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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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2.--7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT ANDEREN KINDERN.
ernster Kränkung, des Spottes, Hohnes, Neides, bös-
williger Neckerei
und Schadenfreude ein für allemal
aus dem Kreise verbannt werden. Munterkeit und Frohsinn
sollen ungetrübt walten, Scherze und Neckereien in den Gren-
zen voller Harmlosigkeit bleiben. Rechtzeitig ein Wink, ein
Wort von Seiten der Aufsicht, oder, wo nöthig, das augen-
blickliche Ausschliessen des Schuldigen aus dem Kreise der
Uebrigen, zuweilen vielleicht ein belebender Anruf -- ist Alles,
um die Kinder in der richtigen Sphäre zwischen den Wende-
punkten zu halten. Durch Consequenz und Tact der Ober-
leitung gewinnen die Kinder überaus schnell selbst so viel
natürlichen Tact, dass dem überwachenden Auge fast nur
noch eine passive Rolle übrig bleibt.

Das gesellige Leben der Kinder unter einander bietet zu-
gleich die passendste Gelegenheit, um der Stimmung mancher
zarteren Saiten des Gefühles den reinen Grundton zu geben.
Es sind diese: Verträglichkeit, gemessene Nachgiebig-
keit, Achtung vor fremdem Eigenthume, bereitwilli-
ges Mittheilen vom eigenen Besitze
, allgemeines Zart-
gefühl
und Schamhaftigkeit.

Wenn das Kind unter seinen Gespielen ist, so tritt seine
volle natürliche Individualität am reinsten hervor. Das damit
verbundene unbefangene Sichselbstvergessen öffnet jede, auch
die tiefste Falte seines Inneren. Das Kind lässt sich hier am
vollkommensten durchschauen. Da nun die volle Erkenntniss
der individuellen Eigenthümlichkeiten eines Kindes für Aeltern
und Erzieher die erste Bedingung des ganzen Erziehungs-
geschäftes ist, so finden diese darin ein sehr ausgiebiges Mit-
tel für ihre Beobachtung und für die Feststellung ihres er-
zieherischen Standpunktes.

Es ist demnach nicht zu verkennen, dass Beides, sowohl
die Beschäftigung des Kindes mit sich selbst, das Alleinspielen,
als der Umgang mit anderen Kindern, das gemeinschaftliche
Spielen, gleich wichtige Vortheile bietet, dass Beides gleich
nothwendige Lebensbedürfnisse sind. Soweit als irgend mög-
lich, suche man also die Zeit des Kindes gleichmässig in
entsprechender Abwechselung damit auszufüllen. Da wo ein

2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT ANDEREN KINDERN.
ernster Kränkung, des Spottes, Hohnes, Neides, bös-
williger Neckerei
und Schadenfreude ein für allemal
aus dem Kreise verbannt werden. Munterkeit und Frohsinn
sollen ungetrübt walten, Scherze und Neckereien in den Gren-
zen voller Harmlosigkeit bleiben. Rechtzeitig ein Wink, ein
Wort von Seiten der Aufsicht, oder, wo nöthig, das augen-
blickliche Ausschliessen des Schuldigen aus dem Kreise der
Uebrigen, zuweilen vielleicht ein belebender Anruf — ist Alles,
um die Kinder in der richtigen Sphäre zwischen den Wende-
punkten zu halten. Durch Consequenz und Tact der Ober-
leitung gewinnen die Kinder überaus schnell selbst so viel
natürlichen Tact, dass dem überwachenden Auge fast nur
noch eine passive Rolle übrig bleibt.

Das gesellige Leben der Kinder unter einander bietet zu-
gleich die passendste Gelegenheit, um der Stimmung mancher
zarteren Saiten des Gefühles den reinen Grundton zu geben.
Es sind diese: Verträglichkeit, gemessene Nachgiebig-
keit, Achtung vor fremdem Eigenthume, bereitwilli-
ges Mittheilen vom eigenen Besitze
, allgemeines Zart-
gefühl
und Schamhaftigkeit.

Wenn das Kind unter seinen Gespielen ist, so tritt seine
volle natürliche Individualität am reinsten hervor. Das damit
verbundene unbefangene Sichselbstvergessen öffnet jede, auch
die tiefste Falte seines Inneren. Das Kind lässt sich hier am
vollkommensten durchschauen. Da nun die volle Erkenntniss
der individuellen Eigenthümlichkeiten eines Kindes für Aeltern
und Erzieher die erste Bedingung des ganzen Erziehungs-
geschäftes ist, so finden diese darin ein sehr ausgiebiges Mit-
tel für ihre Beobachtung und für die Feststellung ihres er-
zieherischen Standpunktes.

Es ist demnach nicht zu verkennen, dass Beides, sowohl
die Beschäftigung des Kindes mit sich selbst, das Alleinspielen,
als der Umgang mit anderen Kindern, das gemeinschaftliche
Spielen, gleich wichtige Vortheile bietet, dass Beides gleich
nothwendige Lebensbedürfnisse sind. Soweit als irgend mög-
lich, suche man also die Zeit des Kindes gleichmässig in
entsprechender Abwechselung damit auszufüllen. Da wo ein

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[120/0124] 2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT ANDEREN KINDERN. ernster Kränkung, des Spottes, Hohnes, Neides, bös- williger Neckerei und Schadenfreude ein für allemal aus dem Kreise verbannt werden. Munterkeit und Frohsinn sollen ungetrübt walten, Scherze und Neckereien in den Gren- zen voller Harmlosigkeit bleiben. Rechtzeitig ein Wink, ein Wort von Seiten der Aufsicht, oder, wo nöthig, das augen- blickliche Ausschliessen des Schuldigen aus dem Kreise der Uebrigen, zuweilen vielleicht ein belebender Anruf — ist Alles, um die Kinder in der richtigen Sphäre zwischen den Wende- punkten zu halten. Durch Consequenz und Tact der Ober- leitung gewinnen die Kinder überaus schnell selbst so viel natürlichen Tact, dass dem überwachenden Auge fast nur noch eine passive Rolle übrig bleibt. Das gesellige Leben der Kinder unter einander bietet zu- gleich die passendste Gelegenheit, um der Stimmung mancher zarteren Saiten des Gefühles den reinen Grundton zu geben. Es sind diese: Verträglichkeit, gemessene Nachgiebig- keit, Achtung vor fremdem Eigenthume, bereitwilli- ges Mittheilen vom eigenen Besitze, allgemeines Zart- gefühl und Schamhaftigkeit. Wenn das Kind unter seinen Gespielen ist, so tritt seine volle natürliche Individualität am reinsten hervor. Das damit verbundene unbefangene Sichselbstvergessen öffnet jede, auch die tiefste Falte seines Inneren. Das Kind lässt sich hier am vollkommensten durchschauen. Da nun die volle Erkenntniss der individuellen Eigenthümlichkeiten eines Kindes für Aeltern und Erzieher die erste Bedingung des ganzen Erziehungs- geschäftes ist, so finden diese darin ein sehr ausgiebiges Mit- tel für ihre Beobachtung und für die Feststellung ihres er- zieherischen Standpunktes. Es ist demnach nicht zu verkennen, dass Beides, sowohl die Beschäftigung des Kindes mit sich selbst, das Alleinspielen, als der Umgang mit anderen Kindern, das gemeinschaftliche Spielen, gleich wichtige Vortheile bietet, dass Beides gleich nothwendige Lebensbedürfnisse sind. Soweit als irgend mög- lich, suche man also die Zeit des Kindes gleichmässig in entsprechender Abwechselung damit auszufüllen. Da wo ein

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/124>, abgerufen am 28.11.2024.