Bei unverschuldeten einfach verdriesslichen Vorfällen ist
ein leichtes und heiteres Darüberhingehen, in welches die
Kinder gern mit einstimmen, das Beste. Müssen Schwierig-
keiten
und Unannehmlichkeiten in activer Weise über-
wunden werden, so ist die Hauptregel, die Kinder schnell
und energisch
(durch kräftigen Zuspruch) durch und dar-
über hinweg zu führen.
Durch Zögern, langes Anschauen
oder Umkehren wächst die Schwierigkeit in der Einbildung
der Kinder zu einem unüberwindlichen Riesen. Schnelle Ueber-
windung gibt das erhebende Gefühl des Sieges, welches den
Muth für künftige Fälle kräftigt.

Nebst der Liebe und der sittlichen Willenskraft haben
wir als die dritte Grundkraft des menschlichen Geistes zu er-
kennen die Denkkraft.

Die Quelle, aus welcher die geistigen Kräfte, und unter
ihnen ganz besonders die Denkkraft, ihre erste Nahrung und

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[151/0155] 2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN. davon Kenntniss geben und zugleich vorbildlich zeigen, wie der Mensch jedes Unglück würdig tragen lernen muss. Ganz verkehrt aber und geradezu den Charakter des Kindes schwä- chend ist es, wenn die Aeltern, wie so häufig, das Kind über einen erlittenen Verlust dadurch trösten, dass sie bemüht sind schleunigstmöglich einen Ersatz zu schaffen. Man hüte sich davor ganz entschieden. Die Lehre darf man dem Kinde nicht ersparen oder vielmehr entziehen wollen. Das Kind muss den Verlust in einer seinem Alter angemessenen würdi- gen Weise tragen lernen. Erst wenn es dies bewiesen hat, mag ihm ein Ersatz werden. Aber auch dann ist es besser, den Ersatz unter der Form eines neuen Geschenkes, ohne Be- zugnahme auf den Verlust, zu gewähren. Gilt dies von allen Verlusten, auch den unverschuldeten, so ist um so strenger bei den irgendwie verschuldeten darauf zu halten. Bei unbedeutenderen, vorübergehenden körperlichen Schmerzen lehre man die Kinder das Ertragen durch kräfti- genden, schnell ablenkenden Zuspruch. Bei ernsteren Schmer- zen und Leiden bezeige man seine liebevolle Theilnahme, aber durchaus nur in aufrichtender, kräftigender Weise, ja nicht durch leeres Klagen und Bedauern. Das Klagen schwächt. Bei unverschuldeten einfach verdriesslichen Vorfällen ist ein leichtes und heiteres Darüberhingehen, in welches die Kinder gern mit einstimmen, das Beste. Müssen Schwierig- keiten und Unannehmlichkeiten in activer Weise über- wunden werden, so ist die Hauptregel, die Kinder schnell und energisch (durch kräftigen Zuspruch) durch und dar- über hinweg zu führen. Durch Zögern, langes Anschauen oder Umkehren wächst die Schwierigkeit in der Einbildung der Kinder zu einem unüberwindlichen Riesen. Schnelle Ueber- windung gibt das erhebende Gefühl des Sieges, welches den Muth für künftige Fälle kräftigt. Nebst der Liebe und der sittlichen Willenskraft haben wir als die dritte Grundkraft des menschlichen Geistes zu er- kennen die Denkkraft. Die Quelle, aus welcher die geistigen Kräfte, und unter ihnen ganz besonders die Denkkraft, ihre erste Nahrung und

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/155>, abgerufen am 24.11.2024.