2.--7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
Vergnügens u. s. w., so dass bei jedem Kinde Genuss und Entbehrung immer im Gleichgewichte bleibt. Eine gleichseitig von der Gesundheitsrücksicht dringend gebotene Uebung in der Selbstbeherrschung ist die geduldige Zurückhaltung des Durstes bei erhitztem Körper. Gerade an solchen und ähn- lichen scheinbaren Kleinigkeiten erstarkt die Kraft des Ent- behrens überhaupt am schnellsten.
Die Bequemlichkeit ist die Mutter geistiger und kör- perlicher Schlaffheit, Weichlichkeit und Faulheit und ein wahre Fessel des Lebens. Sie wächst mit den Jahren und wird unüberwindbar. Eine grosse Wohlthat ist es daher für die Kinder, wenn sie von allen diesen lebensfeindlichen Schwächen, die sich so leicht und unmerklich einnisten, frei erhalten werden. Dies wird erreicht, wenn wir streng darauf sehen, dass das normale Wechselverhältniss zwischen Wach- sein und Schlaf geregelt bleibt, halbes Ruhen in dehnenden, sielenden Lagen aber nicht geduldet wird, dass die Kinder in den Zeiten, wo sie munter sein sollen, keine unausgefüllten Lücken haben und sich gewöhnen, in aller Beziehung sich straff und rührig zu halten, dass überhaupt jede Verführung zur Bequemlichkeit und Schlaffheit (so z. B. auch die Sopha's in den Kinderstuben) von ihrem Kreise fern gehalten werden. Theils zur Ausfüllung müssiger Augenblicke, theils zur Bildung praktischer Thätigkeit eignen sich sowohl für Knaben wie Mädchen etwa vom 5. Jahre an kleine, aber regelmässig zu übertragende häusliche Beschäftigungen.
Auch aus Verlusten (z. B. von Spielsachen oder anderen Gegenständen der Liebhaberei), welche das Kind mit oder ohne seine Schuld treffen, soll es Nutzen ziehen für Erstar- kung seiner sittlichen Willenskraft. War eigene Schuld die Ursache, so diene es als einfache Lehre. Geschah der Ver- lust ohne Schuld des Kindes, so möge das Trostwort darin bestehen, dass die Aeltern irgend ein Beispiel eines viel bedeutenderen Verlustes aus ihrer eigenen Lebenserfahrung dem Kinde vorführen. Ueberhaupt ist es für die Kinder lehr- reich, wenn die Aeltern nicht jedes eigene Ungemach den Kin- dern geflissentlich verschweigen, sondern ab und zu auch ihnen
2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
Vergnügens u. s. w., so dass bei jedem Kinde Genuss und Entbehrung immer im Gleichgewichte bleibt. Eine gleichseitig von der Gesundheitsrücksicht dringend gebotene Uebung in der Selbstbeherrschung ist die geduldige Zurückhaltung des Durstes bei erhitztem Körper. Gerade an solchen und ähn- lichen scheinbaren Kleinigkeiten erstarkt die Kraft des Ent- behrens überhaupt am schnellsten.
Die Bequemlichkeit ist die Mutter geistiger und kör- perlicher Schlaffheit, Weichlichkeit und Faulheit und ein wahre Fessel des Lebens. Sie wächst mit den Jahren und wird unüberwindbar. Eine grosse Wohlthat ist es daher für die Kinder, wenn sie von allen diesen lebensfeindlichen Schwächen, die sich so leicht und unmerklich einnisten, frei erhalten werden. Dies wird erreicht, wenn wir streng darauf sehen, dass das normale Wechselverhältniss zwischen Wach- sein und Schlaf geregelt bleibt, halbes Ruhen in dehnenden, sielenden Lagen aber nicht geduldet wird, dass die Kinder in den Zeiten, wo sie munter sein sollen, keine unausgefüllten Lücken haben und sich gewöhnen, in aller Beziehung sich straff und rührig zu halten, dass überhaupt jede Verführung zur Bequemlichkeit und Schlaffheit (so z. B. auch die Sopha's in den Kinderstuben) von ihrem Kreise fern gehalten werden. Theils zur Ausfüllung müssiger Augenblicke, theils zur Bildung praktischer Thätigkeit eignen sich sowohl für Knaben wie Mädchen etwa vom 5. Jahre an kleine, aber regelmässig zu übertragende häusliche Beschäftigungen.
Auch aus Verlusten (z. B. von Spielsachen oder anderen Gegenständen der Liebhaberei), welche das Kind mit oder ohne seine Schuld treffen, soll es Nutzen ziehen für Erstar- kung seiner sittlichen Willenskraft. War eigene Schuld die Ursache, so diene es als einfache Lehre. Geschah der Ver- lust ohne Schuld des Kindes, so möge das Trostwort darin bestehen, dass die Aeltern irgend ein Beispiel eines viel bedeutenderen Verlustes aus ihrer eigenen Lebenserfahrung dem Kinde vorführen. Ueberhaupt ist es für die Kinder lehr- reich, wenn die Aeltern nicht jedes eigene Ungemach den Kin- dern geflissentlich verschweigen, sondern ab und zu auch ihnen
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2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
Vergnügens u. s. w., so dass bei jedem Kinde Genuss und
Entbehrung immer im Gleichgewichte bleibt. Eine gleichseitig
von der Gesundheitsrücksicht dringend gebotene Uebung in
der Selbstbeherrschung ist die geduldige Zurückhaltung des
Durstes bei erhitztem Körper. Gerade an solchen und ähn-
lichen scheinbaren Kleinigkeiten erstarkt die Kraft des Ent-
behrens überhaupt am schnellsten.
Die Bequemlichkeit ist die Mutter geistiger und kör-
perlicher Schlaffheit, Weichlichkeit und Faulheit und
ein wahre Fessel des Lebens. Sie wächst mit den Jahren und
wird unüberwindbar. Eine grosse Wohlthat ist es daher für
die Kinder, wenn sie von allen diesen lebensfeindlichen
Schwächen, die sich so leicht und unmerklich einnisten, frei
erhalten werden. Dies wird erreicht, wenn wir streng darauf
sehen, dass das normale Wechselverhältniss zwischen Wach-
sein und Schlaf geregelt bleibt, halbes Ruhen in dehnenden,
sielenden Lagen aber nicht geduldet wird, dass die Kinder in
den Zeiten, wo sie munter sein sollen, keine unausgefüllten
Lücken haben und sich gewöhnen, in aller Beziehung sich
straff und rührig zu halten, dass überhaupt jede Verführung
zur Bequemlichkeit und Schlaffheit (so z. B. auch die Sopha's
in den Kinderstuben) von ihrem Kreise fern gehalten werden.
Theils zur Ausfüllung müssiger Augenblicke, theils zur Bildung
praktischer Thätigkeit eignen sich sowohl für Knaben wie
Mädchen etwa vom 5. Jahre an kleine, aber regelmässig zu
übertragende häusliche Beschäftigungen.
Auch aus Verlusten (z. B. von Spielsachen oder anderen
Gegenständen der Liebhaberei), welche das Kind mit oder
ohne seine Schuld treffen, soll es Nutzen ziehen für Erstar-
kung seiner sittlichen Willenskraft. War eigene Schuld die
Ursache, so diene es als einfache Lehre. Geschah der Ver-
lust ohne Schuld des Kindes, so möge das Trostwort
darin bestehen, dass die Aeltern irgend ein Beispiel eines viel
bedeutenderen Verlustes aus ihrer eigenen Lebenserfahrung
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reich, wenn die Aeltern nicht jedes eigene Ungemach den Kin-
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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/154>, abgerufen am 16.02.2025.
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